Jünger als gedacht

Radiokarbon-Messungen machen Wurzeln älter als sie sind

14.09.2018 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Neben den großen Wurzeln, die für festen Stand sorgen, haben Pflanzen ein ausgeprägtes Netzwerk an feinen Wurzeln, die für Wasser- und Nährstoffaufnahme zuständig sind. (Bildquelle: © iStock.com/taden)

Neben den großen Wurzeln, die für festen Stand sorgen, haben Pflanzen ein ausgeprägtes Netzwerk an feinen Wurzeln, die für Wasser- und Nährstoffaufnahme zuständig sind. (Bildquelle: © iStock.com/taden)

Jahre statt Jahrzehnte: Feinwurzeln haben eine wesentlich kürzere Lebenserwartung als bisher angenommen. Damit muss auch ihre Rolle im Kohlenstoffkreislauf neu überdacht werden.

Feinwurzeln sind für Bäume lebenswichtig: Sie versorgen sie mit Wasser und Nährstoffen. Trotzdem ist bis heute nicht klar, wie lange sie leben, obwohl sie „nebenbei“ auch eine große Bedeutung für den Boden haben. Ein Forschungsteam hat sich jetzt mit dieser scheinbar simplen Frage auseinander gesetzt.

Die Bedeutung von Feinwurzeln

Pflanzen bilden große und kleine Wurzeln aus. Während die großen Wurzeln neben dem Wasser- und Nährstofftransport auch eine Haltefunktion erfüllen, dienen die kleinen Feinwurzeln (Durchmesser bis 2 mm) hauptsächlich der Wasser- und Nährstoffaufnahme. Sie machen einen großen Teil der organischen Substanz im Boden aus und haben damit einen wichtigen Einfluss auf die Kohlenstoffbilanz von Böden. Trotz dieser globalen Bedeutung für Wälder und Klima ist bisher nur wenig über die Lebensdauer von Feinwurzeln bekannt.

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Feinwurzeln leiten Wasser und Nährsalze in Richtung Baumkrone und speichern Zucker sowie Stärke. Hier zu sehen: Die Jahresringe im Querschnitt einer Feinwurzel einer Waldkiefer (Pinus sylvestris).

Feinwurzeln leiten Wasser und Nährsalze in Richtung Baumkrone und speichern Zucker sowie Stärke. Hier zu sehen: Die Jahresringe im Querschnitt einer Feinwurzel einer Waldkiefer (Pinus sylvestris).

Bildquelle: Dr. Emily Solly, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL, Schweiz

Radiokarbonmethode vs. Jahresringe

Die Radiokarbonmethode basiert auf dem schwach radioaktiven Kohlenstoff-Isotop 14C. Es kommt in der Atmosphäre nur in sehr geringen Konzentrationen vor (etwa 10-10 Prozent). Die Halbwertszeit von 14C beträgt etwa 5.730 Jahre. Trotzdem bleibt die Konzentration von 14C in der Atmosphäre in etwa konstant, da es sich ständig durch die Sonneneinstrahlung neu bildet.

14C wird wie „normales“ 12C in den Organismus eingebaut. Stirbt der Organismus ab, werden keine neuen Kohlenstoffatome aufgenommen. Da aber 14C weiter zerfällt, kann anhand des Quotienten 14C/12C das Alter eines Organismus berechnet werden.

In der Dendrochronologie wird das Alter von Bäumen durch sogenannte Jahresringe bestimmt. Sie entstehen, wenn das Wachstum eines Baumes im Laufe eines Jahres zeitweise zum Erliegen kommt (Vegetationsruhe im Winter), bevor ab dem Frühling ein neuer Wachstumsschub einsetzt. Diese Phasen sind in Baumstämmen oder in Wurzeln als Jahresringe sichtbar. Allerdings sind Jahresringe nur in Klimazonen zu beobachten, in denen es ausgeprägte Jahreszeiten gibt.

Doppelter Test

Bisher wurde die Lebensdauer von Feinwurzeln oftmals über die Radiokarbonmethode bestimmt. Dabei kam man auf ein durchschnittliches Alter von bis zu einem Jahrzehnt oder sogar mehr. Allerdings setzt diese Methode voraus, dass der vom Baum über die Photosynthese aufgenommene Kohlenstoff auch direkt in die Wurzeln eingebaut wird. Allerdings gibt es inzwischen Aufzeichnungen mit Minikameras (sogenannten Minirhizotronen), die nahelegen, dass Feinwurzeln eine wesentlich kürzere Lebensdauer haben.

