Interview: PD Dr. Josef Settele

… sucht nach „Kuscheltieren“

30.04.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Josef Settele beim Inspizieren einer Heuschrecke (1997). Nur wenige Biologen verfügen heute noch über umfassenden Artenkenntnisse. (Quelle: © J. Settele/UFZ)

Josef Settele beim Inspizieren einer Heuschrecke (1997). Nur wenige Biologen verfügen heute noch über umfassenden Artenkenntnisse. (Quelle: © J. Settele/UFZ)

(Quelle: © J. Settele/ UFZ)

(Quelle: © J. Settele/ UFZ)

Josef Settele ist stellvertretender Leiter des Departements Biozönoseforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ und koordiniert seit vielen Jahren zahlreiche internationale Biodiversitäts-Forschungsprojekte. Mit Pflanzenforschung.de spricht er über die Bedeutung von Umweltmonitoringprogrammen, über Citizen Science und die Kunst, die Öffentlichkeit für Artenschutzprojekte zu begeistern.

Pflanzenforschung.de: Das Bild des Ökologen, als Insekten- und Pflanzen sammelnder Naturliebhaber hält sich hartnäckig. Sind Sie ein Wald- und Wiesenbiologe?

Dr. Josef Settele: Eigentlich bin ich Agrarbiologe. Promoviert habe ich über Arthropodengemeinschaften in philippinischen Reis-Terrassen. Aber Insekten haben mich tatsächlich schon seit meiner Kindheit im Allgäu fasziniert. Im Alter von sieben Jahren habe ich begonnen, Schmetterlinge zu sammeln. Mit der Unterstützung meiner Mutter. Wenn ich von der Schule kam stand sie schon mit einem Schmetterlingsnetz im Garten: „Ich habe noch etwas für dich gefangen!“

Vermutlich dachte sie: So macht der Junge wenigstens etwas Vernünftiges und keinen Blödsinn. Meine Faszination für Schmetterlinge hat mich schließlich dazu veranlasst, Agrarbiologie zu studieren. Zum einen, um die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Schmetterlingsvielfalt zu untersuchen. Zum anderen, um mich näher mit den Grundlagenfragen der Evolution zu beschäftigen.

Pflanzenforschung.de: Ist das eine der wichtigsten Qualitäten eines guten Ökologen? Begeisterung?

Dr. Josef Settele: Ganz ohne Begeisterung geht es nicht. Nur so hat man die Motivation auch unter meist recht unkomfortablen Bedingungen zu forschen. Ökologische Forschung findet ja nicht im Fünfsternehotel statt, sondern auf dem Boden, bei Wind und Wetter oder im Sommer mit vielen Mücken.

Darüber hinaus muss ein Ökologe die Fähigkeit besitzen, Ergebnisse vernünftig zu Papier zu bringen. Dazu gehören Wissen und wissenschaftliches Talent für gute Hypothesenbildung. Diese Kombination ist jedoch leider nicht so häufig. Leute, die den Anschein erwecken, als könnten sie sich in diese Richtung entwickeln, versucht man sich sofort zu krallen.

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Schmetterlingsjagd auf den Philippinen (1985). Mit seiner Begeisterung für Schmetterlinge begann Josef Setteles wissenschaftliche Karriere als Ökologe.

Schmetterlingsjagd auf den Philippinen (1985). Mit seiner Begeisterung für Schmetterlinge begann Josef Setteles wissenschaftliche Karriere als Ökologe.

Bildquelle: © J. Settele / UFZ

Pflanzenforschung.de: Das katalogisieren und Beschreiben von Pflanzen und Tieren gilt bei jungen Biologen als etwas altmodisch und verstaubt. Heute gibt es kaum noch Nachwuchswissenschaftler mit umfassender Artenkenntnis. Ist das ein Problem?

Dr. Josef Settele: Gerade in der Agrarforschung merkt man das sehr stark. Beispielsweise wenn es um die ökologische Forschung im Pflanzenschutzbereich geht. Da wird oft händeringend nach Leuten gesucht, die in der Lage sind, Nützlinge wie z.B. Schlupfwespen und Spinnen zu identifizieren, die ebenfalls durch Pestizide beeinflusst werden.

Der Bereich der Artenkenntnis ist für den Nachwuchs leider nicht so attraktiv wie die Hightech-Disziplinen Bioökonomie oder Molekularbiologie. Trotzdem ist das wichtiges Basiswissen und gutes Handwerk, das gefördert werden muss. Sonst geht es verloren.

Das gilt aber nicht nur für Systematik, sondern auch für andere Bereiche wie z.B. die Bodenkunde. Wer kann heutzutage noch einen Bohrstock benutzen und eine Bodenprobe interpretieren? Die neuen Disziplinen mit ihren Highend-Technologien bieten attraktive Perspektiven, aber man sollte die klassischen Bereiche nicht vernachlässigen, damit das Fundament nicht wegbricht. Sonst könnte es passieren, dass wir irgendwann das Genom von der Fruchtfliege analysieren, aber gar nicht mehr wissen wie das Tier dazu eigentlich aussieht. Alle Bereiche der Forschung müssen aufrechterhalten und weiterentwickelt werden.

