Koevolution

Warum Mäuse beginnen Samen auszuspucken

14.06.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Stachelmaus beim Essen einer Frucht der Ochradenus baccatus. Dabei spuckt sie die Samen aus.(Quelle: © Michal Samuni- Blank/Technion- Israel Institute of Technology)

Stachelmaus beim Essen einer Frucht der Ochradenus baccatus. Dabei spuckt sie die Samen aus.(Quelle: © Michal Samuni- Blank/Technion- Israel Institute of Technology)

Um Fressfeinde abzuhalten entwickelte die Pflanze Ochradenus baccatus einen Schutzmechanismus: Ihre Früchte setzen toxische Stoffe frei sobald sie zerkaut werden. Forscher konnten nun eine Gegenanpassung im Tierreich dokumentieren. Einige Stachelmäuse spucken die Samen der Früchte aus und verhindern damit die Entstehung der toxischen Verbindungen. Gleichzeitig verbreitet die Maus so die Nachkommen der Pflanze.

Ochradenus baccatus ist eine Pflanze der Gattung Reseda, die kleine runde Früchte ausbildet. Jede Frucht enthält bis zu 20 Samen. Die Pflanze schützt die Früchte vor Fressfeinden, indem beim Verzehr toxische Substanzen frei werden.

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Die unreifen Früchte des Ochradenus baccatus sind weiß. Werden die darin enthaltenen Samen zeitgleich mit dem Fruchtfleisch zerkaut, entstehen toxische Verbindungen.

Die unreifen Früchte des Ochradenus baccatus sind weiß. Werden die darin enthaltenen Samen zeitgleich mit dem Fruchtfleisch zerkaut, entstehen toxische Verbindungen.

Bildquelle: © Michal Samuni-Blank / Technion-Israel Institute of Technology

Einige Mäuse lassen sich nicht abschrecken

In der Wüste Negev in Israel fanden Forscher Stachelmäuse (Acomys), welche in der Lage sind die Früchte des Strauches Ochradenus baccatus zu essen. Ihr Trick: Sie spucken die Samen einfach aus und fressen nur das Fruchtfleisch. Auf diese Weise umgehen sie chemische Prozesse, welche Früchte sonst ungenießbar machen. Diese beginnen sobald die Samen zusammen mit dem Fruchtfleisch zerkaut werden.

Die Reaktion wird durch sekundäre Pflanzenstoffe ausgelöst, welche im Vergleich zu primären Pflanzenstoffen für die Pflanze nicht lebensnotwenig sind: Verantwortlich ist das im Samen enthaltene Enzym Myrosinase. Sobald dieses mit chemischen Verbindungen im Fruchtfleisch (Senfölglycoside) in Berührung kommt, werden Stoffe ausgebildet, die auf Tiere abschreckend wirken (Senföle).

Stachelmäuse sind eigentlich Samenfresser

Die Ägyptische Stachelmaus (Acomys cahirinus) beispielsweise isst daher nur das Fruchtfleisch und nicht die Samen. Dies ist in sofern ungewöhnlich, da die anderen bekannten Arten der Gattung Acomys allesamt Samenfresser sind. Um die Früchte trotzdem fressen zu können, passten sich die Tiere in der Negev Wüste den Schutzmechanismen der Pflanzen an.

Die Forscher fanden heraus, dass einige Mäuse im Labor die Samen nachträglich fraßen, d.h. einige Stunden nach dem Fruchtfleisch. Die Samen sind dann für sie genießbar, da das zuvor gefressene Fruchtfleisch bereits verdaut ist. Daraufhin testeten die Forscher das Fressverhalten der Mäuse in freier Natur: Sie gaben den Mäusen Früchte, die Samen ohne das Enzym Myrosinase enthielten. Die Mäuse fielen dann in ihre gewohnten Muster zurück und fressen die Samen größtenteils mit.

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Stachelmaus, die beim Fressen der Frucht Samen ausspuckt. (Quelle: © Samuni-Blank et. al., Current Biology, volume 22, number 13. Copyright: Current Biology/Cell Press / youtube.de)

Wechselseitige Anpassung von Tieren und Pflanzen

Im Laufe der Evolution entwickelten die Pflanzen vielfältige Schutzmechanismen, die sie vor Fressfeinden schützen. Die Früchte von Ochradenus baccatus z.B. schrecken Tiere ab. Scheinbar hat in diesem Fall die Maus die Oberhand gewonnen, da sie die Schutzmechanismen der Pflanze austrickst. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch einen gegenseitigen Vorteil fest: Die Mäuse erweitern ihr Nahrungsspektrum, da sie in der Lage sind das Fruchtfleisch zu essen, ohne giftige Nebenwirkungen; Die Pflanze profitiert davon, da die Samen in der Früchte durch die Tiere verbreitet werden. Dies konnten die Forscher in Laborexperimenten belegen: Alle Samen von reifen Früchten, welche von den Mäusen ausgespuckt wurden, keimten und taten dies sogar doppelt so schnell, wie Samen aus dem Inneren von intakt gelassenen Früchten. Die Maus verteilt die Samen am Ort der Nahrungsaufnahme und hilft der Pflanze somit bei der Verbreitung. 

Dies ist ein anschauliches Beispiel für die Koevolution von Pflanzen und Tieren. Die gegenseitige Anpassung stellt allerdings ein sensibles System dar. Die ausgefeiten An- und Gegenanpassungen von Pflanze und Tier sind komplexe Mechanismen, die durch äußere Einflüsse leicht gestört werden können, da die Beziehung sehr spezifisch ist.  


Quelle:
Samuni-Blank, M. et al. (2012): Intraspecific Directed Deterrence by the Mustard Oil Bomb in a Desert Plant. In: Current Biology, volume 22, number 13, 14. Juni 2012, doi: 10.1016/j.cub.2012.04.051.

Video:
http://www.youtube.com/embed/wgKFIYffReY
© Samuni-Blank et. al., Current Biology, volume 22, number 13. Copyright: Current Biology/Cell Press / youtube.de

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