Hitze lässt ONSEN hüpfen

Retrotransposonen kontrolliert zum Springen bringen

15.08.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Bei 37 °C beginnt das Retrotransposon ONSEN im Genom von Arabidopsiskeimlingen, aktiv zu werden und sich zu vermehren. (Bildquelle: © CSIRO/ CC BY 3.0)

Bei 37 °C beginnt das Retrotransposon ONSEN im Genom von Arabidopsiskeimlingen, aktiv zu werden und sich zu vermehren. (Bildquelle: © CSIRO/ CC BY 3.0)

Es ist noch nicht lange her, da waren Retrotransposonen „für die Tonne. Wie alle transposablen Elemente wurden sie als DNA-Schrott oder Junk-DNA bezeichnet. Heute weiß man es besser. Die Möglichkeit, diese kontrolliert zur Transposition zu bewegen, könnte helfen, mehr über die virenähnlichen DNA-Abschnitte zu erfahren und sie in der Pflanzenzucht einzusetzen.

Der Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) ist der Serienmörder unter den Pilzen. 90 % aller Pilzvergiftungen mit Todesfolge in Europa gehen auf sein Konto. Für viele von uns müssen daher schon gute Gründe vorliegen, um aus freien Stücken ausgerechnet mit dem Hauptgift des Wulstlings, α-Amanitin, zu hantieren.

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Visualisierung einer RNA-Polymerase II (hellblau) der Backhefe (Saccharomyces cerevisiae). Im Zentrum des Proteinkomplexes befindet sich α-Amanitin (rot), von wo aus es die Arbeit der Polymerase hemmt. 

Visualisierung einer RNA-Polymerase II (hellblau) der Backhefe (Saccharomyces cerevisiae). Im Zentrum des Proteinkomplexes befindet sich α-Amanitin (rot), von wo aus es die Arbeit der Polymerase hemmt. 

Bildquelle: © Fvasconcellos/Wikimedia.org/Public domain

Was passiert bei einer Vergiftung?

Stellt man sich eine eukaryotische Zelle als Schweizer Uhrwerk vor, dann ist es so, als würde plötzlich ein wichtiges Zahnrad fehlen, was dazu führt, dass die Uhr stehen bleibt. Die verheerende Wirkung von α-Amanitin ist vergleichbar. Es hindert durch Anlagerung an die RNA-Polymerase II diese an ihrer Aktivität, die Transkription. Der Prozess, bei dem die Information der DNA in RNA übersetzt wird. Ohne diese Übersetzungsleistung ist eine Zelle funktionsuntüchtig, da keine Informationen mehr vom Zellkern aus übertragen werden. Diese aber werden von den Ribosomen zur Produktion von Proteinen benötigt. Die Folge: der Stoffwechsel bricht zusammen, die Zelle kollabiert. In der Onkologie wird dieser Effekt bereits genutzt, um Tumorzellen zu bekämpfen.

Mykotoxin im Nährmedium

Nun wurde genau dieses Prinzip bei jungen Arabidopsiskeimlingen (Arabidopsis thaliana) angewandt. Man ließ sie auf Nährmedien wachsen, die neben den üblichen Nährstoffen α-Amanitin enthielten. Der Grund ergibt sich im Zusammenhang mit den eingangs erwähnten Retrotransposonen. Diese zählen als eigene Klasse zu den Transposonen. Jenen genetischen Elementen, die ihre Position im Genom verändern können (Transposition).

Wie das Virus so das Retrotransposon

Das Besondere an Retrotransposonen ist, dass der Informationsfluss für die Transposition wie bei Retroviren durch eine reverse Transkription der RNA erfolgt. Die Folge ist, dass das Original an seiner ursprünglichen Stelle verbleibt und eine Kopie an anderer Stelle im Genom integriert wird – „copy and paste“ statt „cut and paste. Retrotransposonen sind somit auf fremde Hilfe angewiesen.

Seit einigen Jahren vermutet man, dass die RNA-Polymerase II die Rolle des Dienstleisters übernimmt. Sie ist zugleich aber auch darin involviert, die Aktivität bzw. Transposition zu unterdrücken. Letzteres ist deshalb wichtig, weil die Insertion eines Retrotransposons durchaus Folgen haben kann, wenn z. B. eine Kopie inmitten eines codierenden Gens landet. Um die genetische Integrität und Stabilität zu bewahren, haben Pflanzen daher Mechanismen entwickelt, um die Aktivität der sonderbaren DNA-Elemente einzuschränken. Die Hemmung der Transkription mithilfe unsere Polymerase ist das beste Beispiel.

