Der Tulpenbaum: Ein molekulares Fossil

Mitochondriengenom nahezu unverändert seit Dinosaurierzeit

19.04.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Magnolia grandiflora: Die ursprünglichen, spiralförmigen Blüten haben alle Arten aus der Magnolienfamilie gemein. (Quelle: © Liné1/Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Magnolia grandiflora: Die ursprünglichen, spiralförmigen Blüten haben alle Arten aus der Magnolienfamilie gemein. (Quelle: © Liné1/Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Das Genom der Mitochondrien, der sog. Zellkraftwerke, ist im Tulpenbaum besonders  ursprünglich. Diese Entdeckung ist so außergewöhnlich, dass sie die Evolution der Blütenpflanzen (Magnoliopsida, früher Angiospermen) in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Als „molekulares Fossil“ bezeichnen die Studienautoren den Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera), der zu den Magnoliengewächsen gehört.  Eine extrem geringe Mutationsrate  lässt das Genome seiner Mitochondrien so langsam evolvieren, dass es bis heute auf dem Stand der Dinosaurierzeit geblieben ist

Drei Genome in Pflanzenzellen

Bei tierischen und pflanzlichen Zellen enthält nicht nur der Zellkern Erbinformationen, sondern auch einige Zellorganellen. In Pflanzenzellen findet man insgesamt drei Genome: ein großes im Zellkern und zwei deutlich kleinere in den Mitochondrien und in den Plastiden (Chloroplasten). Diese Zellorganellen sind auf eigentümliche Weise entstanden. Wissenschaftler vermuten, dass sie vor über einer Milliarde Jahren von einer so genannten prä-eukaryotischen Vorläuferzelle, also einer Zelle mit Zellkern, verschluckt, aber nicht verdaut wurden. Dazu wurde zunächst ein sog. Proteobakterium von einer Einstülpung der Zellmembran umschlossen und schließlich vollständig in das Innere, das Protoplasma der prä-eukaryotischen Wirtszelle aufgenommen.

Den neu gewonnenen Mitbewohner stellte die Zelle fortan unter ihre Dienste und funktionierte ihn zu einem Zellkraftwerk um. Mit dem sog. Mitochondrium konnte die Zelle fortan durch Atmung ihre Energie gewinnen. Mitochondrien kommen heute in Tieren, Pilzen und Pflanzen vor. Pflanzliche Zellen fanden offenbar Geschmack an dieser Art der Weiterentwicklung und verspeisten außerdem ein Cyanobakterium - eine Blaualge, die bereits zur Photosynthese befähigt war. Mit diesen Plastiden waren auch Pflanzen in der Lage, Lichtenergie in chemische Energie umzuwandeln. Plastiden und Mitochondrien sind aufgrund dieser Entstehungsgeschichte von zwei Membranen umschlossen: die äußere stammt von der Wirtszelle, die innere vom aufgenommenen Bakterium. Die Entstehungsgeschichte von Mitochondrien und Plastiden nennt man auch die Endosymbiontentheorie.

Ein wichtiges Puzzlestück fehlte bisher

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Hübsches Fossil: Der Tulpenbaum Liriodendron tulipifera gehört zu den ältesten Blütenpflanzen. Auch die genetische Ausstattung seiner Mitochondrien ist seit Jahrmillionen weitestgehend unverändert geblieben.

Hübsches Fossil: Der Tulpenbaum Liriodendron tulipifera gehört zu den ältesten Blütenpflanzen. Auch die genetische Ausstattung seiner Mitochondrien ist seit Jahrmillionen weitestgehend unverändert geblieben.

Bildquelle: © Gary Cote

Doch zurück zum Genom der Mitochondrien: Aufgrund seiner faszinierenden Entstehungsgeschichte wollen Wissenschaftler mehr über dessen Evolution und Ursprung wissen. Die Größe, Anzahl der Gene und die Mutationsrate von Mitochondriengenomen variieren jedoch stark innerhalb des Pflanzenreichs. Auch schien es an einem geeigneten Studienobjekt zu fehlen, einer Linie, die sich evolutionsgeschichtlich schon früh vom Hauptzweig der Pflanzen getrennt hat. .Den Wissenschaftlern fehlte also ein entscheidendes Puzzlestück, um die Evolution der Mitochondriengenome genau rekonstruieren zu können.

Das hat der Tulpenbaum, L. Tulipifera, geändert. Heimisch ist er in Nordamerika. Er gehört zu einer ungewöhnlichen Gruppe von Dicotyledonen, zweikeimblättrigen Pflanzen, die auch als Magnoliids bekannt sind und sich während der Evolution der Blütenpflanzen wahrscheinlich früh abgespalten haben. Magnoliids (ungefähr übersetzbar mit „Magnolienähnliche“, auch "magnoliid complex") ist eine von Botanikern der Angiosperm Phylogeny Group 2009 verwendete informelle englischsprachige Bezeichnung für eine Gruppe von bedecktsamigen Pflanzen. Die zu den Magnoliids gehörenden Arten weisen zahlreiche Merkmale auf, die innerhalb der bedecktsamigen Blütenpflanzen als primitiv gelten. Dazu zählen unter anderem einfurchige (monocolpate) Pollen, nicht miteinander verwachsene, also freie Fruchtblätter, ein radialsymmetrischer Aufbau der Blüte und das Vorhandensein ätherischer Öle.

Immer mit der Ruhe

Als Wissenschaftler das Mitochondriengenom von L. Tulipifera sequenzierten, entdeckten sie die unglaublich geringe sogenannte „stille Mutationsrate“. Eine stille Mutation beeinflusst die Genfunktion nicht. Verglichen mit dem menschlichen Genom ist die Mutationsrate in den Mitochondrien des Tulpenbaums 2000-mal geringer. Das bedeutet, dass die Menge an genetischen Veränderungen, die normalerweise in einer menschlichen Generation auftritt, beim Tulpenbaum 50.000 Jahre dauern würde. Ein Magnolienbaum würde für dieselbe genetische Veränderung in den Mitochondrien allerdings ganze 130.000 Jahre benötigen.

So wurden Ur-Gencluster und tRNA-Gene im Tulpenbaum konserviert. L. tulipifera verfügt außerdem immer noch über viele Gene, die in den letzten 200 Millionen Jahren der Evolution von Blütenpflanzen verloren gegangen sind. Ein bestimmtes tRNA-Gen kommt sogar außer im Tulpenbaum in keiner weiteren bisher sequenzierten Blütenpflanze vor.

Entwicklungsbiologie bei Pflanzen in Deutschland

In Deutschland beschäftigen sich unter anderem Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen mit der Entwicklung und Evolution von Tieren und Pflanzen. Am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln widmen sich Forscher der Abteilung “Entwicklungsbiologie der Pflanzen“ der Regulation dieser Prozesse. Insbesondere beschäftigen sie sich mit der Frage, wie Signale aus der Umwelt in der Pflanze übertragen werden und welchen Einfluss die Umwelt auf die pflanzliche Entwicklung ausübt. Ein spezieller Schwerpunkt ist hierbei die Steuerung des Zeitpunktes der Blütenbildung.

 

 


Quelle:
Richardson A.O. et al. (2013): The "fossilized" mitochondrial genome of Liriodendron tulipifera: Ancestral gene content and order, ancestral editing sites, and extraordinarily low mutation rate. In: BMC Biology 11:29, (15. April 2013), doi:10.1186/1741-7007-11-29.

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Titelbild: Magnolia grandiflora: Die ursprünglichen, spiralförmigen Blüten haben alle Arten aus der Magnolienfamilie gemein. (Quelle: © Liné1/Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)