Ein Appell für mehr Vielfalt:

Nutzt Florigen und Gibberellin als Ansatzpunkte für die Pflanzenzüchtung!

19.09.2019 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Der Blühzeitpunkt und die Anzahl an Blüten, die eine Pflanze ausbildet sind entscheidend für den Ertrag. (Bildquelle: © AnRo0002/Wikimedia.org; CC0)

Der Blühzeitpunkt und die Anzahl an Blüten, die eine Pflanze ausbildet sind entscheidend für den Ertrag. (Bildquelle: © AnRo0002/Wikimedia.org; CC0)

In der Vergangenheit haben landwirtschaftliche Revolutionen dazu geführt, dass immer mehr Menschen ernährt werden konnten. In einem Review führen zwei Wissenschaftler bahnbrechende Veränderungen bei Nutzpflanzen auf zwei Steuerungssystemen zurück: das Hormonsystem um Florigen und Gibberellin. Diese sollten künftig gezielt im Züchtungsprozess genutzt werden, um den Herausforderungen von Heute und Morgen zu begegnen, so ihre Botschaft. Vor allem Methoden der Genomeditierung sollten zum Einsatz kommen, um mehr Vielfalt zu erzeugen.

Es ist paradox: Zehntausende Pflanzen haben essbare Früchte, Samen oder andere genießbare Pflanzenteile. Aber nur einige Hundert Pflanzen werden weltweit kultiviert und die menschliche Ernährung basiert hauptsächlich auf wenigen duzend Arten, wobei Weizen, Mais, Reis und Soja zu den wichtigsten gehören (vgl: „Unsere Hochleistungssorten - Welche Vielfalt nutzen wir?“).

Einige setzten sich durch

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Viele Pflanzen zählen zu den

Viele Pflanzen zählen zu den "Orphan Crops", selbst wenn sie in einigen Regionen der Welt als Grundnahrungsmittel dienen, wie der hier abgebildete Maniok. Als Orphan Crops bezeichnet man Nutzpflanzen, die in der Wissenschaft und auf dem Weltmarkt eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Bildquelle: © feraugustodesign/Pixabay/CC0

Aber warum ist das so? Einige Pflanzenarten waren natürlicherweise zu Beginn der Landwirtschaft vor etwas mehr als 10.000 Jahren für den Menschen besser zu gebrauchen: Sie waren durch bestimmte Mutationen beispielweise bereits gut erntbar, ertragreicher, nahrhafter oder besser für die Nahrungszubereitung nutzbar. So konnten einige als Sieger hervorgehen und wurden kontinuierlich züchterisch für die Landwirtschaft angepasst. Andere fristen bis heute eher ein Nischendasein in Bezug auf Landwirtschaft, Züchtung und Ernährung. Solche Pflanzen nennt man auch Orphan crops.

Zwei zentrale Akteure

Durch kontinuierliche Veränderungen der Pflanzenarchitektur, des Wachstums und der Ertragshöhe wurden unsere modernen Kulturpflanzen Schritt für Schritt geschaffen. In einem Review in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ legen die Wissenschaftler Yuval Eshed und Zachary Lippman anschaulich dar, dass die beiden Hormonsysteme Florigen und Gibberellin, die die Blütenbildung und Pflanzenarchitektur universell steuern, die Basis mehrerer grundlegender Veränderungen waren.

Zunächst erfolgten schrittweise Veränderungen durch zufälligen Mutationen in diesen Hormonsystemen. Doch immer gezieltere züchterische Arbeiten machten es letztlich möglich, die Pflanzen immer effektiver für die Landwirtschaft zu nutzen.

Florigen und Antiflorigen

In beiden Hormonsystemen existieren fördernde und hemmende Signale, die dafür sorgen, dass eine Pflanze ein überlebenswichtiges Gleichgewicht zwischen vegetativem und reproduktivem Wachstum findet. Bei Florigen ist das hemmende Element Antiflorigen.

„Bei fast allen Kulturen wurde der Übergang zur Blüte durch die zentralen und peripheren Regulatoren von Florigen-Antiflorigen modifiziert, um das Wachstum außerhalb einheimischer Lebensräume zu ermöglichen und eine großflächige Feldproduktion zu ermöglichen“, schreiben die Autoren. Durch Unterdrückung von Antiflorigen konnte letztlich eine Veränderung des Aussehens und eine Verschiebung der Entwicklungsphasen stattfinden: Hin zu mehr Blüten, schnelleren Wachstumszyklen und einer für die Landwirtschaft günstigen Frucht- bzw. Samenproduktion. Aber auch zu einer geringeren Wuchshöhe, wie sie Sinnbild für die sogenannte „Grüne Revolution“ ist.

