Führende Genomforscher wollen Bioökonomie vorantreiben

28.05.2010 | von Redaktion Biotechnologie.de

Bioökonomie bedeutet nachhaltig zu wirtschaften (Quelle: © iStockphoto.com/Ettore Marzocchi)

Bioökonomie bedeutet nachhaltig zu wirtschaften (Quelle: © iStockphoto.com/Ettore Marzocchi)

Die Biotechnologie als Innovationsmotor soll helfen, für Herausforderungen wie knappe Nahrungsmittel, Klimawandel und Umweltverschmutzung neue Lösungen zu entwickeln. Die Potenziale für eine Bioökonomie, also einem auf Lebewesen oder biologischen Materialien aufbauenden, nachhaltigen Wirtschaften, diskutierten führende Genomforscher und Bioinfomatiker Mitte Mai in Montpellier.

In das südfranzösische Montpellier hatten die Internationale Humangenom-Organisation (HUGO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zum ersten gemeinsamen Symposium „Genomics and Bioeconomy“ eingeladen. Den Begriff der biobasierten Bioökonomie (biobased economy) hatte die OECD erstmals 2004 aufgebracht. Hierunter wurden vor allem die Anwendungen der industriellen Biotechnologie gefasst. Die Veranstalter der Tagung in Montpellier verwenden den Begriff nun wesentlich breiter: „Wir verstehen darunter ein künftiges Wirtschaften, das immer besser biologische Prozesse, Materialen und Lebewesen zu nutzen versteht und alle Gebiete des menschlichen Schaffens betrifft“, sagte Ian Gillespie, Leiter der OECD-Abteilung für Wissenschaftspolitik. Dazu zähle neben der Biotechnologie im Gesundheitssektor die Züchtung von Nutztieren und Nutzpflanzen mit verbesserten Eigenschaften sowie die industrielle Biotechnologie, die etwa auf die Produktion von Enzymen, Chemikalien oder Biotreibstoffen abzielt. 

Das Prinzip des grünen, nachhaltigen Wachstums („green growth“), das von der Biotechnologie ausgehen soll, falle nicht zuletzt in den Zeiten der Wirtschaftskrise auf fruchtbaren Boden, so Gillespie. Aus seiner Sicht geht es nun darum, die Genomwissenschaften als eine „wichtige Komponente einer lebendigen Bioökonomie zu etablieren“.

Dritte Generation an Sequenzierern

Parallel mit der OECD ist auch bei HUGO der Wunsch nach einer Diskussion zum Thema Bioökonomie gereift, erzählt der Präsident der Internationalen Humangenomorganisation Edison Liu. Genauso wie die Pflanzenforscher auf 10 Jahre Arabidopsis- und Reis-Genomsequenzierung zurückblicken können, feiert die Human-Genomforschung in diesem Jahr ihr großes Jubiläum: Denn ebenfalls vor zehn Jahren wurde die komplette Sequenz des menschlichen Erbguts veröffentlicht. Einen Tag vor dem Start des jährlichen "HUGO Human Genome Meeting", sei es nun erstmals gelungen, hochkarätige Forscher zum Thema "Bioökonomie" zusammenzubringen, so Liu.

Knapp 70 Teilnehmer, davon 20 Vortragende, präsentierten und diskutierten Ideen, wie Genomforschung und ihre Technologien die Entwicklung der Weltwirtschaft vorantreiben können. In seinem einführenden Vortrag machte Edison Liu deutlich, wie sehr der rasante methodische Fortschritt die Genomentschlüsselung verändert hat. „Die dritte Generation von Sequenzierungsverfahren erreicht enorme Lesegeschwindigkeiten und stellt große Mengen an genetischen Informationen zur Verfügung“. Liu rief dazu auf, diese Informationen müssten für eine breite Nutzung zugänglich sein. Zugleich forderte er, über neue Modelle nachzudenken, wie genomische Daten kommerzialisiert und miteinander ausgetauscht werden können.

Energie aus Pflanzen

Neben medizinischen Themen und Anwendungen der Weißen Biotechnologie ging es auch um die Frage, wie Pflanzen als nachwachsende Rohstoffe die Bioökonomie antreiben können.

Ein Hoffnungsträger der grünen Biotechnologen sind Algen. Die US-Firma Algenol hat bestimmte Cyanobakterien gentechnisch so verändert, das sie besonders effizient Ethanol als Biosprit herstellen können. „Wir haben einige Stämme so verändert, dass sie bis zu 80 Prozent des angebotenen Kohlendioxids in Ethanol umwandeln können“, sagte Dirk Radzinski, Manager bei Algenol. Das Unternehmen, das auch eine Niederlassung in Berlin betreibt, hat zudem ein raffiniertes Kultursystem entwickelt: In zeltförmigen Tanks wird Algenbrühe kultiviert, Ethanol verdunstet und lagert sich als Kondensat am Zeltdach ab, wo es kontinuierlich abgeführt werden kann. In riesigen Arealen in der mexikanischen Wüste und im US-Bundesstaat Texas baut Algenol nun Pilotanlagen mit diesen Photobioreaktoren auf, um Ethanol im industriellen Maßstab herzustellen.

Forschungsbedarf für die verbesserte Produktion von Biosprit sieht Edward Rubin, Direktor am kalifornischen Joint Genome Institute (DOE JGI), das vom US-Energieministerium getragen wird. Nach seiner Ansicht gibt es zu flüssigen Treibstoffen auch in den nächsten Jahrzehnten keine Alternative, da nur solche Stoffe eine hohe Energiedichte aufweisen, wie sie etwa für den Flugverkehr gebraucht werden. Zahlreiche Genomprojekte in seinem Hause zielen darauf ab, künftig bessere Biotreibstoffe herzustellen. „Wir müssen bessere Energiepflanzen entwickeln, die mehr Biomasse aufbauen“, so Rubin. 

Ein weiterer Fokus: Die Aufspaltung von Zellulose in Zuckermolekülen. In den Verdauungstrakten von Termiten, Beuteltieren, Dungkäfern und Muscheln habe man über 1000 Enzyme entdeckt, die Zellulose und Hemizellulose spalten könnten. Rubin betonte, der Trend gehe weg vom Bioethanol („ein furchtbarer Biotreibstoff“), hin zur Produktion von langkettigen Alkoholen und Alkanen. Nicht nur er sieht das aufstrebende Gebiet der synthetischen Biologie daher als einen Weg, um neuartige Mikroben zu entwickeln, die solche Biotreibstoffe herstellen. 

In Folge des Symposiums trafen sich Experten und Verantwortlichen der OECD zu einem Runden Tisch, bei dem politische Rahmenbedingungen und Hürden, patentrechtliche Fragen, aber auch Fördermöglichkeiten und Kooperations-Vorhaben zu Genomforschung und Bioökonomie diskutiert wurden. Nun soll ein Strategiepapier mit Empfehlungen an die Politik erarbeitet werden. 


Dieser Artikel wurde durch eine Kooperation mit der Redaktion von Biotechnologie.de unseren Lesern zur Verfügung gestellt. Der Beitrag erschien dort in der Rubrik "Politik".

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