Auf den Äckern herrscht ein Gleichgewicht des Schreckens

01.07.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Kartoffelkäfer im Gleichgewicht. (Quelle: © GABI- Geschäftsstelle)

Kartoffelkäfer im Gleichgewicht. (Quelle: © GABI- Geschäftsstelle)

Wie natürliche Feinde zum Schaden von Schädlingen und zum Nutzen des Bauern werden, untersuchten Entomologen genauer.

Biodiversität ist mehr als die Summe von Arten und Individuen

Menschliche Aktivitäten können die komplexe Funktion von Ökosystemen lahmlegen. Sie beeinflussen maßgeblich die Biodiversität. Indikatoren wie Artenreichtum und Anzahl der Individuen einer Art gelten als Synonym für die Biodiversität. In einer im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie wurde verstärkt die Ausgewogen- bzw. Gleichmäßigkeit des Gesamtystems betrachtet. Die Ergebnisse, die dabei ans Licht kamen, verblüffen Ökologen und Agronomen gleichermaßen.

Kartoffeläcker als Schlachtfeld "en miniature"

Als Untersuchungsobjekt nutzen die Forscher Kartoffeläcker. Neben den Kartoffeln wurde von den Wissenschaftlern auch ein weltweit bekannter und gefürchteter Schädling ausgebracht, der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata). In Feldstudien wurde untersucht, wie sich unterschiedliche Anbausysteme auf die natürlichen Feinde der Kartoffelkäfer auswirken. Da diese neben ihrem oberirdischen Dasein auch eine Entwicklung als Puppe im Boden durchlaufen, wurden neben Wanzen und anderen räuberischen Käfern auch bodenbürtige Pathogene für den Blattfresser erfasst. Fadenwürmer und Pilze befallen im Erdreich die Puppen des Käfers. Dabei wurden die Populationen von Räubern, Pathogenen und Blattfresser so angepasst, dass diese einem typischen Vorkommen auf einem biologischen und einem konventionell bewirtschafteten Acker entsprachen. Als dies erfolgt war, überließ man die Äcker dem freien Spiel der Kräfte.

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Kartoffelkäferlarve auf dem Objekt der Begierde.

Kartoffelkäferlarve auf dem Objekt der Begierde.

Bildquelle: © GABI Geschäftsstelle

Während Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen keinen Effekt auf den Artenreichtum per se hatten, war der Einfluss auf die Ausgewogenheit zwischen diesen Arten dramatisch. Auf konventionell bewirtschafteten Äckern wurden ca. 80% aller für Kartoffelkäfer feindlichen Individuen durch eine einzige Art repräsentiert. Alle anderen Feinde des Kartoffelkäfers fristeten lediglich ein Nischendasein. Im Gegensatz dazu wurden im organischen Landbau maximale Dominanzwerte von 38% erreicht. Dieses Ergebnis konnte durch eine Metastudie von 38 Einzelstudien bestätigt werden. Diese beschränkten sich nicht auf Kartoffeln, sondern umfassten über 20 verschiedene Kulturpflanzen in 16 Ländern und betrachteten knapp 50 unterschiedliche Feinde von Schädlingen.

Das Prinzip Vielfalt führt zu höheren Erträgen

Auf Basis dieser Ergebnisse wurde untersucht, welche Auswirkungen die Ausgewogenheit von Feind- und Pathogenpopulationen des Blattfressers auf dessen Mortalität und damit auf die Kartoffelerträge haben. Erneut wurden organische und konventionell bewirtschaftete Äcker miteinander verglichen. In einer multifaktoriellen Analyse wurden sieben Räuber und sechs Pathogen-Szenarien miteinander kombiniert. Die Szenarien, in denen die für den Kartoffelkäfer räuberischen Lebewesen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander auftraten, waren förderlich für die Pflanzen und nachteilig für den Blattfresser. Der größte positive, da additive, Effekt auf die Biomasseproduktion wurde bei einem ausgewogenen Verhältnis von den für den Blattfresser räuberischen und für die Puppen des Käfers pathogenen Arten beobachtet. Damit wird offensichtlich, dass nicht die Überdominanz einer den Kartoffelkäfer schädigenden Art, sondern deren ausgewogenes Verhältnis einen durchschlagenden Effekt hat. Auch die Überlebensrate der Räuber wurde durch ein ausgeglichenes Verhältnis stabilisiert. Ein über einen längeren Zeitraum hinweg nachhaltiger Effekt kann dadurch erwartet werden.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass sich auf biologisch bewirtschafteten Flächen ein Gleichgewicht von Fressen und Gefressen werden einstellen konnte, während dieses durch die Verwendung chemischer Bekämpfungsmittel gestört wurde. Der Befall mit Kartoffelkäfern auf den biologisch bewirtschafteten Flächen lag knapp 20% unter dem der konventionellen Vergleichsflächen. Der Biomasseertrag konnte sogar um 35% gesteigert werden. Daraus schlussfolgern die Autoren, dass der Einsatz von Pestiziden dieses Gleichgewicht zum Nachteil des Gesamtsystems veränderte. 

Landwirtschaft ist ein komplexes System

Durch die Studie wird deutlich: Landwirtschaft ist ein hochkomplexes System. In diesem gilt es viele Variablen zu beachten. Da es sich bei den Studien um kontrollierte Feldstudien mit einer genau definierten Zahl ausgesetzter Kartoffelkäfer und diese schädigende Organismen handelte, können die Ergebnisse nicht 1:1 auf die praktische Landwirtschaft übertragen werden. In der Praxis gilt es in der Regel nicht nur einen, sondern mehrere Schädlinge abzuwehren. Die Studie gibt jedoch einen Einblick, wie eine zukünftige Landbewirtschaftung so gestaltet werden kann, dass wirtschaftliche und ökologische Gesichtspunkte gleichermaßen berücksichtigt werden. Eine intelligente Kombination von natürlicher und induzierter Schädlingsbekämpfung, je nach Befallstatus und Umweltbedingungen, wird Erträge sichern helfen. 

Auf jeden Fall gilt es, solche Methoden zu entwickeln und zu nutzen, die neben der Artenvielfalt auch auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen diesen Arten abzielt. Im Rahmen der vorliegenden Studie waren es die Methoden der biologischen Landwirtschaft, welche diese Kriterien am besten erfüllten. Das die Erhaltung der Gleichmäßigkeit eine deutlich komplexere Herausforderung ist, liegt auf der Hand. Die gleichzeitige Berücksichtigung von Käfern, Wanzen, Pilzen, Bakterien oder Fadenwürmern und nicht nur von einem Pflanzenschädling, wie in der vorliegenden Studie, bedarf neuer konzeptioneller Ideen und einer Forschung, die ganzheitliche Ansätze fördert. 


Quelle:

David W. Crowder et al. (2010): “Organic agriculture promotes evenness and natural pest control”. In: Nature 466, 109-112 (1 July 2010) | doi:10.1038/nature09183 (link).

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