„Galactische“ Brücken im Chloroplast

Neue Einblicke in die Chloroplasten ergänzen Bild der Endosymbiontentheorie

21.09.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Chloroplasten, so weit das Auge reicht. Im Bild zu sehen sind die Chloroplasten des Birnmooses (Bryum). (Bildquelle: © Des_Callaghan/ Wikimedia.org/ CC BY-SA 4.0)

Chloroplasten, so weit das Auge reicht. Im Bild zu sehen sind die Chloroplasten des Birnmooses (Bryum). (Bildquelle: © Des_Callaghan/ Wikimedia.org/ CC BY-SA 4.0)

Die Chloroplasten sind die Photosynthese-Fabriken der Pflanzen, ihr Herzstück wiederum die Thylakoiden. Damit die Energiegewinnung aus Licht nicht versiegt, müssen sie ausreichend mit Galactolipiden versorgt werden. Um die molekulare Maschinerie am Laufen zu halten, ist eine spezielle Aminosäurenkette (NDGD1) nötig, die das Synthase-Enzym DGD1 komplettiert, so die Ergebnisse einer Studie deutscher Forscher. Auf der Suche nach ihrer evolutionären Vorgeschichte stießen sie immer wieder auf Berührungspunkte zur Endosymbiontentheorie.

Dem ein oder anderen dürften zumindest die Chloroplasten noch ein Begriff aus dem Biologieunterricht der achten Klasse sein, anders jedoch bei den Thylakodien. Dabei sind gerade sie die eigentlichen Zentren der Photosynthese, ohne die kein Leben auf diesem Planeten, so wie wir es kennen, möglich wäre. Umgeben von einer Doppellipidschicht, die das Innere der Chloroplasten vom Cytoplasma trennt, bilden die Thylakoiden in diesen Zellorganellen ein eigenes Membransystem. Es besteht aus vielen geschlossenen, abgeflachten und übereinander gestapelten grünen Membransäckchen. Sie sorgen für die Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie, beherbergen die lichtsammelnden Chlorophyll-Protein-Komplexe und die Reaktionszentren der Photosynthese.

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Barbara Klisch und Peter Dörmann vom Institut für Molekulare Physiologie und Biotechnologie der Pflanzen an der Universität Bonn. Im Vordergrund zu sehen sind besagte Arabidopsis-Pflanzen, deren Chloroplasten die Forscher unter die Lupe genommen haben.

Barbara Klisch und Peter Dörmann vom Institut für Molekulare Physiologie und Biotechnologie der Pflanzen an der Universität Bonn. Im Vordergrund zu sehen sind besagte Arabidopsis-Pflanzen, deren Chloroplasten die Forscher unter die Lupe genommen haben.

Bildquelle: © Barbara Frommann/ Universität Bonn

Im Zentrum der Photosynthese

Es verwundert daher nicht, dass ihnen eine hohe Aufmerksamkeit zuteilwird, schließlich gibt es in Bezug auf die Photosynthese noch einiges zu erforschen. Dies gilt auch für Peter Dörmann, Direktor des Instituts für Molekulare Physiologie und Biotechnologie der Pflanzen (IMBIO) der Uni Bonn. Seit Jahren beschäftigt er sich mit den Galactolipiden, die in den Thylakoiden in Bezug auf die Gesamtheit der Membranlipide die Mehrheit stellen (ca. 75 %). In einer aktuellen Studie haben er und seine Mitstreiter nun den Produktionsprozess der beiden Galactolipide Monogalactosyldiacylglycerol (MGDG) und Digalactosyldiacylglycerol (DGDG) unter die Lupe genommen und dabei neue Erkenntnisse gesammelt. Zur Einordnung für alle, die bisher weder von DGDG noch von MGDG gehört haben: Laut Dörmann bilden beide zusammen die größte Lipidklasse bei Pflanzen.

