Frühlingserwachen verstehen

Blütenbildung wird durch nicht-kodierende Gensequenzen beeinflusst

24.03.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Der Blühbeginn im Frühling richtet sich nicht nach dem Kalender, sondern nach Umweltfaktoren wie Temperatur und Tageslänge. (Bildquelle: © SouthernRebel/pixabay; CC0)

Der Blühbeginn im Frühling richtet sich nicht nach dem Kalender, sondern nach Umweltfaktoren wie Temperatur und Tageslänge. (Bildquelle: © SouthernRebel/pixabay; CC0)

Pflanzen erkennen an der Umwelt, wann es Zeit ist zu blühen. Doch Veränderungen der Umweltbedingungen verlangen von der Pflanze Anpassungen - auf molekularer Ebene. Ein deutsches Forschungsteam hat beim Modellorganismus Arabidopsis thaliana an einem für die Blütenbildung entscheidenden Gen (FLM) natürliche Veränderungen in nicht-kodierenden Sequenzen identifiziert, die zu einer erfolgreichen Anpassung führen. Noch vor einigen Jahren galten solche Bereiche als „Junk“-DNA, molekularer Müll. Heute weiß man es besser, denn das Wissen um solche „Junk“-DNA kann helfen, die Blütezeit unserer Nutzpflanzen an unterschiedliche Standorte anzupassen. Aber auch an die durch den Klimawandel bedingten Veränderungen.

Laut Kalender, das heißt astronomisch, hat der Frühling bei uns in diesem Jahr am 20. März begonnen. Der meteorologische Frühlingsanfang war bereits am 1. März. Doch so richtig ist der Frühling laut einer Volksweisheit erst da, wenn die ersten Schneeglöckchen aus dem Boden sprießen. Wann die Pflanzenwelt im Frühling „erwacht“ und zu blühen beginnt, ist vor allem abhängig von den Umweltbedingungen: von der Tageslänge und der Temperatur.

Den richtigen Zeitpunkt finden

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Schneeglöckchen sind die Vorboten des Frühlings: Ihr Blühbeginn gibt das Signal für den Vorfrühling, daher werden sie Zeigerpflanzen genannt.

Schneeglöckchen sind die Vorboten des Frühlings: Ihr Blühbeginn gibt das Signal für den Vorfrühling, daher werden sie Zeigerpflanzen genannt.

Bildquelle: © Hans/pixabay/CC0

Der richtige Zeitpunkt zur Blüte ist für Pflanzen essentiell - blühen sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt kann dies verheerende Konsequenzen haben. Zum Beispiel wenn nach frühlingshaften Temperaturen ein später Frost einsetzt. Vor allem für die Landwirtschaft ist der optimale Blühzeitpunkt wichtig, um die Ernte sicherzustellen.

Im Zuge des Klimawandels verändern sich aber die Umweltbedingungen zunehmend. Das hat wiederum Auswirkungen auf das Wachstum und die Entwicklung von Pflanzen und erhöht die Gefahr den „richtigen“ Moment fürs Blühen zu verpassen. Die pflanzliche Anpassungsfähigkeit an beispielweise veränderte Temperaturen ist daher ein wichtiges Forschungsfeld. Vor diesem Hintergrund erforscht man auch die molekularen Grundlagen der Blütenbildung.

Vorteilhafte Mutationen bleiben

Die genetische Ausstattung ist die „Bedienungsanleitung“ für den Blütenbildungsprozess. Doch das ist kein starres System. Im Laufe der Evolution haben sich immer wieder zufällige Mutationen im Genom eingeschlichen, die zu bleibenden Veränderungen geführt haben. Nicht immer haben Mutationen einen (positiven) Effekt. Aber wenn sie sich als nützlich erwiesen, dann können Veränderungen im Erbgut fixiert werden und der Art helfen, sich besser an ihre Umwelt anzupassen.

Auf genau solche vorteilhaften genetischen Veränderungen hat sich eine Studie mit Forschenden des Lehrstuhls für die Systembiologie der Pflanzen der Technischen Universität München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München konzentriert. Im Fokus stand hier ein am Blühprozess beteiligten Gen mit Namen FLOWERING LOCUS M (FLM).

