Evolution unter der Lupe

Pflanzen reagieren schneller auf Veränderungen als gedacht

03.03.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Darwin ging davon aus, dass Evolution ein langsamer und schrittweiser Prozess ist. Doch es gibt auch schnelle, sprunghafte Veränderungen. (Bildquelle: © iStock.com/clubfoto)

Darwin ging davon aus, dass Evolution ein langsamer und schrittweiser Prozess ist. Doch es gibt auch schnelle, sprunghafte Veränderungen. (Bildquelle: © iStock.com/clubfoto)

Eine Reihe von Genomuntersuchungen bei Pflanzen widerlegen, dass Evolution nur ein langsamer, schrittweiser Anpassungsprozess ist. Denn diese Annahme verkennt die evolutionäre Bedeutung von Transposons (springende Gene) und des horizontalen Gentransfers.

Als Charles Darwin 1859 seine Buch “the origin of life” oder “Der Ursprung des Lebens“ verfasste, schreib er ”… Natural selection acts only by taking advantage of slight successive variations; she can never take a great and sudden leap, but must advance by short and sure, though slow steps." Kurz gesagt ging Darwin davon aus, dass Evolution ein langsamer und schrittweiser Prozess ist, und es nie zu plötzlichen Veränderungen kommen kann.

Lebewesen verändern sich durch Mutation, Selektion, Anpassung, räumliche Isolation und Rekombination des Erbgutes. Dabei bilden sich die Merkmale heraus, welche im entsprechenden Lebensraum von Vorteil sind. Dazu können auch andere Veränderungen beitragen. Fall 1: Neue Arten entstehen bei der Kreuzung zweier Arten. Ihre Nachkommen besitzen den vollständigen Chromosomensatz beider Ursprungsarten (Allopolyploidie). Fall 2: Plötzliche und sprunghafte Veränderungen bei Pflanzen durch springende Gene. Fall 3: Durch einen artübergreifenden Austausch von Genen, dem horizontalen Gentransfer, erwerben Pflanzen neue Eigenschaften. Neue Einblicke ermöglichte in jüngster Vergangenheit eine neue Technologie, die Ultra-Hochdurchsatz-Sequenzierung.

#####1#####
Reis ist diploid. Aber viele bekannte Kulturpflanzen sind polyploid, das heiβt der Chromosomensatz liegt mehr als doppelt (2n = diploid) vor.

Reis ist diploid. Aber viele bekannte Kulturpflanzen sind polyploid, das heiβt der Chromosomensatz liegt mehr als doppelt (2n = diploid) vor.

Bildquelle: © iStock.com/Svetl

Mit vermehrten Chromosomen zu neuen Arten

Viele bekannte Kulturpflanzen sind polyploid, das heiβt der Chromosomensatz liegt mehr als doppelt (2n = diploid) vor. Normalerweise werden bei der Zellteilung die homologen Chromosomen getrennt und die Keimzellen enthalten dann den einfachen Chromosomensatz (n = haploid). Polyploidie entsteht durch Fehler bei der Zellteilung. Die Trennung der homologen Chromosomen auf die Tochterzellen wird verhindert. Stattdessen entsteht eine Keimzelle (Gamet), die das gesamte Genom in doppelter Ausführung enthält. Kommt es zur Verschmelzung mit einer anderen Keimzellen, bei der die Meiose ebenfalls fehlerhaft ablief, entsteht eine befruchtete Eizelle (Zygote) und aus dieser ein Nachkomme mit einem verdoppelten Chromosomensatz (z. B. 4n = tetraploid).

In seltenen Fällen geschieht eine solche Verschmelzung von diploiden Keimzellen zweier verschiedener Arten. In nur einem Schritt entsteht eine komplett neue Art mit einem verdoppeltem Genom. Der Weizen ist ein solcher Spezialfall. Beim Hartweizen sind zwei und beim Brotweizen drei Genome unterschiedlicher Arten verschmolzen.

Im Jahr 1949 wurden zwei allopolyploide Tragopogon-Arten (Tragopogon miscellus und T. mirus) entdeckt. Sie sind natürliche Kreuzungsprodukte unterschiedlicher Arten aus der Tragopogon-Familie. Da diese erst in den letzten 200 Jahren auf natürlichem Weg entstanden, sind die Pflanzen zusammen mit gezielt im Labor erzeugten allopolyploiden Tragopogon-Arten, für die Forscher als Modellsysteme interessant. Denn an diesen lassen sich die zugrunde liegenden Mechanismen untersuchen und besser verstehen. Mit Hilfe der Hochdurchsatz-Sequenzierung untersuchten die Forscher, ob auch genetische Veränderungen im Genom nachweisbar sind. Die Ergebnisse zeigen, dass es innerhalb weniger Generationen zu massiven Veränderung kam. Ganze Chromosomen wurden umverteilt. Aber auch einzelne Genen wurden auf den Chromosomen verschoben (Translokation).