An der Produktion von MGDG und DGDG sind maßgeblich zwei Enzyme (Synthasen) beteiligt. Das Enzym MGD1 für MGDG, das Enzym DGD1 für DGDG. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch das DGD2-Enzym erwähnt, das bei der DGDG-Synthese unter Phosphatmangel das Zepter übernimmt. Während MGDG und DGDG wie beschrieben in den Thylakoiden aktiv sind – MDGDG u. a. als Bestandteil des Photosystems I, DGDG im Lichtsammelkomplex II – liegt ihr Produktionsort jedoch woanders.

Über Umwege ans Ziel

Ort des Geschehens ist in diesem Fall die eingangs erwähnte Doppellipidschicht, deren eine Hülle den Chloroplasten nach außen abschirmt, die andere dem Chloroplasteninneren zugewandt ist. Zwischen ihnen befindet sich ein mit Flüssigkeit, hauptsächlich mit Wasser gefüllter Raum. Und genau hier knüpft Dörmanns Entdeckung an. „Lipide können nicht einfach durch das Wasser wandern“, erklärt er. Wie es aussieht, hat die Natur zumindest für DGDG aber einen Weg gefunden. Denn während MGDG an der Innenhülle produziert und von dort aus zu den Thylakoiden transportiert wird, werden die DGDG-Lipide an der Außenhülle gebildet. Sie müssen zunächst in das Innere der Chloroplasten verfrachtet werden, um anschließend zu den Thylakoiden zu gelangen.

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Chloroplast im Querschnitt: (1) äußere Membran, (2) Intermembranraum, (3) innere Membran, (4) Stroma, (5) Thylakoidlumen (im Inneren des Thylakoids), (6) Thylakoidmembran, (7) Granum, (8) Thylakoid (Stromalamelle), (9) Stärkekörper, (10) plastidäres Ribosom, (11) plastidäre DNA, (12) Plastoglobulus.

Chloroplast im Querschnitt: (1) äußere Membran, (2) Intermembranraum, (3) innere Membran, (4) Stroma, (5) Thylakoidlumen (im Inneren des Thylakoids), (6) Thylakoidmembran, (7) Granum, (8) Thylakoid (Stromalamelle), (9) Stärkekörper, (10) plastidäres Ribosom, (11) plastidäre DNA, (12) Plastoglobulus.

Bildquelle: © SuperManu/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

NDGD1 macht den Weg frei

Wie nun die Analysen und Untersuchungen von Dörmann und seinem Team ergaben, ist hierfür die richtige Signalsequenz (NDGD1) am N-terminalen Ende der DGD1-Synthase entscheidend. Es handelt sich hierbei um eine Kette aus 338 Aminosäuren, die für die DGDG-Produktion entbehrlich sein mag, nicht jedoch für den DGDG-Transport von der Außenhülle durch die Membran in das Innere.

Kurz gesagt sorgt besagte Kette dafür, dass die innere und äußere Hülle der Doppelmembran zusammengezogen werden. Dabei wird die wässrige Lösung im Zwischenraum verdrängt, bis sich beide Membranen berühren und eine Art Brücke bilden. Über sie schlüpfen die DGDG-Moleküle dann vom Äußeren ins Innere. Hierbei kann es passieren, dass sie einzelnen MGDG-Fragmenten begegnen, die von innen nach außen wandern. Darüber hinaus dient die Brücke dem Austausch von Bauteilen für die Galactolipidproduktion.

NDGD1 kommt somit eine entscheidende Rolle bei der Versorgung der Thylakoiden mit DGDG-Galactolipiden zu. Ihre Entschlüsselung macht den selektiven Austauschprozess im Rahmen endlich nachvollziehbar. „Ohne das Protein kann der Chloroplast nicht überleben. Ohne Chloroplast kann die Pflanze nicht überleben“, fasst Barbara Klisch, Mitglied von Dörmanns Team zusammen.