Die natürliche Vielfalt des FLM-Gens untersucht

Versuchsobjekt war die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana. Durch die im 1001 Arabidopsis-Genom-Projekt (siehe hierzu auch: „Die Taufliege der Pflanzenforschung“) erarbeiteten Grundlagen konnte das Forschungsteam vergleichende Sequenzanalysen am FLM-Gen durchführen. Warum FLM? FLM bindet direkt an die DNA und beeinflusst maßgeblich die Blütenbildung im Temperaturbereich von 5°C bis 23°C. Dabei bildet es mit dem Transkriptionsfaktor „SHORT VEGETATIVE PHASE“ (SVP) einen Komplex, der weitere Gene für die Blütenbildung hemmt und so den Blühzeitpunkt nach hinten verschiebt.

Wie genau die Genexpression von FLM reguliert wird und ob Unterarten von Arabidopsis unterschiedliche Wege gefunden haben, wie FLM exprimiert und gespleißt wird, um sich an unterschiedliche Klimate bzw. Umgebungstemperaturen anzupassen, war unklar.

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Ein Forschungsteam vom Lehrstuhl für die Systembiologie der Pflanzen der Technischen Universität München (TUM) beschreibt zusammen mit Kollegen vom Helmholtz Zentrum München in der Zeitschrift „eLife“ die Ergebnisse einer vergleichenden Sequenzanalyse des Gens FLM (FLOWERING LOCUS M) aus über tausend Arabidopsis-Genomsequenzen.

Ein Forschungsteam vom Lehrstuhl für die Systembiologie der Pflanzen der Technischen Universität München (TUM) beschreibt zusammen mit Kollegen vom Helmholtz Zentrum München in der Zeitschrift „eLife“ die Ergebnisse einer vergleichenden Sequenzanalyse des Gens FLM (FLOWERING LOCUS M) aus über tausend Arabidopsis-Genomsequenzen.

Bildquelle: © Regnault/ TUM

Durch Untersuchungen weiß man bereits, dass die Umgebungstemperatur sowohl die Transkription als auch das „alternative Spleißen“ vom FLM bedingt - ein Mechanismus, bei dem bei der Prozessierung von prä-mRNA in reife mRNA mehrere Varianten des Proteins „zurechtgeschnitten“ werden. So entstehen neben FLM-α, der ursprünglichen Form des Proteins, zusätzlich die Varianten FLM-β und FLM-δ.

Funktionsmodell muss neu überdacht werden 

Man ging bisher davon aus, dass FLM-β und FLM-δ um SVP „konkurrieren“. Bei kühleren Temperaturen geht FLM-β eine Bindung ein und die Blütenbildung wird unterdrückt. Bei wärmeren Temperaturen koaliert FLM-δ mit SVP, wodurch der Komplex die Fähigkeit verliert an DNA zu binden, was wiederum die Blütenbildung auslöst.

Doch die aktuelle Studie zeigte, dass FLM-β einen stärkeren Effekt auf die Blütenbildung hat als FLM-δ. Darüber hinaus waren die FLM-δ-Konzentrationen insgesamt so gering, dass die Ergebnisse laut den Wissenschaftlern darauf hindeuten, dass FLM-δ biologisch irrelevant sein könnte, d. h. doch keine wichtige Funktion übernimmt. Die Variante FLM-β scheint demnach sowohl in kühleren als auch in wärmeren Perioden ausschlaggebend zu sein.  

Nicht-kodierende Bereiche sind entscheidend

Bereits früher ist man auf entscheidende Veränderungen bzw. Anpassungen bei Arabidopsis gestoßen: Eine schottische Variante der Ackerschmalwand „Killean-0“ (kurz: Kil-0) blüht rund zwei Wochen früher als ihre Verwandten hierzulande und produziert laut früheren Untersuchungen von Ulrich Lutz an der TUM - der ebenfalls bei der aktuellen Studie Erstautor ist - weniger FLM-β. Das macht sie zum Frühblüher (siehe: „Springendes Gen macht Pflanzen zu Frühblühern“). Damals entdeckt man: Ein Transposon (auch „springendes Gen“ genannt) ist dafür verantwortlich.

Anschließend wurden noch neun weitere Ökotypen gefunden, die über die gleiche genetische Variation verfügen. Dies schien demnach eine nutzbringende Veränderung zu sein, die sich im Genpool von Arabidopsis verstetigte. Darüber hinaus entdeckte man bei Untersuchungen, dass vor allem die nicht-kodierenden Bereiche bei der Genexpression von FLM benötigt werden. Denn in Experimenten mit transgenen Pflanzen, deren FLM-Gene keine sogenannten „Introns“ enthielten, konnten keine FLM-Proteine in nachweisbaren Mengen produziert werden. Introns sind nicht-kodierende Sequenzen innerhalb des Gens, die für die Herstellung reifer mRNA herausgespleißt werden.