ONSEN heißt auf Japanisch „heiße Quelle“

Dann ist noch zu wissen, dass viele Retrotransposonen vor allem unter Stress aktiv werden. Dies gilt auch für ONSEN, einem hitzeempfindlichen Retrotransposon, das bei Hitze bzw. Hitzestress aktiv wird. Dass dieses hier namentlich erwähnt wird, kann als Beweis gewertet werden, dass seine Aktivität erstens durch die RNA-Polymerase II reguliert wird und zweitens von außen regulierbar ist. Schließlich stand das Retrotransposon mit dem fernöstlichen Namen im Zentrum der Machbarkeitsstudie (Proof of Concept).

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Grüner Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) in unterschiedlichen Wachstumsstadien. 

Grüner Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) in unterschiedlichen Wachstumsstadien. 

Bildquelle: © H.Krisp/Wikimedia.org/CC BY 3.0

Um es auf den Punkt zu bringen: Wird die Enzymaktivität der RNA-Polymerase II mithilfe des Pilzgifts α-Amanitin unterbunden, wird ONSEN aktiv und breitet sich im Genom aus, sobald man den Thermoregler auf 37 °C hochdreht und die Pflanze unter Hitzestress gerät.

Von A wie α-Amanitin bis Z wie Zebularin

Wen die Vorstellung, Nährmedien zu experimentellen Zwecken mit einem Mykotoxin zu versetzen, schlucken lässt, wird kaum erraten, womit man Nährmedien noch befüllen kann: Zebularin zum Beispiel. Ein außergewöhnlicher Wirkstoff, der in der Humanmedizin u. a. eingesetzt wird, um traumatische Ereignisse aus dem menschlichen Gedächtnis zu löschen. Erhalten Arabidopsispflanzen über das Nährmedium eine Extraportion Zebularin, dann hat dies einen ähnlichen Effekt wie das Pilzgift. Auch hier wird ONSEN bei Hitzestress aktiv und vervielfältigt sich. Kombiniert man α-Amanitin mit Zebularin, erhöht sich sogar der Effekt. Jedoch steckt bei Zebularin ein anderer Mechanismus dahinter.

Auch die Epigenetik spielt mit

Die Wirkung basiert auf der Hemmung der Aktivität von Methyltransferasen. Enzyme, die Methylgruppen (-CH3) an DNA-Abschnitte heften. Dies hat zur Folge, dass die Transkription dieser Abschnitte gehemmt wird. Damit verfügen Pflanzen mit diesem epigenetischen Mechanismus über eine weitere Schutzmaßnahme, um Retrotransposonen wie ONSEN zu bändigen. Wird ihnen nun auch diese Fähigkeit genommen, läuft dies im Endeffekt auf das gleiche Ergebnis hinaus wie im Versuch mit α-Amanitin. Wie es aussieht, sichern sich Pflanzen lieber doppelt ab, um die sprunghaften Retrotransposonen in die Schranken zu weisen.

Neue Möglichkeiten für die Pflanzenforschung

Mit der Entdeckung der externen Steuerungsmöglichkeiten der Retrotransposonenaktivität öffnen sich neue Möglichkeiten und Perspektiven, sich zukünftig mit dem Einfluss von Retrotransposonen genauer und systematisch zu beschäftigen. Auch steht der Weg prinzipiell offen für den Einsatz in der Pflanzenzucht. Nicht nur weil die zusätzlichen ONSEN-Kopien über mehrere Generationen stabil erhalten bleiben, sondern auch weil die Mechanismen zur Kontrolle der Retrotransposonenaktivität – mittels RNA-Polymerase II und Methylierung – bei Nachfolgegenerationen wieder greifen.

Mitnahmeeffekte nutzen

So könnte man sich z. B. einen weiteren Nebeneffekt zunutze machen, der bei Transpositionen auftritt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei der Transkription eines Retrotransposons nicht nur das Retrotransposon selbst, sondern auch Gene in direkter Nachbarschaft abgelesen und aktiviert werden. Da Retrotransposonen vor allem bei Stress aktiv werden, könnte man sich diesen Mitnahmeeffekt zunutze machen, wenn sich in direkter Nachbarschaft Gene befinden, die die Stressresistenz erhöhen.


Quelle:
Thieme, M. et al. (2017): Inhibition of RNA polymerase II allows controlled mobilisation of retrotransposons for plant breeding. In: Genome Biology, Vol. 18, (7. Juli 2017), doi.org/10.1186/s13059-017-1265-4.

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Titelbild: Bei 37 °C beginnt das Retrotransposon ONSEN im Genom von Arabidopsiskeimlingen, aktiv zu werden und sich zu vermehren. (Bildquelle: © CSIRO/ CC BY 3.0)