Fremde Gene für die eigene Entwicklung

01.11.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Das Kleine Blasenmützenmoos diente Forschern als Versuchsobjekt, um einen horizontalen Gentransfer nachzuweisen. (Quelle: © Pirex / wikimedia.org; gemeinfrei)

Das Kleine Blasenmützenmoos diente Forschern als Versuchsobjekt, um einen horizontalen Gentransfer nachzuweisen. (Quelle: © Pirex / wikimedia.org; gemeinfrei)

Vor knapp 500 Millionen Jahren entstanden die ersten Landpflanzen. Neue Forschungsergebnisse legen nun nahe, dass die Pflanzen artfremde Gene in ihr Erbgut aufnahmen, um sich besser an die neuen Umweltbedingungen anzupassen. Forscher fanden im Erbgut von Moosen 128 Gene, die ursprünglich von Bakterien, Pilzen und Viren stammten. Bisher sprach man solch einem horizontalen Gentransfer nur eine geringe evolutionäre Rolle zu.

Übertragen Eltern Gene an ihre Nachkommen, bezeichnet man diesen Vorgang als vertikalen Gentransfer. Erfolgt der Austausch von Genen jedoch über Artgrenzen hinweg nennt man dies einen horizontaler Gentransfer. Häufig findet man horizontalen Gentransfer bei einfachen Organismen wie Bakterien. Bei komplexen mehrzelligen Eukaryoten ist dies ein seltener Vorgang, dem wenig Relevanz für die Entwicklung der Pflanzen zugesprochen wird. Eine Ausnahme bilden symbiotische Beziehungen, bei denen solche Austauschvorgänge durch den engen Kontakt von Wirt und Symbiont mehrfach nachgewiesen und mit der Weitergabe wichtiger Funktionen verbunden werden konnten (vgl. Yoshida, S. et al., 2010; Xi, Z. et al., 2012).

Horizontaler Gentransfer und die Entstehung von Landpflanzen

Forscher liefern nun Hinweise dafür, dass der horizontaler Gentransfer (HGT) eine größere Rolle in der Evolution von Pflanzen spielt, als bisher angenommen. Ihren Ergebnissen zufolge, könnten Gene von Einzellern, Viren und Pilzen Pflanzen bei der Eroberung des Landes vor knapp 500 Millionen Jahren geholfen haben. Sie schlussfolgern aus Erbgut-Analysen, dass HGT ein dynamischer Prozess ist, der häufig in der frühen Evolution der Landpflanzen aufgetreten ist und eine entscheidende Rolle beim Übergang von Pflanzen aus aquatischen zu terrestrischen Umgebungen hatte. Die neu dazugewonnen Gene könnten den Pflanzen also nützlich gewesen sein, um sich an die neuen Umweltbedingungen an Land anzupassen. Ihre Studie untersuchte dafür das Erbgut (Genom) von Moosen, die zu den ersten Landpflanzen gehörten.

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Vor 480- 490 Millionen Jahren besiedelten die ersten Pflanzen das Land. (Quelle: © Gerisch - Fotolia.com)

Vor 480- 490 Millionen Jahren besiedelten die ersten Pflanzen das Land. (Quelle: © Gerisch - Fotolia.com)

Fremde Gene wurden übernommen

Genom-Analysen des Mooses Physcomitrella patens (Kleines Blasenmützenmoos) belegen den HGT: 128 Gene, von 57 verschiedenen Genfamilien, konnten identifiziert werden, die ursprünglich nicht zum Erbgut der Moose gehörten, sondern von Bakterien, Pilzen oder Viren abstammten. Mit Hilfe einer speziellen Software (AlienG) verglichen sie die Gene des Mooses mit DNA-Sequenzen anderer Organismen, die nicht direkt mit den Moosen verwandt sind, also z.B. Einzellern. Das Moos eignete sich für die Analyse sehr gut, da das Genom vollständig entschlüsselt ist. Sie betrachteten dabei nur Gene aus dem Zellkern der Moose.

Von den 57 identifizierten Genfamilien fanden die Forscher beispielsweise 18 auch in Grünalgen. Dies deutet darauf hin, dass die Gene schon vor dem Landgang von den Moosen übernommen wurden.

Die Mehrzahl der übernommenen fremden Gene stammte ursprünglich von Bakterien, zehn der Genfamilien waren ursprünglich von Pilzen und nur eine Genfamilie stammte von Viren ab.

Funktionelle Zuordnung

Die fremden Gene haben spezifische Funktionen und sind bei Pflanzen an einigen wesentlichen Stoffwechsel- und Wachstumsprozessen beteiligt. Darunter die Bildung von Hormonen wie Auxin, das in Pflanzen Wachstumsprozesse beeinflusst. Manche Gene sind an der Produktion von Stärke und Aminosäuren beteiligt. Andere kodieren Enzyme, welche am Wachstum der Stängel und Wurzeln beteiligt sind oder die Samenentwicklung beeinflussen. Auch die pflanzliche Abwehr gegen Krankheiten oder die Anpassung an widrige Bedingungen wie Trockenheit wird von den Fremdgenen unterstützt. Dies sind wichtige Funktionen, um sich an die teilweise suboptimalen Bedingungen an Land anzupassen. 

Die zukünftige Forschung muss nun klären, ob auch bei höheren Landpflanzen ein solcher HGT nachweisbar ist. Ein HGT bei komplexen Organismen könnte danach weitaus häufiger vorkommen, als bisher angenommen. Fände man weitere Belege für einen Gentransfer über Artgrenzen hinweg, so müsste sein Einfluss auf die Entstehung der Landpflanzen überdacht werden. Andererseits ist die Studie auch ein Beleg dafür, mit welcher Vielfalt und Raffinesse die Natur einmal entstandene molekulare Werkzeuge nutzt, um neue Lebensräume zu erschließen.


Quelle:
Yue, J. et al. (2012): Widespread impact of horizontal gene transfer on plant colonization of land. In: Nature Communications, 3: 1152, 23. Oktober 2012, DOI: 10.1038/ncomms2148.

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Titelbild: Das Kleine Blasenmützenmoos diente Forschern als Versuchsobjekt, um einen horizontalen Gentransfer nachzuweisen. (Quelle: © Pirex / Wikimedia.org; gemeinfrei)