Den Blick nach vorn mit langem Atem

27.08.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die heutigen hohen Erträge beim Weizen verdanken wir auch der Pflanzenzüchtung (Quelle: © 3268zauber / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Die heutigen hohen Erträge beim Weizen verdanken wir auch der Pflanzenzüchtung (Quelle: © 3268zauber / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Getreide ist seit Jahrtausenden das Hauptnahrungsmittel für Menschen und Haustiere. In unseren Breiten ist Weizen die wichtigste Kulturpflanze. Wissenschaftler haben die Ertragsentwicklung der letzten 40 Jahre genauer unter die Lupe genommen. Ein Drittel des Ertragszuwachses wird durch die Pflanzenzüchtung sichergestellt.

Erfolg hat bekanntlich viele Gesichter. In einer nun vorgelegten Studie schauten Wissenschaftler hinter die Kulissen des landwirtschaftlichen Erfolges. Sie wollten wissen, welchen Anteil die Pflanzenzüchtung an der Ertragssteigerung der letzten Jahrzehnte hat. Untersucht wurde dies am Winterweizen. Die Europäische Union ist weltweit der bedeutendste Weizenproduzent. Auf insgesamt 3,261 Mio. Hektar wurde im Jahr 2011 in Deutschland Weizen angebaut. Dies entspricht gut einem Viertel der gesamten ackerbaulich genutzten Fläche. Nach Frankreich ist Deutschland damit der zweitgrößte Weizenproduzent in der EU. Anders ausgedrückt: Keine andere Frucht trägt so viel zum wirtschaftlichen Erfolg der Landwirtschaft bei wie der Winterweizen. In Deutschland führt Bayern vor Niedersachsen, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, die flächenmäßige Anbaustatistik an. Ungefähr 80% der deutschen Weizenernte gelangen in den Handel, wovon etwa ein Drittel an Mühlen geliefert und zu Mehl weiterverarbeitet wird. Das Mehl wird größtenteils in Bäckereien weiterverarbeitet. Lediglich ein kleiner Rest von ca. 10% gelangt an Stärke- oder Teigwarenproduzenten oder über den Handel direkt zu den Endverbrauchern. Im wahrsten Sinne des Wortes: Weizen ist in aller Munde. 

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Mehl ist ein wichtiges Produkt, dass aus Weizen gewonnen wird. Es gelangt nicht nur direkt zum Endverbraucher, sondern wird auch für Backwaren gebraucht. 

Mehl ist ein wichtiges Produkt, dass aus Weizen gewonnen wird. Es gelangt nicht nur direkt zum Endverbraucher, sondern wird auch für Backwaren gebraucht. 

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Piotr Malczyk

Ursachen stagnierender Erträge

Besorgnis erregend und ein Grund für die nun vorliegende Studie sind die seit einiger Zeit stagnierenden Ertragszuwächse beim Winterweizen. Einige Experten mahnen bereits das Erreichen eines genetischen Limits an. Andere Experten sehen Ursachen jenseits der Gene in der Verantwortung. So könnten höhere Temperaturen, die Ausweitung der Anbauflächen auf weniger ertragreiche Flächen oder Änderungen in der landwirtschaftlichen Praxis insbesondere bei der Gestaltung von Fruchtfolgen Ursachen dieses Trends sein.

So erhöhten sich die Durchschnittstemperaturen in Deutschland in den vergangen 60 Jahren um 0,7°C. Im für die Kornfüllungsphase und somit für den Ertrag wichtigen Monat Mai, legte die Durchschnittstemperatur sogar um 1,9°C zu. Gleichzeitig kam es zu höheren Schwankungen in der Niederschlagsverteilung. Wetterextreme wie Starkregen und frühsommerliche Trockenheit traten öfter auf.

Gleichzeitig verdoppelte sich die Anbaufläche für Winterweizen. Lag diese Anfang der 60iger Jahre noch bei 1,8 Mio. Hektar, werden heute in Deutschland die eingangs erwähnten knapp 3,3 Mio. Hektar mit Winterweizen bestellt. Waren es früher die besten Flächen, die für den Winterweizenanbau reserviert wurden, verdrängt dieser mehr und mehr Getreidearten wie Roggen oder Wintergerste von ihren angestammten Anbauplätzen. Diese und andere Arten sind deutlich anspruchsloser bei der Standortwahl, besitzen aber auch ein geringeres Ertragspotenzial als der Winterweizen.

