Fünf nach Zwölf

Stellungnahme zum Artenrückgang in der Agrarlandschaft

20.11.2018 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Zwischen 1998 und 2009 um mehr als 36 Prozent gesunken: Der Bestand der Feldlerche, einer typischen Vogelart in der Agrarlandschaft. (Bildquelle: © pixabay.com)

Zwischen 1998 und 2009 um mehr als 36 Prozent gesunken: Der Bestand der Feldlerche, einer typischen Vogelart in der Agrarlandschaft. (Bildquelle: © pixabay.com)

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die acatech und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften haben eine Stellungnahme zum Biodiversitätsverlust in unserer Agrarlandschaft veröffentlicht. Neben den Ursachen werden dort auch Lösungsvorschläge vorgestellt.

„Die Lage ist dramatisch“, betont Prof. Hanns Hatt, Präsident der Akademieunion, bei der Vorstellung der Stellungnahme. „Unsere Kinder und Enkel werden uns fragen: ‚Habt ihr das gewusst?'“ Insbesondere für Vögel, einzelne Insektengruppen und Pflanzen gibt es wissenschaftlich abgesicherte Analysen, die belegen, dass die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft stark abnimmt. So sanken die Bestände von typischen Vogelarten in der Agrarlandschaft – z. B. von Feldlerche, Star und Kiebitz – zwischen 1998 und 2009 um mehr als 36 Prozent.

Auch Schutzgebiete sind betroffen

Selbst Schutzgebiete sind betroffen. In einem Gebiet nahe Regensburg sank die Zahl der Schmetterlings- und Widderchen-Arten zwischen 1840 und 2013 von 117 auf 71. In Bezug auf Insekten war es insbesondere eine Studie aus Krefeld, die 2017 große Aufmerksamkeit erregte. Die Studie zeigte zum Beispiel, dass die Biomasse an Fluginsekten in geschützten Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg zwischen 1989 und 2016 im Mittel um 76 Prozent abgenommen hat.

#####1#####
Sogar in Schutzgebieten sinkt die Zahl der Schmetterlings- und Widderchen-Arten.

Sogar in Schutzgebieten sinkt die Zahl der Schmetterlings- und Widderchen-Arten.

Bildquelle: © pixabay.com

 „Ohne Bestäuber verlieren wir 10 Prozent unserer Lebensmittel“, erläutert Prof. Alexandra Klein von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg die Folgen. Gemessen am Wert der ökologischen Dienstleistung von Bestäubungsinsekten, der global auf 153 Mrd. Euro geschätzt wird, ist dies auch aus ökonomischer Sicht nicht unerheblich.

Viele Faktoren kommen zusammen

Was sind die Gründe für den Schwund der Artenvielfalt? Hierauf gibt es keine einfache Antwort. Beim Thema Landnutzung spielen eine erhöhte Nutzung und Düngung von trockenem oder feuchtem Grünland eine Rolle. Aber auch die Zunahme von ertragreichen Ackerbaukulturen, wie Mais, Raps oder Weizen ist ein Problem. Hinzu kommt, dass der Mischfruchtanbau heute keine gängige Praxis mehr ist und die intensive Nutztierhaltung dominiert. Die vorbeugende, flächendeckende Ausbringung von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden trägt ebenfalls ihren Teil bei.

Rückzugsräume nehmen ab

Der Rückgang von Rückzugsmöglichkeiten für die Tiere lässt sich schon mit bloßem Auge erkennen. Die Vergrößerung der betrieblichen Einheiten zugunsten großflächiger Ackerbaukulturen lässt die Schutzräume schrumpfen. Gleichzeitig sind Baumreihen, Hecken, Feldgehölze oder Brachen größtenteils verschwunden. Unversiegelte Flächen werden immer seltener, Siedlungs- und Verkehrsflächen nehmen zu.

Biologische Vielfalt als öffentliches Gut

In der Stellungnahme wird deutlich, dass die Landwirte einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Biodiversität leisten können. Dabei wird aber betont, dass ein nachhaltiger Schutz der biologischen Vielfalt nur als gemeinsame Aufgabe von Landwirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gedacht werden könne.

Akuter Handlungsbedarf konstatiert

Die Ursachen und Folgen des Verlusts der biologischen Vielfalt berühren viele Entscheidungs- und Handlungsebenen. Einseitige Maßnahmen sind demnach kaum erfolgsversprechend. Die Autoren fokussieren deshalb zum einen auf eine Anpassung der Agrarpolitik auf deutscher und europäischer Ebene. Ziel ist es, dass sich eine biodiversitätsfreundliche Bewirtschaftung für Landwirte lohnt. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) solle zur Finanzierung der entsprechenden Maßnahmen genutzt werden. Dabei solle die Förderung sich stärker am Erreichen von Zielen und weniger anhand von Maßnahmen bemessen lassen.

#####2#####
Großflächige Ackerbaukulturen lassen die Schutzräume für Tiere schrumpfen.

Großflächige Ackerbaukulturen lassen die Schutzräume für Tiere schrumpfen.

Bildquelle: © iStock.com/Meinzahn

Weiteres Potenzial wird den Gemeinden zugeschrieben. Schließlich werden viele Entscheidungen über die Bewirtschaftung von Flächen in der Agrarlandschaft in den Kommunen getroffen. Durch entsprechende Verordnungen für Gärten, Grünanlagen, Parks und Gewerbegebiete könne eine biodiversitätsfreundliche Gestaltung von Grünflächen vorgegeben werden.

Vielfältige Akteure sind gefordert

Ein weiterer Vorschlag ist die Kennzeichnung von regionalen und biodiversitätsfreundlichen Produkten im Handel. Aber auch bereits Vorhandenes könne verbessert werden: Derzeit bestehende Schutzgebiete müssten vergrößert und biodiversitätsfreundlicher bewirtschaftet werden. Das bedeutet, dort auf den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zu verzichten und Pufferzonen um die Schutzgebiete einzurichten, um sie vor unerwünschtem Stoffeintrag abzuschirmen.

Das alles geht nicht ohne die Mithilfe der Zivilgesellschaft. Ohne deren geschärftes Bewusstsein für die Bedeutung der biologischen Vielfalt werden sich die gesellschaftlichen Prioritäten nicht ändern. Die Vermittlung von Wissen steht hier an erster Stelle. Schlussendlich wird in der Stellungnahme ein umfänglicher Ausbau des langfristigen, bundesweiten und standardisierten Monitorings gefordert – nur so könne später die Wirksamkeit von Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt überprüft werden. Trotz der auch in Zukunft anstehenden Forschungsanstrengungen macht Prof. Dr. Böhning-Gaese (Senckenberg Forschungszentrum Biodiversität und Klima) deutlich: „Wir wissen genug, um jetzt sofort handeln zu können!“


Quellen:

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Zwischen 1998 und 2009 um mehr als 36 Prozent gesunken: Der Bestand der Feldlerche, einer typischen Vogelart in der Agrarlandschaft. (Bildquelle: © pixabay.com)