Pflanzenforschung.de: Inwiefern haben sich die Ansätze der Ökologie in den letzten Jahren verändert? Welche Tools nutzen moderne Ökologen heute?

Dr. Josef Settele: Mittlerweile wird natürlich auch sehr viel mit molekularbiologischen Methoden gearbeitet. Gerade im Bereich chemische Ökologie. Ein Beispiel sind die sogenannten Ameisenbläulinge. Das sind Schmetterlinge mit einer ganz bizarren Ökologie. Sie lassen ihre Larven in Ameisennestern durchfüttern und fressen sogar deren Nachkommen, indem sie die Ameisen chemisch täuschen. Sie produzieren dazu einen chemischen Cocktail auf ihrer Oberfläche, damit  die Ameisen sie nicht als Beute wahrnehmen. Sie ahmen die chemischen Signale der Ameisen nach und werden dann als „Trojaner“  von den Ameisen in den Bau zur Ameisenbrut getragen. Wie und warum sich solche Mechanismen entwickeln konnten wird mittlerweile mit Hilfe sehr vielfältiger Methoden, wie beispielsweise chromatographischen und genetischen Analysen untersucht.

Die Tatsache, dass Populationsgenetik, chemische Ökologie und klassische Ökologie an gemeinsamen Fragen zusammenarbeiten, ist ein wesentlicher Fortschritt der ökologischen Forschung. Wir können mittlerweile molekularbiologische Methoden mit traditioneller Ökologie und der Landschaftsskala kombinieren. Das hilft uns, Systeme zu manipulieren und dadurch besser zu verstehen. Sowohl in der Landwirtschaft als auch im Naturschutz. Diese Methodenvielfalt macht die Ökologie zu einem der spannendsten Forschungsbereiche.

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Der dunkle Wiesenknopfameisenbläuling (Maculinea nausithous). Seine bizarre Ökologie gibt Umweltschutzprogrammen Aufwind.

Der dunkle Wiesenknopfameisenbläuling (Maculinea nausithous). Seine bizarre Ökologie gibt Umweltschutzprogrammen Aufwind.

Bildquelle: © J. Settele / UFZ

Pflanzenforschung.de: Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört auch Umweltmonitoring, beispielsweise zur europäischen Insektenvielfalt. Ist es manchmal frustrierend meistens nur rückläufige Trends der Artenvielfalt zu beobachten?

Dr. Josef Settele: Ja, das ist ein bisschen frustrierend, aber auch motivierend. Denn schlussendlich wollen wir durch die Studien erreichen, dass auch Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Der Effekt ist meistens mickrig, denn manche Faktoren kann man gar nicht beeinflussen und viele kennen wir auch noch gar nicht. Aber die, die wir kennen, wie z.B. die Vielfalt der Landschaft oder die Landnutzungsintensitäten der Landwirtschaft, bei diesen können wir durch Umweltmonitoring gezielt einen Beitrag zum Verständnis leisten.

Wenn wir beispielsweise  ein lokales Monitoring auswerten und einen positiven Trend feststellen, können wir diesen dem nationalen Trend gegenüberstellen. Sind bestimmte Arten national rückläufig, aber in bestimmten Regionen noch vorhanden, dann kann man lokal sehr gut für Gegenmaßnahmen motivieren. Man kann gewissermaßen den Wunsch bestimmter Regionen nutzen,  sich durch den Erhalt bestimmter Arten absetzen zu wollen. Das motiviert die Leute.

Pflanzenforschung.de: Welche Umwelt- und Artenschutzprojekte waren bisher besonders erfolgreich?

Dr. Josef Settele: Unterstützt werden vor allem Managementpläne für naturnahe Lebensräume, wo es darum geht, bestimmte Indikatorarten zu schützen. Indikatorarten sind repräsentativ für die Veränderungen von Lebensräumen und idealerweise Arten, die als interessant, schön und schützenswert empfunden werden.

Ein Beispiel sind die Ameisenbläulinge. Ihre außergewöhnliche Ökologie macht die Ameisenbläulinge auch für die lokale Bevölkerung interessant. Ameisenbläulinge wurden beispielsweise in Grabenrändern gefunden, die den Stuttgarter Flughafen umgeben. Eigentlich keine Landschaft, die als besonders schützenswert gilt. Aber weil es dort Ameisenbläulinge gibt, macht sich die Bevölkerung in Gemeindeblättern für die Pflege dieser Gräben stark. Auf diese Weise wird natürlich auch die Situation anderer Arten verbessert.

Man muss sich „Kuscheltierchen“ raussuchen, um den Umweltschutz anzukurbeln und die Situation von Lebensräumen zu verbessern. Ästhetisch schön sind die Ameisenbläulinge nicht. Aber die Tatsache, dass sich die Raupen eines filigranen Schmetterlings in einen Ameisenstaat einschleichen, um sich an deren Brut zu schaffen zu machen, das ist spannend. Die Komponente „Sex and Crime“ ist hier der Verkaufsschlager.