Gleichzeitig veränderten sich die Fruchtfolgen in der landwirtschaftlichen Praxis. Dominierten in den 60igern noch Roggen, Winterweizen, Wintergerste und Kartoffeln den Pflanzenbau, sind es heute neben Weizen und Wintergerste vor allem Mais und Raps. Die für eine nachhaltige Fruchtfolgegestaltung wichtigen Hackfrüchte, Kartoffel oder Zuckerrübe, wurden mehr und mehr zu randständigen Kulturen im Vertragsanbau. Regularien wie die europäische Zuckermarktordnung oder Maisanbau zur energetischen Nutzung verstärken diesen Trend. Andere Kulturen wie z.B. der Hafer sind heute kaum noch auf den Feldern zu finden.

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Die Anbaufläche für Weizen hat sich stetig erhöht. 2011 wurde in Deutschland auf 3,261 Mio. Hektar Ackerland Weizen angebaut.

Die Anbaufläche für Weizen hat sich stetig erhöht. 2011 wurde in Deutschland auf 3,261 Mio. Hektar Ackerland Weizen angebaut.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Dmitry Kalinovsky

Beeindruckendes Test-Sortiment

Für ihre Studie zum Einfluss des Zuchtfortschritts nutzen die Wissenschaftler ein beachtliches Testsortiment. Insgesamt 90 Winterweizensorten mit einer Sortenzulassung zwischen den Jahren 1966 und 2007 wurden betrachtet. Beginnend mit dem Jahr 1966 repräsentierten jeweils ca. 20 Sorten 10 Jahre züchterischen Fortschritt. Für die letzten elf Jahre (1995 – 2007) wurden etwas über 30 Sorten in das Testsortiment integriert. Die Anbauversuche erfolgten an fünf Standorten über einen Zeitraum von drei Jahren (Erntejahre 2009 – 2011), mit mehreren Wiederholungen pro Standort. An drei der fünf Standorte betrachteten die Wissenschaftler zusätzlich eine unbehandelte Variante. Unbehandelt meint in diesem Fall einen Testanbau bei leicht reduzierter Düngung und ohne eine Behandlung gegen Pilzerkrankungen (Fungizid-Behandlung). Damit sollte nachgewiesen werden werden, ob die neueren Sorten im Vergleich zu den älteren Sorten an Robustheit zulegen konnten.

Ergebnisse im Testanbau 

Ausgehend von den 90 untersuchten Sorten konnte über den Zeitraum von 40 Jahren ein jährlicher Ertragszuwachs von 103 kg pro Hektar ermittelt werden. Davon entfielen ca. 31kg für die behandelte und 32 kg für die unbehandelte Sorte auf eine Verbesserung der Sortenleistung und somit auf den züchterischen Fortschritt.

Unmittelbar konnte der Ertragsfortschritt auf eine Erhöhung der Kornzahl pro Ähre zurückzuführt werden. Pro Jahr erhöhte sich diese im Schnitt um 0,14 Körner also knapp sechs Körner je Ähre. Hingegen blieb die Anzahl der ährentragenden Halme und das durchschnittliche Gewicht der Körner (Tausendkorngewicht – TKG) weitestgehend konstant. Als bessere Anpassung an die sich verändernden Umweltbedingungen kann ein zeitig einsetzendes Ährenschieben bei modernen Sorten gesehen werden. Diese beginnen ungefähr einen Tag früher mit dem Ährenschieben, was die Abreife des Korns beschleunigt und eine frühere Ernte ermöglicht. Ein früheres Ährenschieben könnte aber auch zu einer Verlängerung der durchschnittlichen Vegetationsperiode führen. Die Pflanzen bekämen mehr Zeit, um ihre Körner zu füllen.