Rückgrat der Thylakoiden

Ältere Studien von Dörmanns Team haben gezeigt, dass Pflanzen, im damaligen Fall Arabidopsis-Mutanten, deren Galactolipidversorgung der Thylakoiden gestört war, im Wachstum stark gehemmt waren. Dabei fiel auf, dass die alleinige Versorgung durch MGDG, das wie erwähnt an der Innenhülle der Chloroplastenmembran hergestellt wird, die Ausfallerscheinungen kaum kompensieren konnte. Wie es aussieht, sind sowohl MGDG als auch DGDG nötig, um für die Funktionstüchtigkeit der Thylakoiden und damit auch die Aufrechterhaltung der Photosynthese zu sorgen.

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Hagebutten sind bekannt für ihren hohen Gehalt an Galactolipiden. Das Pulver aus den Samen und Schalen der Früchte wird zur Behandlung von Arthrose eingesetzt. Aktive Inhaltsstoffe sind in diesem Fall die Galactolipide.

Hagebutten sind bekannt für ihren hohen Gehalt an Galactolipiden. Das Pulver aus den Samen und Schalen der Früchte wird zur Behandlung von Arthrose eingesetzt. Aktive Inhaltsstoffe sind in diesem Fall die Galactolipide.

Bildquelle: © condesign/ pixabay/ CC0

NDGD1 macht den Unterschied

Während die Studie klare Hinweise über die Funktion und Bedeutung der NDGD1-Aminosäurenkette liefert, ist das Bild in Bezug auf die evolutionäre Vorgeschichte getrübt. So wichtig NDGD1 für die korrekte Einbettung und Integration der Chloroplasten in der Pflanzenzelle zu sein scheint, so unklar ist die Herkunft, da bislang keine Entsprechungen in den Genomen von Prokaryoten gefunden wurden. Dörmann und sein Team spekulieren, dass die Erweiterung von DGD1 durch NDGD1 im Zuge der Endosymbiose geschah. Sie vermuten, hier auf ein wichtiges molekulares Element der Endosymbiontentheorie gestoßen zu sein.

Berührungspunkte mit der Endosymbiontentheorie

Die Theorie erklärt die Entstehung der Eukaryoten mit dem Versuch eines Prokaryoten, einen anderen zu verspeisen (Phagocytose). Da dieser jedoch nicht verdaut wurde, lebte er im Inneren weiter, wo er sich zum Endosymbionten entwickelte. Prokaryoten, denen dieses Schicksal widerfuhr, verloren im Laufe der Zeit einen Teil ihre ursprünglichen Funktionen, spezialisierten sich im Gegenzug aber u. a. auf die Gewinnung und Speicherung von Energie.

Zur Gruppe der Plastiden zählend, bei denen es sich um Zellorganellen handelt, die aus solchen Endosymbionten hervorgegangen sind, mussten die Vorläufer der Chloroplasten einen Weg finden, in ihrer neuen Umgebung zu überleben. In diesem Fall betraf es die Fähigkeit, Galactolipide weiterhin herzustellen. Ohne die Hilfe der NDGD1-Erweiterung wäre dies, davon gehen Dörmann und sein Team aus, kaum möglich gewesen. Gleichzeitig räumt er ein: „Unsere bisherigen Untersuchungen sind noch nicht das Ende unserer Forschung.“ Nichtdestotrotz knüpft Dörmann mit seiner Arbeit an eine alte Tradition an: 1883 entwickelte Andreas Franz Wilhelm Schimper die Endosymbiontentheorie, und zwar nirgendwo anders als an der Universität Bonn.


Quelle:
Kelly, A. et al. (2016): Synthesis and transfer of galactolipids in the chloroplast envelope membranes of Arabidopsis thaliana. In: PNAS, (6. September), doi: 10.1073/pnas.1609184113.

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Chloroplasten, so weit das Auge reicht. Im Bild zu sehen sind die Chloroplasten des Birnmooses (Bryum). (Bildquelle: © Des_Callaghan/ Wikimedia.org/ CC BY-SA 4.0)