Pflanzenforschung.de: Der Trend geht zu Citizen Science und Sie haben bereits Initiativen wie das „Tagfaltermonitoring Deutschland (TMD)“ oder „Bürger für die Wissenschaft: Monitoring Wiesenknöpfe im Ökosystem“ mit ins Leben gerufen. Wie können Bürger einen Beitrag zur Wissenschaft leisten und wie kann man sie für ökologische Projekte mobilisieren?

Dr. Josef Settele:  Öffentlichkeitswirksame Aktionen sind immer hilfreich. Unser Tagfalter-Monitoring, das wir seit 2005 gemeinsam mit 500 Leuten durchführen, ist zum Beispiel auf diesem Wege entstanden.

Die Initialzündung gaben zwei Pressemitteilungen zu anderen Projekten. Die eine Pressemitteilung wurde zum Start des EU Projektes ALARM veröffentlicht; ein Projekt in dem europäische wie auch außereuropäische Arbeitsgruppen die Auswirkungen von invasiven Arten, Umweltchemikalien und dem Rückgang von Bestäubern auf die Biodiversität Europas untersuchten. Zeitgleich erschien eine zweite Pressemitteilung in dem Fachmagazin Science zur die Evolution und Ökologie von Ameisenbläulingen. Das veranlasste die Süddeutsche Zeitung dazu, mich zu interviewen und ein Streiflicht mit dem Titel „Der letzte Flügelschlag“ abzudrucken.

Daraufhin kontaktierten uns Mitarbeitern der damaligen Sendung „Abenteuer Wissen“. Sie schlugen vor, gemeinsam dazu etwas Medienwirksames zu machen, um so viele Leute wie möglich dazu bewegen, sich aktiv an einem Monitoring-Schema für Schmetterlinge zu beteiligen. Als das Projekt in der Sendung vorgestellt wurde, haben sich viele Teilnehmer schon während der laufenden Sendung online angemeldet.

Mittlerweile ist das TMD über die europaweite Stiftung Butterfly Conservation Europe mit allen ähnlichen Initiativen über ganz Europa hinweg vernetzt. Hierbei stellen Bürger Europas ihre Daten zu unterschiedlichen Tagfalterarten zur Verfügung. Wir haben dadurch mittlerweise einen sehr guten Überblick über die Verbreitung von Tagfaltern in Europa.

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Reisterrassen auf den Philippinen. Den Ergebnissen des Projektes LEGATO zufolge, kommt der Reisanbau besser ganz ohne Pflanzenschutzmittel aus.

Reisterrassen auf den Philippinen. Den Ergebnissen des Projektes LEGATO zufolge, kommt der Reisanbau besser ganz ohne Pflanzenschutzmittel aus.

Bildquelle: © J. Settele / UFZ

Pflanzenforschung.de: Artenschutz und die Ansprüche der modernen Landwirtschaft zu vereinbaren wird immer schwieriger. Was sind Ihre Handlungsempfehlungen an die Landwirtschaft? Wenn Sie Anbausysteme auf dem Reißbrett planen dürften, wie sähe die aus?

Dr. Josef Settele:  Man kann zwar keine pauschale Lösung finden, aber ich plane tatsächlich auf dem Reis-Brett. Bei dem Projekt LEGATO, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wird, geht es um Schädlingsbekämpfung beim bewässerten Reisanbau in Südostasien, also der Interaktion zwischen Biodiversität und Landwirtschaft. Wir sehen in diesem Projekt, dass Pestizide beim Reisanbau keinen positiven Effekt bringen, sondern, dass sie Schädlingsprobleme häufig erst verursachen. Die meisten Probleme beim bewässerten Reisanbau der vergangenen 10 Jahre sind durch Pestizidanwendungen entstanden. Dieses Wissen umzusetzen, also nicht zu spritzen,  ist für Landwirte allerdings gar nicht so leicht. Egal wo man auf der Welt ist, Landwirte wollen aktiv etwas für ihre Felder tun. Also ist der Plan B, Blühstreifen für Schlupfwespen, die Gegenspieler der Reisschädlinge, anzulegen. Wie benutzen dabei Bienen als Indikatoren für die Population der Wespen.

Pflanzenforschung.de: Mit der Behauptung, Pestizide seien die Ursache der größten Schädlingsprobleme macht man sich vermutlich nicht nur Freunde?

Dr. Josef Settele: Welche Auswirkungen der Pestizideinsatz hat, kommt auf die Kulturpflanze an. Aber beim bewässerten Reis ist es ganz sicher kontraproduktiv, dafür haben wir sehr gute, publizierte Daten. Die landwirtschaftliche Beratung in Südostasien wird größtenteils von der Industrie gesponsert. Damit ergeben sich automatisch Interessenskonflikte bei den Beratern.

Das Ziel ist aber, mit der Industrie in den Dialog zu treten. Diese sieht auch, dass sie mittelfristig alternative Schädlingsbekämpfungssysteme finden müssen, auch wenn man noch nicht weiß wie. Aber das Interesse, nachhaltige Lösungen zu finden, ist zumindest gegeben.

Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch.