ACHEMA 2012 geht Pflanze – BioÖkonomie nimmt Fahrt auf

19.06.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Der Rohstoff Pflanze wird durch Bioraffinerien vollständig genutzt. (Quelle: © iStockphoto.com/ Eduard Härkönen)

Der Rohstoff Pflanze wird durch Bioraffinerien vollständig genutzt. (Quelle: © iStockphoto.com/ Eduard Härkönen)

Die weltgrößte Messe für Analytik, Chemie, Umwelttechnik und Biotechnologie startete am 18. Juni mit mehreren Paukenschlägen in Frankfurt (Main). In diesem Rahmen wurde die nationale „Roadmap Bioraffinerie“ von vier Bundesministerien gemeinsam vorgestellt. Die Pflanzenforschung rückt in das Zentrum einer CO2 neutralen, hocheffizienten und vor allem nachhaltigen Wirtschaft, die auf nachwachsenden Rohstoffen basiert.

„Weg vom Öl, hin zur Pflanze“ titelt die Pressemeldung des BMBF zur Vorstellung der nationalen „Roadmap Bioraffinerien“. Dem Rohstoff „Pflanze“ gehört nach Expertenmeinung die Zukunft. Bevor es soweit ist, muss so manche Klippe umsegelt werden. Die Nachhaltigkeit der Prozesse, beginnend bei der Primärproduktion, über die Raffinerien bis zur Veredlung der Rohstoffe und den Konsum, gilt allen vier Ministerien als entscheidende Messlatte für den Transformationsprozess unserer Wirtschaft. Dabei wird Nachhaltigkeit als Dreiklang von Ökonomie, Gesellschaft – also den sozialen Rahmenbedingungen – und ökologischen Faktoren verstanden.

Die Roadmap wurde unter Federführung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelt und ist mit dem Umwelt- und dem Wirtschaftsressort abgestimmt. Existierende Aktionspläne zur stofflichen und energetischen Verwertung nachwachsender Rohstoffe werden durch die Roadmap Bioraffinerien integriert.

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Begriffsbestimmung der Bioraffinerie

"Eine Bioraffinerie zeichnet sich durch ein explizit integratives, multifunktionelles Gesamtkonzept aus, das Biomasse als vielfältige Rohstoffquelle für die nachhaltige Erzeugung eines Spektrums unterschiedlicher Zwischenprodukte und Produkte (Chemikalien, Werkstoffe, Bioenergie inkl. Biokraftstoffe) unter möglichst vollständiger Verwendung aller Rohstoffkomponenten nutzt; als Koppelprodukte können ggf. zusätzlich auch Nahrungs- und/oder Futtermittel anfallen. Hierfür erfolgt die Integration unterschiedlicher Verfahren und Technologien. Die Verfahrenskette der Bioraffinerie besteht im Wesentlichen aus der Vorbehandlung und Aufbereitung der Biomasse sowie der Auftrennung der Biomassekomponenten (Primärraffination) und nachfolgenden Konversions- und Veredelungsschritten (Sekundärraffination)." (Quelle: Roadmap Bioraffinerien, 2012: 23)

Zwei Jahre zur Roadmap

Fast genau zwei Jahre liegen zwischen der ersten Sitzung des Arbeitskreises und der nun vorgelegten Roadmap. Die Erarbeitung der Roadmap übernahm ein Arbeitskreis bestehend aus 30 Experten aus Forschung und Industrie. Prof. Wagemann, Geschäftsführer der DECHEMA und Vorsitzender des Arbeitskreises, sieht in der Roadmap Bioraffinerien das benötigte Fundament für ein koordiniertes und zielgerichtetes Vorgehen von öffentlicher Hand und Wirtschaft. Die Politik, so Dr. Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), wird diesen Prozess aktiv begleiten und unterstützen. Den Rahmen bilden die Hightech-Strategie der Bundesregierung und als Bestandteil dieser die Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030.