Nachweisbar sind auch Veränderungen im Methylierungsmuster der DNA. Welche Gene wann und wo abgelesen werden, wird durch das Methylierungsmuster beeinflusst. Solche Veränderungen werden auch als Epigenetik bezeichnet, da nicht die „Festplatte“ selbst, sondern nur das Ablesen verändert wird. Es konnten große Unterschiede bei der Expression der Gene nachgewiesen werden. Also nicht nur ob ein Gen abgelesen wird oder nicht, sondern auch wie oft dessen Information ausgelesen wird. Erstmalig können so die Auswirkung von Evolutionsprozessen auf Genome erforscht werden.

#####2#####
Springende Gene (Transposons) sind als Mutationsfaktoren bekannt, welche die Eigenschaften von Genen beeinflussen, wie z. B. hier die Farbe der Maiskörner.

Springende Gene (Transposons) sind als Mutationsfaktoren bekannt, welche die Eigenschaften von Genen beeinflussen, wie z. B. hier die Farbe der Maiskörner.

Bildquelle: © Sam Fentress/ Wikimedia.org; CC BY-SA 2.0

Bedeutung der Multiplikation  

Die Genome der meisten vielzelliger Organismen sind sehr groβ. Sie enthalten mehr als nur die Baupläne von Proteinen und strukturellen DNA-Molekülen. Der größte Teil der Erbsubstanz wurde bis vor einigen Jahren als Genmüll verkannt. Diese - bisher dahin als nichtfunktionale Gene verstandenen - Bestandteile im Erbgut sind sehr oft Transposons, die springenden Gene. So enthält zum Beispiel das menschliche Genom mehr als eine Millionen Kopien eines einzigen Transposons, dem ALU Transposon.

Um etwas mehr Klarheit in die Sache zu bekommen, begannen Wissenschaftler nach Organismen zu suchen, die Transposons enthalten, welche - im Gegensatz zu den springenden Genen in Mais - eher unauffällig herumwandern und dabei stetig ihre Kopienzahl vergröβern. Das mPing, ein MITE (miniature inverted repeat transposable element), erhöht seine Kopienzahl in Reis (Oryza sativa) um 25 bis 40 Insertionen pro Generation. Obwohl es also von Generation zu Generation zur Veränderung des Genoms kommt, hat diese keinen sichtbaren Einfluss auf das Erscheinungsbild der Pflanze. Der Grund für dieses unauffällige Verhalten: Das Transposon fügt sich nur in Intronbereiche ein, also die Abschnitte eines Gens, die nicht in Eiweiße übersetzt werden. Damit bleibt die Funktion der Gene erhalten. Die Zielsicherheit der Insertion des mPing Transposons ist Pflanzenart spezifisch. Wird mPing in Soja-Pflanzen eingebracht, baut es sich häufig in die proteinkodierenden Abschnitte eines Gens, die Exons, ein.  

Springende Gene können aber auch die Proteinbildung anderer Gene modulieren. Nachweisbar wurde dies bei der Transkription eines Gens in Reispflanzen. Allein durch ein in der Nähe des Gens liegendes mPing-Transposon wurde das Gen angeregt und mehr Protein gebildet. In diesem Fall wirkt das Transposon wie ein Schalter für das Gen. Auf diesem Weg können Transposons in kürzester Zeit Einfluss auf die Anpassung von Pflanzen nehmen, auch ohne ein entsprechendes Gen direkt zu verändern.

Neutrale Evolution

Die horizontale, also artenübergreifende, Veränderung von Genen und Genomen, ist eine wichtige Kraft in der Evolution. Durch diese Veränderungen können einmal entstandene Gene auch durch andere Organismen genutzt werden. Bakterien sind im permanenten Austausch ihrer genetischen Informationen. Aber auch bei höheren Organismen kommt es zu massiven genetischen Veränderungen. Der wahrscheinlich bekannteste horizontale Gentransfer ermöglichte das Leben auf der Erde, wie wir es heute kennen. Die Entstehung der Eukaryonten, Organismen deren Zellen einen Zellkern besitzen. Bekannter ist dieser Fakt unter dem Namen der Endosymbiontentheorie. Diese besagt, dass ein Prokaryot einen anderen durch Phagozytose in sich aufgenommen hat und aus diesen Ursprungs-Symbionten Zellen mit Organellen wie Mitochondrien und Plastiden entstanden sind.