Für den Wissenschaftler Lutz waren diese Erkenntnisse Anlass genug, sich weiter mit Sequenzvariationen auseinanderzusetzen und die natürlichen Variationen, die FLM steuern, auf molekularer Ebene zu untersuchen. 

Ein kleiner, aber feiner Unterschied

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Bereits Temperaturänderungen von wenigen Grad Celsius während der Wachstumsphase von Kulturpflanzen, wie beispielsweise Raps, haben eine negative Auswirkung auf die landwirtschaftliche Produktion. Die neuen Erkenntnisse könnten künftig dabei helfen, die Blütezeit an die im Rahmen des Klimawandels veränderten Temperaturen anzupassen.

Bereits Temperaturänderungen von wenigen Grad Celsius während der Wachstumsphase von Kulturpflanzen, wie beispielsweise Raps, haben eine negative Auswirkung auf die landwirtschaftliche Produktion. Die neuen Erkenntnisse könnten künftig dabei helfen, die Blütezeit an die im Rahmen des Klimawandels veränderten Temperaturen anzupassen.

Bildquelle: © Gallus Tannheimer / pixelio.de

Das Forschungsteam entdeckte in ihren Untersuchungen kleine genetische Variationen an nicht-kodierenden Promotorsequenzen und Introns, die einen Einfluss auf die Genexpression von FLM haben. Die Promotorregion ist insofern entscheidend, als dass sie den Startpunkt der Transkription darstellt und somit die Genexpression steuert.

Das Gen enthält sechs Introns. Intron 1 enthält wichtige Informationen für die allgemeine Expression, wohingegen Introns 2-6 zur temperaturabhängigen Expression beitragen. In den Untersuchungen fand man eine 373 Basenpaare große bzw. kleine Region in Intron 1, die für die Expression entscheidend ist. Für die (temperaturabhängige) Regulation von FLM waren zwei Bereiche ausschlaggebend: ein verändertes Nukleotid-Triplet in Intron 6 und beim Promotor vier Punktmutationen (SNPs) in einer Region, die „PRO2+“ genannt wurde. Zusammengenommen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Mutationen in den Regionen „PRO2+“ und bei Intron 6 („INT6+“) unabhängig voneinander mehrfach entstanden sind und dass diese Stellen bevorzugt während der Arabidopsis-Blütenanpassung selektiert wurden. 

Stellschraube im Genom

Wird das Gen häufiger abgelesen und demnach viel FLM-Protein gebildet, beginnt die Pflanze später zu blühen. Der Blühzeitpunkt kann hier also justiert werden: Über die gefundenen  Sequenzveränderungen kann reguliert werden wie viel FLM produziert wird und somit, wann die Pflanze den Blühprozess einleitet.

Die neuen Erkenntnisse könnten den beteiligten Forschenden zufolge nicht nur zur Steuerung des Blühzeitpunkts in Arabidopsis relevant sein. Diese genetischen Veränderungen könnten künftig auch in Nutzpflanzen die Stellschraube sein, über die der Blühzeitpunkt gesteuert werden kann. So könnten Temperaturveränderungen durch den Klimawandel ausgeglichen und Ernteverluste vermieden werden. Doch bis zur Anwendung in der Züchtung von Nutzpflanzen ist es noch ein langer (Forschungs-)Weg. Denn die Rolle der FLM-Orthologen in anderen Kreuzblütlern (Brassicaceae), inklusive agronomisch relevanter Pflanzenarten, ist noch unbekannt.

Die Studie ist auch ein weiteres Beispiel dafür, wie es einem Organismus gelingt, mit einem überschaubaren Set an genetischem Material (rund 27.000 Gene bei Arabidopsis thaliana) eine Fülle an Variationsmöglichkeiten zu entwickeln.


Quelle:
Lutz, U. et al. (2017): Natural haplotypes of FLM non-coding sequences fine-tune flowering time in ambient spring temperatures in Arabidopsis. In: eLife 3/2017, (15. März 2017), doi: 10.7554/eLife.22114.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Der Blühbeginn im Frühling richtet sich nicht nach dem Kalender, sondern nach Umweltfaktoren wie Temperatur und Tageslänge. (Bildquelle: © SouthernRebel/pixabay; CC0)