Technologien und Konzepte

Neben der Darstellung und Analyse fünf unterschiedlicher Bioraffinerie-Plattformen, zeigt die Roadmap mögliche Wege und deren Umsetzungsvoraussetzungen auf. „Eine derartige zusammenfassende Darstellung zum Thema Bioraffinerien lag bislang nicht vor und ist weltweit einmalig“, so Clemens Neumann, Abteilungsleiter im BMELV. Die Bioraffinerien werden zu einem zentralen Baustein auf dem Weg fort von begrenzten fossilen Rohstoffen hin zu nachwachsenden Rohstoffen. Pflanzen und deren Reststoffe werden zum Fundament einer biobasierten Wirtschaft. Damit dieser Transformationsprozess gelingt, müssen Bioraffinerien statt, (wie heute üblich) wenigen speziellen Produkten, eine große Produktvielfalt hervorbringen. Nur so können diese zu konkurrenzfähigen Rohstoffen für die weitere Verarbeitung in der chemischen Industrie werden.

Die anwesenden Experten und Vertreter der Bundesregierung machten klar, dass Ihnen der Status Europas, als Netto-Importeur von Biomasse, bewusst ist. Mit jedem Hektar nachwachsender Rohstoffe in Deutschland verlagert sich die Nahrungsmittelproduktion ins Ausland. Durch intelligente Konzepte einer Kaskadennutzung und die innovative Verwertung biogener Reststoffe, kann jedoch die verfügbare Biomasse optimal ausgenutzt werden. Und zwar weder auf Kosten der globalen Nahrungssicherheit noch auf Kosten der Umwelt. „Damit Bioraffinerien die Pflanzen möglichst vollständig nutzen können, brauchen wir noch viel Forschung und Entwicklung. Nur so kann es gelingen, dass die Bioökonomie einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz und zur Ressourceneffizienz leistet.“, erklärte Schütte – Staatssekretär im Bundesforschungsministerium.

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Die verschiedenen Bioraffineriekonzepte stehen auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen. (Quelle: © FNR)


Die verschiedenen Bioraffineriekonzepte stehen auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen. (Quelle: © FNR)

Klassische Biomassenutzung und Bioraffinerien

Entscheidend ist, dass auch bestehende und teilweise tief im Markt integrierte Raffineriekonzepte nicht über Bord geworfen werden. Vielmehr werden diese kontinuierlich weiterentwickelt. Erste Pilotanlagen umfassenderer Nutzungsstrategien gibt es in Deutschland bereits. Andere, wie am Mitteldeutschen Standort in Leuna, entstehen gerade. Die in der Roadmap enthaltene Definition einer Bioraffinerie versucht diese neuen Konzepte von klassischen Zuckerfabriken, Ölmühlen, Stärke-, Zellstoff- oder Futtermittelwerken abzugrenzen. Neben der Kaskadennutzung zur möglichst ganzheitlichen Verwertung der Biomasse, ist es die größere Produktvielfalt (unterschiedlicher Zwischenprodukte und Produkte wie Chemikalien, Werkstoffe, Bioenergie oder Biokraftstoffe), welche eine Bioraffinerie ausmacht. Nur dann gilt diese als Bioraffinerie.

Bereits bestehende klassische Anlagen zur Biomasseverwertung können um zusätzliche Komponenten in Richtung der in der Definition angesprochenen Produkte und Komponenten erweitert werden. Damit werden diese zu sogenannten „Bottom-up“ Bioraffinerien. Als „Top-down“ Anlagen gelten, laut Roadmap, Anlagen die komplett neukonzipiert, hocheffizient und abfallfrei wirtschaften sowie eine große Produktvielfalt liefern.

5 Anlagentypen zur Klassifizierung

Die Roadmap betrachtet fünf Typen von Bioraffinerien genauer. Vorteile und Nachteile der einzelnen Konzepte, aber auch Probleme sowie Chancen werden herausgestellt. Neben der Zucker- und Stärke-Bioraffinerie sind dies die Pflanzenöl-Bioraffinerie, die Lignocellulose-Bioraffinerie, die Synthesegas Bioraffinerie und die Biogas-Bioraffinerie. Konzepte für Algenlipid-Raffinerien werden den Pflanzenöl-Bioraffinerie zugeordnet und die Grüne Bioraffinerie der Lignocellulose Bioraffinerie.