#####3#####
Die Urmutter aller Blütenpflanzen, Amborella trichopoda, hat durch horizontalen Gentransfer riesige Mengen artfremder DNA aufgenommen. Das fremde Erbgut hat keinen Einfluss auf das Erscheinungsbild der Pflanze. Es findet sogenannte neutral Evolution statt.

Die Urmutter aller Blütenpflanzen, Amborella trichopoda, hat durch horizontalen Gentransfer riesige Mengen artfremder DNA aufgenommen. Das fremde Erbgut hat keinen Einfluss auf das Erscheinungsbild der Pflanze. Es findet sogenannte neutral Evolution statt.

Bildquelle: © Scott Zona/ wikimedia.org/ CC BY 2.0

Auch heute nutzen Pflanzen diesen Gentransfer, um ihre Genome zu verändern. Bekannteste Beispiele sind für parasitische Organismen und ihre Wirtspflanzen beschrieben. Bei ihnen kommt es zu einem regen Genaustausch. Absolute Meisterin des „Genklaus“ ist die in Neu-Caledonien vorkommende Pflanze Amborella trichopoda. Diese wird auch als Urmutter aller Blütenpflanzen (Angiospermen) angesehen. Das gesamte Mitochondriengenom von Amborella wurde nun sequenziert. Durch artenübergreifenden Gentransfer hat Amborella mindestens sechs Mitochondrien-Genome, die aus verschiedenen Grünalgen, Moosen und anderen Blütenpflanzen stammten, in die eigenen Zellen integriert. Das Erstaunliche ist, dass nicht nur Teile, sondern komplette Genome der Plastiden aufgenommen wurden. Bei Amborella handelt sich um eine neutrale Evolution. Dies bedeutet, dass die Aufnahme der fremden mitochondrialen DNA schon vor vielen Millionen Jahren stattgefunden hat, die DNA intakt ist, aber keine Proteine gebildet werden.

Der horizontale Gentransfer ist bei Pflanzen keine Ausnahme, sondern - so zeigen Genomuntersuchungen - eher die Regel. Alle typischen Mitochondriengenome von Bedecktsamern weisen hohe Raten von DNA-Aufnahme, -Verlust und deren Reorganisation aus. Aber nicht nur in die Plastiden-Genome, sondern auch in das Kerngenom werden fremde Gene übertragen. So haben Pflanzen Gene aufgenommen, welche eine C4-Kohlenstoff-Fixierung ermöglichen, obwohl sie selbst C3-Photosynthese betreiben (siehe unser Beitrag: Pflanzengene überspringen Artgrenzen).

Durch die neuen Sequenziermethoden wird die vergleichende Genomforschung möglich. Diese ermöglicht Einblicke in die Evolution von Pflanzen und zeigt, dass vieles, was auf dem ersten Blick unnatürlich anmutet, in der Natur eher die Regel und nicht die Ausnahme ist. Das bedeutet aber auch, dass wir uns von einem statisch geprägten Evolutionsbegriff verabschieden müssen. Die Evolution nutzt viele Pfade und Variationsmöglichkeiten, um Vielfalt zu schaffen.


Quellen:

  • Tate, J.A. et al. (2009): Synthetic polyploids of Tragopogon miscellus und T. mirus (Asteraceae): 60 years after Ownbey’s discovery. In: Am J Boy., 96:979-988, (Mai 2009), doi: 10.3732/ajb.0800299.
  • Rice, D.W. et al. (2013): Horizontal Transfer of entire genomes via mitochondrial fusion in the angiosperm Amborella. In: Science, 342, 1468-1471, (20. Dezember 2013), doi: 10.1126/science.1246275.
  • Jiang, N. et al. (2003): An active DNA transposon family in rice. In: Nature, 421: 163-167, (9. Januar 2003), doi:10.1038/nature01214.
  • Naito, K. et al. (2009): Unexpected consequences of a sudden and massive transposon amplification on rice gene expression. In: Nature, 461:1130-1134, (22. Oktober 2009), doi:10.1038/nature08479.
  • Scudellari, M. (2014): Genomes gone wild. In: The Scientist, (1. January 2014).

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Darwin ging davon aus, dass Evolution ein langsamer und schrittweiser Prozess ist. Doch es gibt auch schnelle, sprunghafte Veränderungen. (Bildquelle: © iStock.com/clubfoto)