Genomische Selektion – Aufbruch in ein neues Züchtungszeitalter

23.05.2011 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

DNA-Sequenziermaschine (Quelle: © iStock.com/dra_schwartz)

DNA-Sequenziermaschine (Quelle: © iStock.com/dra_schwartz)

Komplexe, aber ökonomisch wichtige Eigenschaften wie Ertrag oder Schädlingsresistenz sind schwierig zu züchten, da sie von mehreren Genen gleichzeitig beeinflusst werden. Die Genomische Selektion verspricht Züchtern eine schärfere Auslese und eine höhere Verlässlichkeit bei der Auswahl geeigneter Kreuzungspartner.

In den letzten Jahren sind die Kosten für die Kartierung genetischer Marker erheblich gesunken. Das weckte die Hoffnung, in erheblich kürzerer Zeit neue Nutzpflanzenvarianten erzeugen zu können, die deutlich bessere Eigenschaften als ihre Vorgänger aufweisen. Auf der Wunschliste der Züchter stehen gesteigerte Erträge, bessere Qualität und erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen biotischen und abiotischen Stress. Die traditionelle markergestützte Selektion (engl.: marker assisted selection, MAS) konnte diesen Erwartungen jedoch nur bei der Verbesserung monogener Merkmale gerecht werden.

Monogene Merkmale 

Der Kostenverfall für die Markerbestimmung hat vor allem zur Verbesserung monogener Eigenschaften beigetragen. Darunter versteht man Eigenschaften, die nur von einem einzigen Gen bestimmt werden. Zur MAS benutzen Züchter meist sogenannte SNP-Marker (engl. Single Nucleotide Polymorphism), da diese Marker über das gesamte Genom verteilt zu finden und relativ einfach und kostengünstig zu analysieren sind. Genetische Marker liegen in der Nähe des jeweiligen Zielgens – oder auch im Zielgen - und werden mit hoher Wahrscheinlichkeit gemeinsam mit diesem vererbt. Ist bekannt, welches Gen für einen bestimmten Phänotyp verantwortlich ist, dienen genetische Marker den Züchtern als Orientierungspunkte im Genom. Daran können sie feststellen, welches Allel im mindestens doppelten Chromosomensatz einer Pflanze an die Tochtergeneration weitergegeben wird. 

Mit der traditionellen MAS konnten Züchter monogene Eigenschaften erfolgreich beeinflussen. Bei komplexen, polygenen Eigenschaften wie Ertrag oder Trockentoleranz war das nicht der Fall. „Die Verlässlichkeit der Vorhersage eines polygenen Merkmals ist zu gering, um einen ökonomischen Mehrwert für die Züchtung zu erzielen“, bestätigt die Biochemikerin Dr. Martina Schad, die im März dieses Jahres mit dem Quantenphysiker Dr. Jim Kallarackal die Firma OakLabs gegründet hat. Dabei sind gerade polygene Eigenschaften besonders interessant für Züchter, denn sie verleihen einer Pflanze Widerstandsfähigkeit und machen sie durch gesteigerte Ernteerträge ökonomisch wertvoll. 

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Basenfolgen einer sequenzierten DNA.

Basenfolgen einer sequenzierten DNA.

Bildquelle: © iStock.com/ dra_schwartz

Polygene Merkmale

Selektieren Züchter auf ein polygenes Merkmal – ein Merkmal, das von mehreren Genen bestimmt wird – stößt die traditionelle MAS an ihre Grenzen. Hier hat jedes einzelne Gen oft nur einen kleinen Effekt auf die Gesamtausprägung der Eigenschaft. Über spezifische Studien, zum Beispiel Assoziationsstudien oder QTL-Kartierungs-Studien, versuchen Züchter genau diese Gene bzw. QTLs zu finden, die das Merkmal beeinflussen. „Wir bestimmen dann, wo im Genom diese QTLs liegen und wie groß deren Effekte sind“, erklärt Prof. Dr. Chris-Carolin Schön vom Lehrstuhl für Pflanzenzüchtung der Technischen Universität München. Die QTL-Studie dient dabei als Vorstudie zur Selektion. „Von den zahlreichen Markern betrachten wir am Ende jedoch nur diejenigen, die ein positives Signal bezüglich des polygenen Merkmals zeigen“ so Prof. Schön. „Aufgrund der begrenzten Populationsgrößen von QTL-Studien erreichen wir aber häufig nicht die statistische Auflösung, die nötig wäre, um die zahlreichen Gene zu entdecken, die ein Merkmal beeinflussen“, so Prof. Schön weiter. 

