Geschwindigkeit der Pflanzenmutationen messbar

11.03.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

(Quelle: © Michael Bührke / www.pixelio.de)

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Die Geschwindigkeit der Evolution – es klingt wie eines der letzten großen Rätsel unserer Erde. Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam ist diesem Geheimnis auf der Spur.

Sie ist ein Liebling der Pflanzenforscher; sozusagen die „Maus der Pflanzenforscher“: Die kleine Ackerschmalwand (lat. Arabidopsis thaliana) ist eine unscheinbare Pflanze. Sie wächst in nur sechs Wochen heran, stellt keine hohen Ansprüche an seine Umwelt, enthält ein sehr komplexes Genom mit lediglich 125 Megabasen Größe und weltweit gibt es große Kollektionen von Mutanten, genetischer Variation also. Die Ackerschmalwand ist zudem die erste Pflanze, deren Genom vollständig entziffert (sequenziert) wurde. Kurz gesagt, die Pflanze hat für die Forschung überaus günstige Eigenschaften und ist als der Modelorganismus der Pflanzenforscher die bestuntersuchte Pflanze weltweit.

Gute Gründe somit, weshalb Stephan Ossowski aus Tübingen mit seinen Kollegen die Ackerschmalwand für die eigenen Forschungsarbeiten nutzte. Fünf Ackerschmalwand-Linien ließen sie jeweils über 30 Generationen wachsen und verfolgten die Anzahl und Art der entstandenen Mutationen.

Als dieser Generationszyklus vollständig durchlaufen war,  unterschieden sich die fünf  Arabidopsis-Linien durch insgesamt 99 Mutationen von ihren Urahnen. Als ob das nicht schon erstaunlich genug wäre, hatten sich im Genom an 17 weiteren Stellen Areale eingeschoben oder ganze Bereiche sind verschwunden. Jedes neue Pflänzchen hat durchschnittlich zwei Mutationen in seinem Erbgut, die bei seinen Eltern noch nicht vorhanden waren. Somit deutet alles darauf hin, dass das Genom flexibler ist, als man bisher angenommen hatte. Es sind daher lediglich 60 Millionen Individuen erforderlich, sodass durchschnittlich an jeder Stelle des Erbguts eine Mutation vorkommt. Bei einem weltweit vorkommenden Beikraut wie Arabidopsis aber auch bei global angebauten Kulturpflanzen ist diese Zahl einzelner Pflanzen schnell erreicht. 

Das deutsch-amerikanische Forscherteam erachtet die Erkenntnisse als essentiell für viele Bereiche der Biologie. Besonders Bereiche wie der Pflanzenschutz (Phytopathologie), in der Agrochemie aber auch in der Pflanzenzüchtung werden von diesen neuen Erkenntnissen profitieren.  Die relativ hohe Geschwindigkeit er Mutationen erklärt demnach, dass Pflanzen bereits nach einigen wenigen Jahren eine Immunität gegenüber verschiedener Mittel entwickeln können. Als Faustzahl gilt ein Vorlauf von ca. 10 Jahren, bis sich Resistenzen oder Toleranzen herausbilden. Gute landwirtschaftliche Praxis, also ein sinnvoller Umgang mit Pflanzenschutzmitteln, der regelmäßige Wechsel von Wirkstoffen oder die Einhaltung der Fruchtfolge oder von Brachen, unterstützt und verlängert die Nutzungszeit. Längere Nutzungszeiten helfen langfristig die Entwicklungs- und Herstellungskosten einzuspielen.  Für Pflanzenzüchter sind die Ergebnisse relevant, denn man kann nun davon ausgehen, dass der Zuchterfolg proportional zur (ausreichend großen) Anzahl von Pflanzen im Zuchtprozess ist. Markergestützte Selektion, also die Nutzung des Wissens von Gen-Funktions-Beziehungen, hilft hier die Individuenzahl zu reduzieren und Kosten sparen. Denn anders gesagt: Je mehr Pflanzen, desto höher die Wahrscheinlichkeit die agronomisch gewünschten Mutationen zu finden.

Alle Ergebnisse zusammengefasst, erlauben einen Bogen zur Menschheit zu spannen. Die Forschungsarbeiten lassen demnach Rückschlüsse zu, dass die menschliche Mutationsrate mit hoher Wahrscheinlichkeit der vom Ackerschmalwand ähnelt. Die Geschwindigkeit der Evolution liegt somit deutlich über dem, was bisher vermutet wurde.


Quelle:
Stephan Ossowski (Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen) et al.: Science, Bd. 327, S. 92; 04.01.2010.

Titelbild: (Quelle: © Michael Bührke / www.pixelio.de)