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Züchtungsfortschritt in den Ertragsstrukturparametern: Anzahl ährentragender Halme (links), Kornzahl pro Ähre (mitte) und Tausendkorngewicht (TKG) (rechts). Der Ertragsfortschritt ist im Mittel der 90 untersuchten Sorten auf eine signifikante Erhöhung der Kornzahl pro Ähre zurückzuführen. Die Anzahl der ährendtragenden Halme und das TKG blieben hingegen gleich. (Quelle: © Jutta Ahlemeyer)

Züchtungsfortschritt in den Ertragsstrukturparametern: Anzahl ährentragender Halme (links), Kornzahl pro Ähre (mitte) und Tausendkorngewicht (TKG) (rechts). Der Ertragsfortschritt ist im Mittel der 90 untersuchten Sorten auf eine signifikante Erhöhung der Kornzahl pro Ähre zurückzuführen. Die Anzahl der ährendtragenden Halme und das TKG blieben hingegen gleich. (Quelle: © Jutta Ahlemeyer)

Im Gegenzug reduzierte sich die Wuchshöhe der Weizenpflanzen. Daraus resultieren stabilere Halme. Pflanzen mit gestauchtem Wuchs führen zu einer geringeren Lagerneigung. So bezeichnet der Fachmann die durch Wind und Regen flach an den Boden gedrückten Getreidehalme. Stehende Halme können das Sonnenlicht effektiver nutzen und reifen besser ab. Ein geringerer Befall mit Pilzen ist eine Folge des stabileren Wuchses, was sich positiv auf die Qualität der Körner auswirkt. Die Anfälligkeit gegenüber Pilzkrankheiten wie Mehltau, Braunrost oder Septoria, dem Erreger der Blattdürre, konnte bei den jüngeren Sorten im Vergleich zu den früher gebräuchlichen stark reduziert werden.

Züchtung bestimmt Ertragsfortschritt

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Hoffnungsträger Forschung: Durch Forschung ist es möglich Sorten zu entwickeln, die noch widerstandsfähiger sind und noch besser an die sich ändernden Umweltbedingungen angepasst sind.

Hoffnungsträger Forschung: Durch Forschung ist es möglich Sorten zu entwickeln, die noch widerstandsfähiger sind und noch besser an die sich ändernden Umweltbedingungen angepasst sind.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Picsfive

Mit den Versuchen wird deutlich: Die heutigen Erträge wären ohne die hohen Sortenleistungen nicht denkbar. Diese sind ihrerseits Ergebnis der Pflanzenzüchtung. Somit trägt diese maßgeblich zum Erhalt des Wirtschaftsbereichs Landwirtschaft bei. Mit Blick auf die massiv wachsenden Herausforderungen der Zukunft (Klimawandel, Bevölkerungswachstum global, Ersatz fossiler Rohstoffe) sind weitere Fortschritte nötig. Diese erfordern höhere Investitionen in die Züchtung. Weltweit spricht man bereits von einer Renaissance. Meinen die Einen damit eine Konzentration auf alte Getreidesorten wie Dinkel oder Emmer zur Herstellung traditioneller Lebensmittel, so verstehen die Wissenschaftler darunter die weltweite Fokussierung auf die Weizenforschung.

Wurden Selbstbefruchter wie Weizen in den zurückliegenden Jahren in der Züchtungsforschung aufgrund fehlender Fördermittel eher stiefmütterlich behandelt, setzen die hiesigen kleinen und mittelständischen Züchtungsunternehmen nunmehr verstärkt auf die Weizenzüchtung. Aus der Genomforschung ergeben sich neue Ansätze sowohl für konventionelle Züchtungsarbeiten als auch für Methoden der Gentechnik. Dies gilt auch für Hybridweizenzüchtung, mit der der Ertrag deutlich gesteigert werden kann. In jedem Fall müssen zukünftige züchterische Fortschritte einher gehen mit verbesserten Methoden beim Anbau, der Ernte, der Lagerung und der Verarbeitung. Landwirtschaft war, ist und bleibt ein komplexes System.


Quelle:
J. Ahlemeyer und W. Friedt (2012): Bericht zum BDP Projekt „Züchtungsfortschritt bei Winterweizen".

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Titelbild: Die heutigen hohen Erträge beim Weizen verdanken wir auch der Pflanzenzüchtung (Quelle: © 3268zauber / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)