Evolution zum Beobachten?

12.10.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Forscher nutzten für ihre Experimente die Gemeine Nachtkerze. (Bildquelle: © Dcrjsr / Wikimedia.org; CC BY 3.0)

Die Forscher nutzten für ihre Experimente die Gemeine Nachtkerze. (Bildquelle: © Dcrjsr / Wikimedia.org; CC BY 3.0)

Forscher lieferten Beweise dafür, dass Insekten für die Evolution von Pflanzen eine entscheidende Rolle spielen. Und dass vorteilhafte Eigenschaften sich durch genetische Veränderungen innerhalb kürzester Zeit weitervererben können. Evolutionäre aber auch ökologische Veränderungen konnten in Experimenten bereits nach fünf Jahren nachgewiesen werden.

Was passiert, wenn man Pflanzen in zwei Gruppen aufteilt und eine Gruppe vor schädlichen Insekten schützt und die andere nicht: Werden die Populationen sich aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen unterschiedlich entwickeln und ist diese Anpassung nach wenigen Jahren beobachtbar? Sind diese Veränderungen eine Evolution im Schnelldurchlauf? 

Experimente belegen den Einfluss der Insekten

Ein Forscherteam untersuchte die Wirkung von Schadinsekten auf die genetische Ausstattung und die äußeren Merkmale der Gemeinen Nachtkerze (Oenothera biennis); einer selbstbestäubenden Pflanzenart, die ursprünglich aus Nordamerika stammt. Dazu bepflanzten sie insgesamt 16 Parzellen mit jeweils 60 Pflanzen der Gemeinen Nachtkerze. Jede Parzelle enthielt dabei Nachtkerzen mit 18 verschiedenen Genotypen.

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Eine Raupe der Mottenart Schinia florida verschlingt eine Blütenknospe der Gemeinen Nachtkerze.

Eine Raupe der Mottenart Schinia florida verschlingt eine Blütenknospe der Gemeinen Nachtkerze.

Bildquelle: © Marc Johnson

Die Hälfte der Parzellen wurde durch regelmäßige (alle zwei Wochen) Insektizidbehandlungen mit dem Wirkstoff Esfenvalerat vor den Insekten geschützt. Die anderen Parzellen wurden nur mit Wasser gegossen und waren somit dem Insektenbefall ausgesetzt. Um authentische Ergebnisse zu erzielen, wurden die Parzellen ansonsten nicht verändert – man lies sämtlichen Entwicklungen freien Lauf. Die Forscher beobachteten die Pflanzen daraufhin über fünf Jahre und zählten jedes Jahr die Anzahl an Pflanzen und die verschiedenen Pflanzenarten, welche die Parzellen besiedelten.

Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich die beiden Pflanzenpopulationen (mit und ohne Insektizid) im Laufe des Experiments auseinander evolvierten und die Veränderungen sich schneller etablierten, als die Forscher angenommen hatten.

Die Unterschiede werden schnell deutlich

Bereits nach fünf Jahren entdeckten die Wissenschaftler signifikante Unterschiede in der Zusammensetzung der Populationen. Einer von den ursprünglichen 18 Genotypen war völlig ausgerottet, und zwei weitere Genotypen waren nur noch in den behandelten Parzellen auffindbar. Neue Genotypen waren durch Auskreuzungen entstanden, wovon jedoch nur drei sich in ihrer Anzahl häuften. Die behandelte Pflanzenpopulation wies dabei eine deutlich gleichmäßigere genetische Zusammensetzung auf. 

Unterschiedliche Eigenschaften dominierten

Mit Insektiziden behandelte Pflanzen reduzierten ihre Abwehr im Vergleich zu der unbehandelten Pflanzenpopulation: Es waren geringere Konzentrationen von giftigen Substanzen (sogenannten Ellagitanninen) in ihren Früchten nachweisbar. Die Früchte werden durch die giftigen Inhaltsstoffe für Fressfeinde, wie z.B. die samenfressende Mottenart Mompha brevivittella, ungenießbar. Unbehandelte Pflanzen waren wehrhafter, da sie mehr dieser giftigen Substanzen in den Samen anreicherten.