Die Züchtungsvorhersagen, die aufgrund solcher Untersuchungen getroffen werden können, gelten nicht für die gesamte Population. Kreuzt man in einen neuen genetischen Hintergrund ein, verlieren QTL-Studien häufig ihre ohnehin schon geringe Verlässlichkeit. 

Genomische Selektion verbessert Verlässlichkeit

Abhilfe brachten schließlich die Tierzüchter. Dort wurde im Jahr 2001 die Idee der Genomischen Selektion erstmals publiziert. „Die Revolution in der Genotypisierung hat die Genomische Selektion gefördert“, erinnert sich Prof. Schön. Dass die Pflanzenzüchter nicht selbst darauf gekommen sind, erklärt sie mit dem enormen Vorteil, den beispielsweise Rinderzüchter aus der Genomischen Selektion ziehen. Bis ein Zuchtbulle ausreichend getestet und zur Zucht freigegeben wird, vergehen oft mehrere Jahre, in denen immense Kosten anfallen. Dies ist bei Pflanzen nicht der Fall. „In der Pflanzenzüchtung werden in der Regel nur sehr wenige Individuen homozygot gekreuzt. Dadurch werden relativ große Blöcke gemeinsam vererbt“, so Prof. Schön. Das hat zur Folge, dass in der Pflanzenzüchtung weniger Marker benötigt werden als in der Tierzüchtung, wo es zahlreiche Rekombinationen gibt. „Aber eigentlich hätten die Pflanzenzüchter diesen Gedanken auch zuerst haben können“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. In ihrem Lehrstuhl für Pflanzenzüchtung vereint sie im Projekt „Synbreed“ erfolgreich das Knowhow aus Tier- und Pflanzenzüchtung.

Mehr Marker für verlässlichere Vorhersagen

Die Genomische Selektion ist eine Verbesserung der traditionellen MAS. „Bei einer QTL-Kartierung muss sich der Züchter immer mit denjenigen Markern zufrieden geben, die er zufällig in seiner Stichprobe entdeckt hat. Bei der Genomischen Selektion gehen wir davon aus, dass das gesamte Genom von Markern abgedeckt ist“, erklärt Prof. Schön den wesentlichen Unterschied beider Vorgehensweisen. Am Anfang jeder Genomischen Selektion steht ein sogenanntes Trainingsset. Dieses entsteht aus mehreren Tausend Markern, aus denen Züchter für jedes Individuum ein spezifisches Markerprofil erstellen.

Soll beispielsweise der Ertrag von Mais verbessert werden, genotypisiert der Züchter etwa 1.000 Maispflanzen. Jede dieser Pflanzen besitzt ein bestimmtes DNA-Marker-Profil; beispielsweise kartiert der Züchter 50 Tausend DNA-Marker pro Pflanze. Jedem dieser Genotypen ordnet er den betreffenden phänotypischen Wert zu – in diesem Fall den Ertrag der Pflanze.

Bei einer QTL-Untersuchung müsste der Züchter alle 50 Tausend Marker dahingehend überprüfen, ob sie mit einem Ertragsgen gekoppelt sind. In der Genomischen Selektion werden alle 50 Tausend Marker in Betracht gezogen und der gesamte Zuchtwert über alle Marker hinweg für eine bestimmte Kombination von Allelen bestimmt. Der Effekt eines Markers wird in diesem Fall simultan vor dem Hintergrund der übrigen 49.999 Marker geschätzt. Dazu sind nur komplexe bioinformatische Programme in der Lage. Die Effekte der einzelnen Marker sind bei der Genomischen Selektion nicht von Bedeutung. 