Um diese Unsicherheiten auszuräumen, wendete das Forschungsteam zwei verschiedene Methoden gleichzeitig an. Die gesammelten Feinwurzeln wurden in drei Gruppen aufgeteilt (bis 0,5 mm, 0,5 – 1 mm und bis 2 mm). Dann wurden per Dünnschnitt unter dem Mikroskop die Jahresringe gezählt. Parallel dazu wurde von denselben Wurzeln das Alter über die Radiokarbonmethode bestimmt. Die gesammelten Wurzeln stammten aus Wäldern in drei verschiedenen Ökozonen in Europa (gemäßigte Zone, boreale und subarktische Zone), wo die jeweiligen Arten jeweils als Hauptbaumarten vorkamen: Waldkiefern (Pinus sylvestris) aus der Schweiz, Rotbuchen (Fagus sylvatica) aus Deutschland, Rotfichten (Picea abies) aus Schweden und Zwergbirken (Betula nana) aus dem russischen Ural.

Große Diskrepanzen

Wie erwartet, gab es bei den Ergebnissen große Diskrepanzen zwischen den einzelnen Methoden: Die Datierung der Wurzeln über Jahresringe ergab ein mittleres Alter zwischen ein und drei Jahren, während die Radiokarbonmethode Werte etwa zwischen sieben und 20 Jahren lieferte. Die durchschnittliche Diskrepanz zwischen den einzelnen Methoden betrug bei den Wurzeln unter 0,5 Millimetern 6,7 Jahre, bei Wurzeln zwischen 0,5 und einem Millimeter 7,4 Jahre und bei Wurzeln bis zwei Millimetern 10,4 Jahre. Im Mittel lagen damit die Berechnungen der Radiokarbonmethode um 10,1 Jahre höher als die Altersangaben aus den Jahresringen.

Lediglich bei den Zwergbirken wurde für die Wurzeln auch mittels Jahresringmethode ein höheres Alter ermittelt, durchschnittlich zwischen 4 und 12 Jahren. Die Radiokarbonmethode berechnete für Zwergbirken ein Alter von etwa 16 bis über 20 Jahre. Diese längere Lebensdauer könnte laut Forschungsteam artspezifisch sein. Es könnte aber auch daran liegen, dass Zwergbirken an der Baumgrenze wachsen. Unter diesen wachstumslimitierenden Bedingungen müssen sie besser mit ihren Ressourcen haushalten und das könnte sich auf die Lebensdauer der Feinwurzeln auswirken.

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Dieser Querschnitt zeigt die Feinwurzel einer Birke aus der subarktischen Region.

Dieser Querschnitt zeigt die Feinwurzel einer Birke aus der subarktischen Region.

Bildquelle: Dr. Emily Solly, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL, Schweiz

Jünger als angenommen

Die Ergebnisse zeigen dennoch klar: Feinwurzeln sind weitaus kurzlebiger als bisher angenommen. Die höheren Werte der Radiokarbonmethode kommen vermutlich durch eine zeitliche Verzögerung zwischen Kohlenstoffaufnahme und -einbau zustande. Dafür gibt es laut Forschungsteam mehrere mögliche Gründe: Zum einen könnte ein Austausch mit älterem Kohlenstoff in der Erde stattfinden. Der Kohlenstoff der Feinwurzeln würde in diesem Fall primär aus dem Boden und nicht aus der Photosynthese stammen. Dann müsste dieser ältere Kohlenstoff allerdings auch in Baumkeimlingen vorkommen, was aber nur in geringen Mengen der Fall ist, wie weitere Versuche des Forschungsteams zeigten.

Der wahrscheinlichere Grund liegt vermutlich in der „Vorratshaltung“ der Bäume. Bäume sammeln überschüssige Kohlenhydrate meist in Form von Stärke. Diese wird bei Bedarf in den jeweiligen Bereichen (zum Beispiel Blätter, Wurzeln, Früchte oder Samen) „verbraucht“. In diesem Fall würde der Baum zum Aufbau neuer, lebenswichtiger Feinwurzeln primär diese Reservestärke statt „frischer“ Photosyntheseprodukte heranziehen und wäre somit unabhängig von der Photosyntheseleistung, etwa bei Dürren.

Neue Einsichten – neue Berechnungen nötig

Feinwurzeln mit ihrer kurzen Lebensdauer (häufige Neubildung, Zersetzung) haben einen erheblichen Anteil an der Kohlenstoff-Bilanz des Waldbodens. Das tiefere Verständnis dieser Vorgänge ist notwendig, um eine genauere Modellierung der Kohlenstoffflüsse im Boden zu ermöglichen. Denn der Wald gilt als wichtige CO2-Senke. Um im Rahmen der globalen CO2-Bilanzen genauer erfassen zu können, wieviel Kohlenstoff im Wald gespeichert wird, müssen auch die Mengen an Kohlenstoff im Boden möglichst genau bestimmt werden. Die neuen Erkenntnisse werden hierzu beitragen.


Quelle:
Solly, E.F. et al. (2018): Unravelling the age of fine roots of temperate and boreal forests. In: Nature Communications, (01. August 2018), doi: 10.1038/s41467-018-05460-6.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Neben den großen Wurzeln, die für festen Stand sorgen, haben Pflanzen ein ausgeprägtes Netzwerk an feinen Wurzeln, die für Wasser- und Nährstoffaufnahme zuständig sind. (Bildquelle: © iStock.com/taden)