Die Forscher beobachteten auch eine Veränderung des Zeitpunktes zu dem die Pflanzen beginnen Blüten auszubilden. Frühes Blühen begünstigt dabei den Insektenbefall, spätes Blühen hingegen wirkt dem entgegen. Behandelte Pflanzen blühten nachweislich früher, als die unbehandelten Pflanzen. Somit stellt das verzögerte Blühen der unbehandelten Pflanzen eine natürliche Abwehrreaktion dar.

Die entdeckten Unterschiede in den Eigenschaften spiegelten sich nachweislich in der genetischen Differenzierung der Populationen wider.

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Eine Larve der Mottenart Mompha brevivitella verspeist hier die Samen der gemeinsamen Nachtkerze (Oenothera biennis). (Quelle: © Marc Johnson)

Eine Larve der Mottenart Mompha brevivitella verspeist hier die Samen der gemeinsamen Nachtkerze (Oenothera biennis). (Quelle: © Marc Johnson)

Natürliche Selektion durch Fressfeinde

Bei der unbehandelten Gruppe fand eine natürliche Selektion statt, d.h. die Pflanzen mit den vorteilhaften Merkmalen (mehr gifte Stoffe in den Samen, späteres Blühen) vermehrten sich stärker und setzten sich letztlich durch. In der mit Insektiziden behandelten Gruppe, war die Abwehr von Insekten keine überlebenswichtige Eigenschaft mehr, die Pflanzen reduzierten diese daraufhin.

Auch die Interaktion mit pflanzlichen Konkurrenten wurden beeinflusst

In den behandelten Parzellen siedelten sich zudem deutlich mehr pflanzliche Konkurrenten an, wie beispielsweise Löwenzahn (Taraxacum officinale); doppelt so viele, wie in den unbehandelten Parzellen (mit Insekten). Hierdurch waren im direkten Vergleich weniger Nachtkerzen in den behandelten Parzellen anzutreffen. Das Experiment enthüllte somit auch ökologische Veränderungen. Durch die Insektizide wurden Insekten nicht nur von den Nachtkerzen, sondern auch von den Konkurrenten abgehalten. Diese wiederum passten sich ebenfalls an die Bedingungen an und wirkten so auf die Entwicklung der Nachtkerzen ein. So könnte, vermuten die Forscher, der Löwenzahn das Licht daran hindern die Samen der Nachtkerzen zu erreichen, was deren Keimung negativ beeinflusst.

Evolution muss nicht immer Jahrtausende dauern

Die Forscher schlussfolgern, dass die Veränderung in der genetischen Struktur der Populationen eine evolutionäre Folge der Selektion bestimmter Eigenschaften ist. Diese Entwicklung lief zudem sehr schnell ab. Bereits nach einer Generation hatten die Wissenschaftler Veränderungen in der Zusammensetzung nachgewiesen. Nach drei bis vier Generationen waren die Populationen schon signifikant unterschiedlich. Dies würde belegen, dass evolutionäre Veränderungen bei Pflanzen auch innerhalb kürzester Zeit vonstatten gehen können. Die Studie zeigt jedoch auch, dass die Fressfeinde die Abwehr von Pflanzen fordern und noch bessere Abwehrreaktionen begünstigen; wohingegen eine regelmäßige Behandlung der Pflanzen mit Insektiziden die natürliche Abwehr schwächen kann.


Quelle:
Agrawal, A.A. et al. (2012): Insect Herbivores Drive Real-Time Ecological and Evolutionary Change in Plant Populations. In: Science 338, 113, (5.Oktober 2012), DOI: 10.1126/science.1225977.

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Titelbild: Die Forscher nutzten für ihre Experimente die Gemeine Nachtkerze. (Bildquelle: © Dcrjsr / Wikimedia.org; CC BY 3.0)