Giftige Stoffe aus doppelten Genen

Evolution wirkt auf unterschiedlichste Weise auf Enzymbildung ein

06.06.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Prunkwinden nutzen Alkaloide zur Schädlingsabwehr. (Quelle: © iStockphoto.com/ Poula Hansen)

Prunkwinden nutzen Alkaloide zur Schädlingsabwehr. (Quelle: © iStockphoto.com/ Poula Hansen)

Pflanzen sind Individualisten. Viele von ihnen stellen Stoffe her, die keine zweite Pflanze produzieren kann. Die speziellen Werkzeuge, die sie dafür brauchen, haben sich aus ganz normalem Zellinventar entwickelt. Dietrich Ober ist den evolutionären Mechanismen hinter diesem Prozess auf der Spur.

Eine Raupe frisst sich mit unermüdlichem Hunger durch das Blatt einer Tabakpflanze. Plötzlich fällt sie abrupt zu Boden. Ihr Nervensystem ist vom Nikotin gelähmt worden. Wenig später ist sie tot, der Tabak hat gewonnen. Nikotin ist für die meisten Insekten ebenso giftig wie für den Menschen. Genau aus diesem Grund macht der Tabak sich überhaupt die Mühe, diesen psychoaktiven Stoff herzustellen: Es ist seine effektivste Verteidigung gegen Fraßfeinde.

Sekundäre Pflanzenstoffe sind Überlebenshelfer in einer feindlichen Umwelt

Nikotin ist kein Einzelfall, insgesamt sind inzwischen über 200.000 sekundäre Pflanzenstoffe bekannt. Sekundäre Pflanzenstoffe sind all die Moleküle, die nicht am Aufbau neuer Zellen beteiligt sind und daher zunächst als überflüssig oder zweitklassig angesehen wurden. Meistens werden sie nicht in der ganzen Pflanze, sondern nur in bestimmten Geweben produziert. Inzwischen weiß man, dass die Stoffe den Pflanzen beim Überleben helfen. Sie schützen vor Schädlingen, Viren, Pilzen und UV-Strahlen. Außerdem locken sie Bestäuber an. Dem Menschen dienen sie derweil als Medikamente, Genuss- oder Rauschmittel.

Um diese speziellen Stoffe herzustellen, brauchen die Pflanzen sehr individuelle Werkzeuge. Die Enzyme, die am Sekundärmetabolismus beteiligt sind, sind hochspezialisiert und kommen in nur einer oder einigen wenigen Pflanzenarten vor. Sie haben sich aus Duplikationen anderer Gene entwickelt. Genduplikationen sind im Pflanzenreich keine Seltenheit, manche Pflanzen besitzen das gleiche Gen in zwanzigfacher Ausführung, und es gibt mehrere Theorien darüber, wie daraus ein Enzym mit neuer Funktion entstehen kann.

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Die Blätter des Jakobskrauts sind denen von Rucola-Salat sehr ähnlich.

Die Blätter des Jakobskrauts sind denen von Rucola-Salat sehr ähnlich.

Bildquelle: © Rasbak / wikimedia.org; CC BY-SA 3.0

War die neue Funktion schon da oder ist sie spontan entstanden?

Eine Theorie besagt, dass die Evolution auf einer Genkopie wahllos alles ausprobieren kann, was ihr gefällt. Rein zufällig könnten so neue Funktionen entstehen. Etwas weniger waghalsig ist die Theorie der Subfunktionalisierung. Sie geht davon aus, dass ein Enzym von Anfang an verschiedene Substrate verarbeiten kann, jedoch nicht beide gleich gut. Nach einer Genverdoppelung könnte sich jede Kopie auf eine Aufgabe spezialisieren.

Erst seit relativ kurzer Zeit beschäftigen sich die Wissenschaftler mit der Evolution dieser Enzyme. Einer, der schon sein ganzes Forscherleben an diesem Thema hängt, ist Professor Dietrich Ober von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er untersucht Prunkwinden (Convolvulaceae), die giftige Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) herstellen. PAs kommen zum Beispiel in Jakobskraut vor. Die Blätter der gelbblühenden Pflanze sind denen des Rucola sehr ähnlich. Vor einigen Jahren wurden diese versehentlich unter Rucola-Salat in Supermärkten gemischt, wodurch ein Lebensmittelskandal ausgelöst wurde. Denn PAs werden in der Leber zu giftigen Stoffwechselprodukten abgebaut. In bestimmten Konzentrationen können die Abbauprodukte des Alkaloids die Leber stark schädigen und zum Tode führen.