Für Genotypen mit unbekanntem Phänotyp, beispielsweise Maispflanzen ohne bekannten Ertrag, kann der Züchter über das Markerprofil dieser Pflanzen vorhersagen, welchen Ertrag diese voraussichtlich erzeugen werden. Diese Vorhersage bezeichnet man als den „Genomischen Zuchtwert“. Er gilt auch für die gesamte Population, selbst wenn in einen anderen genomischen Hintergrund eingekreuzt wird.

Ob sich die Genomische Selektion für ein bestimmtes Zuchtprogramm besser eignet als eine phänotypische Erfassung, muss jeder Züchter individuell prüfen und dabei auch die unterschiedlichen Kosten je nach Anwendung und Population in Betracht ziehen.

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Genomsequenz.

Genomsequenz.

Bildquelle: © iStock.com/Libby Chapman

Verbesserungsbedarf

Schwachstellen der neuen Züchtungstechnik sieht Dr. Schad in der geringen Anzahl der untersuchten SNP-Marker. Die Individuen einer Art unterscheiden sich in einigen Millionen Basen in ihrem Genom, den sogenannten SNP-Markern. „In der Routine werden aber aus Kostengründen oder Limitierung der derzeitigen Technologien maximal einige Zehntausend dieser DNA-Marker eingesetzt. Je mehr Marker aber in Verbindung mit einem Merkmal gebracht werden können, desto verlässlicher ist am Ende die Aussage über den Zuchtwert eines Individuums“, so Dr. Schad.

In Zusammenarbeit mit ihrem Partner Dr. Jim Kallarackal hat sie ein neuartiges Verfahren entwickelt, mit dem bis zu 500 Tausend Marker simultan analysiert werden können. Dr. Kallarackal adaptierte einen dazu passenden Lern-Algorithmus aus der Mustererkennung. „Ein Lern-Algorithmus ist den bisher benutzten rein statistischen Verfahren weit überlegen, da er diese große Anzahl an Markern bearbeiten und sich neuen Gegebenheiten anpassen kann“, weiß der Quantenphysiker. Sobald Laborräume zur Verfügung stehen, steht die bisher einzigartige Technik Kunden aus Forschung und Wirtschaft zu Verfügung.

Die Markeranzahl hält die erfahrene Züchterin Prof. Schön jedoch nur bedingt für relevant. „In manchen Populationen kann man bereits mit wenigen Tausend Markern stabil arbeiten. Für die Wahl der Anzahl der Marker ist wichtig, wie groß das Trainingsset ist und welche genetische Struktur es hat“, so Prof. Schön. Viele Züchtungspopulationen seien nicht zufallspaarend und hätten dadurch eine Struktur mit großen Kopplungsblöcken, so dass die Erhöhung der Anzahl der Marker wenig Erfolg versprechend sei. 

Wie wird die genomische Selektion die Pflanzenzüchtung verändern?

In den USA ist die Genomische Selektion seit 2009 die Standardmethode zur Bullenselektion. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Man kann schärfer selektieren, Zeit sparen und die Wahl der Züchtungseltern neu überdenken“, so Prof. Schön. Sie ist sich sicher, dass die genomische Selektion für die Veränderung polygener Merkmale auch in der Pflanzenzüchtung bald etabliert sein wird.


Quellen:

  • Prediction of Total Genetic Value Using Genome-Wide Dense Marker Maps. T. H. E. Meuwissen, B. J. Hayes and M. E. Goddard. In: Genetics 157: 1819–1829 (April 2001) (Abstract).
  • Genomic Selection in plant breeding: from theory to practice. Jean-Luc Jannink, Aaron J. Lorenz and Hiroyoshi Iwata. In: Briefings in functional genomics. Vol 9. No 2. 166-177 (2010) (Abstract).

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Titelbild: DNA-Sequenziermaschine (Quelle: © iStock.com/dra_schwartz)