Gibberellin und DELLA-Proteine

Kleinwüchsigkeit ist auch eng verknüpft mit dem Hormon Gibberellin (GA). Bei den Gibberellinen sind DELLA-Proteine die Gegenspieler. DELLA-Proteine sind Wachstumsrepressoren, die durch GA abgebaut werden. Mutationen in der DELLA-Domäne können jedoch dazu führen, dass dies nicht passiert, was sich in einem kleineren Wuchs der Pflanzen äußert. Dieser Umstand löste die „Grüne Revolution“ bei Weizen und Reis aus. Denn die Züchtung von niedrig wachsenden Pflanzen reduzierte beispielsweise das Risiko, dass Stängel allzu leicht abknicken und es so zu erheblichen Ernteeinbußen kommt.  

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Wenn Getreide zu sehr in die Höhe wächst, wächst damit auch das Risiko, dass die Stängel bei starkem Wind, Regen oder Hagel abknicken. Im Zuge der

Wenn Getreide zu sehr in die Höhe wächst, wächst damit auch das Risiko, dass die Stängel bei starkem Wind, Regen oder Hagel abknicken. Im Zuge der "Grünen Revolution" konzentrierten sich Pflanzenzüchtungsprogramme daher vor allem auf die Entwicklung von Pflanzen mit geringer Wuchshöhe.

Bildquelle: © StockSnap/Pixabay/CC0

Hybridpflanzen

Als weiteren Faktor für bahnbrechende Veränderungen nennen die Autoren die Entdeckung von Hybridpflanzen – den ertragreicheren Nachkommen zweier Inzuchtlinien. Auch diese Zuchtform führte zu Veränderungen der Blütenentwicklung und Wuchshöhe und reiht sich daher als züchterische Weiterentwicklung an den Schaltstellen der beiden Hormonsysteme ein. 

Moderne Hochleistungssorten sind nicht das Ende

Die Forscher regen an, gezielte genetische Variationen in Komponenten dieser Hormonsysteme zu erzeugen. Weil Mutationen von Florigen-Antiflorigen bzw. GA-DELLA mehrere Revolutionen hervorgerufen haben, ist es für die Autoren sehr wahrscheinlich, dass die Schaffung einer neuen Vielfalt in diesen beiden Hormonsystemen weitere landwirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Züchtungsprogramme würden mehrfach profitieren. Bestehende Kulturpflanzen könnten weiter optimiert, aber auch Orphan Crops könnten möglicherweise besser für einen großflächigen Anbau genutzt werden. Das wiederum würde die Vielfalt im landwirtschaftlichen Anbau erhöhen sowie die Ernährung der Menschen bereichern und besser absichern.

Die Wissenschaftler sehen vor allem in neuen molekularbiologischen Methoden ein großes Potenzial. Durch Genomeditierung, beispielsweise mit CRISPR/Cas, könnte gezielt und verhältnismäßig schnell Vielfalt entstehen, die über das hinausgeht, was in der Natur bisher vorzufinden ist. Und das direkt, ohne langwierige Rückkreuzungsschritte, wie es in der klassischen Pflanzenzüchtung bisher nötig ist.

Der Klimawandel und „Plant Adaptation Research“ 

Der Klimawandel zwingt auch Pflanzen dazu, sich zu verändern und anzupassen. Doch nicht jede Population ist gut gewappnet, um sich schnell und erfolgreich an neue Bedingungen anzupassen. So prognostizieren Forscher um Detlef Weigel (Exposito-Alonso et al., 2019) beispielsweise für die Modellpflanze Arabidopsis thaliana einen Anstieg der klimabedingten natürlichen Selektion vom südlichen Europa aus gesehen in Richtung Norden. Das würde bedeuten, dass viele einheimische A. thaliana-Populationen aufgrund ihrer individuellen genetischen Ausstattung zukünftig schneller aussterben könnten.

Die Ackerschmalwand ist mit diesem Problem nicht allein – es betrifft auch mehr oder weniger alle unsere Kulturpflanzen. Daher ist ein tieferes Verständnis der genetischen und molekularen Grundlagen von Anpassungsmechanismen in Pflanzen ein prioritäres Forschungsziel, um Pflanzen gezielt für veränderte Wachsbedingungen und -umgebungen fit zu machen. Dieser Zweig der Pflanzenforschung wird auch „Plant Adaptation“ genannt.


Quelle:
Eshed, Y. und Lippmann, Z.B. (2019): Revolutions in agriculture chart a course for targeted breeding of old and new crops. In: Science, (05. September 2019), doi: 10.1126/science.aax0025.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Der Blühzeitpunkt und die Anzahl an Blüten, die eine Pflanze ausbildet sind entscheidend für den Ertrag. (Bildquelle: © AnRo0002/Wikimedia.org; CC0)