Damit Bioraffinerien zu dem geforderten Rückgrat einer Grünen Wirtschaft werden, müssen von Anfang an auch Kommunikations- und Partizipationsstrategien in die Konzepte integriert werden. Der Verweis, dass Deutschland Gefahr läuft zu einer technologiekritischen – manche sprechen sogar von einer technologiefeindlichen – Nation zu werden, genügt nicht. Hier gilt es frühzeitig Prozesse aktiv zu gestalten, transdisziplinär zu denken und zu handeln, vor allem aber auch kritische Stimmen Ernst zu nehmen und prozessbegleitend als kritische Partner zu integrieren.

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Zucker ist ein nachwachsender Rohstoff, der in der Zucker-Bioraffinerie verarbeitet wird. Hier eine Fabrik in Wabern, Hessen.

Zucker ist ein nachwachsender Rohstoff, der in der Zucker-Bioraffinerie verarbeitet wird. Hier eine Fabrik in Wabern, Hessen.

Bildquelle: © Oliver Deisenroth / wikimedia.org; CC BY-SA 3.0

Prämierung neuer Konzepte der Zusammenarbeit

Die Präsentation der Roadmap Bioraffinerien auf der ACHEMA wurde genutzt, um die ersten Allianzen eines neuen Wettbewerbs zur Industriellen Biotechnologie des BMBF vorzustellen. „Die zur Förderung ausgewählten strategischen Allianzen haben das Zeug dazu, unsere Industrie nachhaltig zu verändern“, führte Staatsekretär Schütte aus. „Wir fördern hier Vorzeigeprojekte, die wegweisend für eine Bioökonomie sind.“

Darunter die Allianz "Zero Carbon Footprint". Sie wird vom Energiekonzern RWE Power AG koordiniert. Die 21 Partner aus Forschung und Industrie wollen kohlenstoffreiche Abfallströme wie Abwässer oder Rauchgas aus Kohlekraftwerken biotechnologisch verwerten. Die Partner suchen nach Mikroorganismen, die zum Beispiel Kohlendioxid aus Abgasen in hochwertige Produkte wie etwa Biokunststoffe umwandeln können. Das Gesamtvolumen der Forschungsprojekte, die von der Allianz in den nächsten neun Jahren vorgesehen sind, beläuft sich auf bis zu 46 Millionen Euro. Die Fördermittel des BMBF betragen die Hälfte des Gesamtvolumens einer Allianz.

Die Allianz "Funktionalisierung von Polymeren" wird von einer mittelständischen Biotechnologie-Firma geleitet: der evocatal GmbH aus Düsseldorf. Zu den Partnern der Allianz gehört der Bauchemieproduzent SIKA, der Betonverflüssiger auf der Basis nachwachsender Rohstoffe herstellen will. Der ebenfalls beteiligte Hersteller von Textilgarnen Coats ist an neuartigen Funktionalisierungen von Polymerfasern interessiert, während der Waschmittelhersteller Henkel an Reinigungsenzymen für solche Fasern arbeitet. Die Allianz will in den nächsten fünf Jahren rund 8 Millionen Euro in Forschungsprojekte investieren. Die Hälfte kommt auch hier vom BMBF.

Die dritte Allianz "NatLifE“ wird ebenfalls von einer mittelständischen Biotechnologie-Firma angeführt: der B.R.A.I.N. AG aus dem hessischen Zwingenberg. Die Allianz entwickelt Inhaltsstoffe für Lebensmittel und Kosmetika aus natürlichen Quellen. Innerhalb von neun Jahren sind rund 30 Millionen Euro für Forschungsprojekte vorgesehen. „Auch in dieser Allianz konnten bereits Partner aus anderen Ländern, in diesem Fall den USA gewonnen werden“, so Dr. Zinke von der B.R.A.I.N. AG. „Was verdeutlicht, dass Deutschland in Teilbereichen der biotechnologischen Forschung weltweit es Spitze ist als ein wichtiger Kooperationspartner gilt.“