Das erste Enzym im Stoffwechselweg dieser Alkaloide ist die Homospermidin-Synthase (HSS). Ober war 1999 an den Forschungsarbeiten beteiligt, die zeigten, dass HSS aus einer Kopie eines Gens des Primärmetabolismus hervorgegangen ist.

Doch nicht jede Prunkwinde kann Pyrrolizidin-Alkaloide herstellen und diejenigen, die es können, sind nicht besonders stark miteinander verwandt. „Unsere Hypothese lautete daher, dass die Prunkwinden mehrmals unabhängig voneinander den gleichen Mechanismus entwickelt haben“, erklärt Ober.

Ein Enzym kann nicht zwei unterschiedliche Aktivitäten gleichzeitig optimieren

Doch so war es nicht. Nur ein einziges Mal in dieser Pflanzenfamilie ist HSS aus einer Genduplikation entstanden. Und dieses Ereignis liegt weitaus länger in der Vergangenheit, als die Forscher angenommen haben. „Hoppla, so alt ist das Enzym schon? Das war wirklich überraschend für uns“, beschreibt Ober seine Gedanken zu dem Ergebnis.

Die Evolution hat sich einfach viel Zeit gelassen um aus der Genkopie ein neues Enzym zu entwickeln. Und welches Modell hat sie angewandt? Ist die neue Funktion aus dem Nichts entstanden oder war sie vorher schon da? „Wir haben es hier eher mit einer Subfunktionalisierung zu tun“, so Elisabeth Kaltenegger, die in der Arbeitsgruppe von Ober geforscht und ihre Doktorarbeit zu diesem Thema verfasst hat. Das Vorläuferenzym konnte beide Reaktionen ausführen: die überlebenswichtige Katalyse im Primärstoffwechsel und die Herstellung von HSS. Allerdings war letztere nicht besonders effektiv. Die Optimierung von zwei Aktivitäten in ein und demselben Protein ist einfach unmöglich. Deshalb sind Genduplikationen so wichtig.

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Professor Dietrich Ober von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel untersucht Prunkwinden, die giftige Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) herstellen.

Professor Dietrich Ober von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel untersucht Prunkwinden, die giftige Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) herstellen.

Bildquelle: © L. Shyamal/ Wikimedia.org; CC-BY-SA-3.0

Wechselwirkungen zwischen Proteinen verlangsamen die Evolution

Schuld an der langsamen Evolution ist der Aufbau des Enzyms. Da es aus zwei Teilen besteht, die nur gemeinsam funktionieren, birgt jede Mutation das hohe Risiko eines Totalausfalls mit letalen Folgen für den Organismus. Eine Mutation an einer funktional hochsensiblen Stelle in einer Genkopie könnte die Funktion des Enzyms komplett zerstören, auch wenn die andere Kopie noch intakt ist. In so einem Fall hat die Evolution kein Interesse daran, überhaupt etwas zu verändern. „Man spricht hier auch von einer reinigenden Selektion, die alle Änderungen aussortiert“, so Ober.

Und wie konnte HSS dann doch noch entstehen? „Der Trick war die räumliche Trennung“, erklärt Ober. Wenn die beiden Gene nur noch in unterschiedlichen Pflanzenteilen abgelesen werden, dann kommen sie sich nicht in die Quere. Die Evolution konnte endlich ihren Lauf nehmen.

Wie genau die Pflanzen diese räumliche Trennung bewerkstelligen, das ist noch unklar. Dietrich Ober bleibt auf jedem Fall an dem Thema dran. „Die Pyrrolizidin-Alkaloide sind extrem vielfältig und zeigen interessante Wechselwirkungen mit Insekten“, erklärt er. Einige Raupen können die giftigen Stoffe in ihren Körpern speichern und nutzen sie selbst als Verteidigung gegen gefräßige Vögel. Weitere spannende Entdeckungen sind vorprogrammiert.


Quelle:

Kaltenegger. et al. (2013): Evolution of homospermidine synthase in the Convolvulaceae. A story of gene duplication, gene loss, and periods of various selection pressures. The Plant Cell (April 2013 vol. 25 no. 4), doi: 10.1105/tpc.113.109744.

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Titelbild: Prunkwinden nutzen Alkaloide zur Schädlingsabwehr. (Quelle: © iStockphoto.com/ Poula Hansen)