Kosten und Nutzen besser abwägen

Pflanzenschutzmittel können für den Landwirt Vorteile haben, aber auch schaden

14.09.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Forscher stellten fest, dass Landwirte, die mit neonicotinoidhaltigen Beizen behandeltes Rapssaatgut nutzten, weniger andere Insektizide im Herbst versprühten. (Bildquelle: © stocksolutions - Fotolia.com)

Forscher stellten fest, dass Landwirte, die mit neonicotinoidhaltigen Beizen behandeltes Rapssaatgut nutzten, weniger andere Insektizide im Herbst versprühten. (Bildquelle: © stocksolutions - Fotolia.com)

Eine aktuelle Studie liefert Hinweise darauf, dass Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide für Bienen schädlich sein können. Das ist nicht neu. Allerdings kommt sie auch zu dem Schluss, dass Landwirte durch den Einsatz der Pflanzenschutzmittel wirtschaftliche Vorteile haben können. Wichtig für den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft ist es jedoch, ständig die Vorteile der Wirkstoffe gegen ihre Kollateralschäden abzuwägen.

Insektizide werden eingesetzt, um Nutzpflanzen vor schädigenden Insekten zu schützen. Sie können direkt auf die Pflanzen gesprüht oder auf den Boden appliziert werden. Eine weitere Möglichkeit ist, bereits das Saatgut prophylaktisch mit den Pestiziden zu behandeln (Saatgutbeize). Wächst die Pflanze heran, verteilt sich der Wirkstoff in der Pflanze – Insekten, die sich an der Pflanze vergreifen, essen damit auch gleich den giftigen Wirkstoff.  

Neonicotinoide sind synthetische Pflanzenschutzmittel, die als Nervengift gegen Insekten wirken und vor allem als Saatgutbeize beliebt wurden. Sie stehen jedoch im Verdacht, für Bienen und andere Tiere, die nicht zu den primären Zielen ihres Einsatzes gehören, schädlich zu sein. Die EU-Kommission reagierte bereits und schränkte zum Schutz der Bienen 2013 die Nutzung für die Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiametoxam stark ein. Für einige Anwendungen wurde der Einsatz sogar ganz verboten. Dieses Verbot wurde zunächst befristet für zwei Jahre ausgesprochen, bis weitere wissenschaftliche Daten, für eine umfassende Bewertung vorliegen. In Deutschland unterzeichnete Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt erst im Juli 2015 eine Eilverordnung, die zusätzlich den Handel mit und das Aussäen von Wintergetreide-Saatgut verbietet, das mit bestimmten Neonikotinoiden behandelt wurde.

Zusammenhang zwischen Neonicotinoid-Einsatz und Bienensterben

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Honigbiene bei der Arbeit: Sie bestäubt gerade Raps. In der Natur ist sie dabei vielen Gefahren ausgesetzt. Neben natürlichen Feinden können ihr widrige Umweltbedingungen, aber auch der Mensch und landwirtschaftliche Praktiken zu schaffen machen.

Honigbiene bei der Arbeit: Sie bestäubt gerade Raps. In der Natur ist sie dabei vielen Gefahren ausgesetzt. Neben natürlichen Feinden können ihr widrige Umweltbedingungen, aber auch der Mensch und landwirtschaftliche Praktiken zu schaffen machen.

Bildquelle: © happyculteur - Fotolia.com

Eine kürzlich veröffentliche Studie untermauert die Hypothese, dass Neonicotinoide für Bienen schädlich sind. Ein Forscherteam analysierte dafür landwirtschaftliche Daten aus Großbritannien (England und Wales) über einen Zeitraum von 11 Jahren (2000-2010). Sie betrachteten den Anbau von Raps (Brassica napus) und wie oft das Raps-Saatgut mit Neonicotinoiden behandelt wurde. Darüber hinaus untersuchten sie wie sich der Einsatz von anderen Insektiziden, die auf die Pflanzen gesprüht wurden, im Untersuchungszeitraum entwickelte. Diese Daten verglichen sie mit Erhebungen über den Bestand von Honigbienen (Apis mellifera), die zu wichtigen Bestäubern des Rapses zählen.  

Die Forscher fanden bei ihrer Untersuchung einen statistischen Zusammenhang zwischen Bienensterben und dem Einsatz von Neonicotinoiden. In den vorliegenden Daten wurde das Saatgut vor allem mit dem Wirkstoff „Imidacloprid“ behandelt. 

Weniger andere Insektizide durch Saatgutbeizung nötig

Bei der Untersuchung wurde zudem festgestellt, dass Landwirte, die mit Imidacloprid behandeltes Saatgut nutzten, weniger andere Insektizide zur Bekämpfung von Schädlingen verwendeten. Allerdings galt dies nur für die Ausbringung im Herbst.

Darüber hinaus war ein Ergebnis der Studie, dass einige Landwirte durch den Einsatz der Neonicotinoide ökonomische Vorteile hatten. Diese wirtschaftlichen Vorteile waren jedoch nicht auf die eingesparten Insektizide, sondern auf höhere Erträge zurückzuführen. Diese Ergebnisse lassen sich jedoch nicht über den gesamten Untersuchungszeitraum verallgemeinern. Denn die Erträge waren nicht generell, d. h. kontinuierlich über alle Jahre hinweg, durch den Einsatz der Neonicotinoide höher.

Für und Wider betrachten

Die Studie nutzte reale Daten. Die Ergebnisse stammen nicht aus Experimenten oder Modellen, sondern aus der landwirtschaftlichen Praxis. Das erklärt auch die größeren Schwankungen der Ergebnisse von Jahr zu Jahr. Gleichzeitig zeigt es, dass längere Untersuchungszeiträume wichtig sind, um unter solchen Realbedingungen valide Aussagen zu treffen. Hinzu kommen regionale Standortfaktoren, die Verallgemeinerungen erschweren. Trotzdem erbrachte die Studie wichtige Aussagen für die Bewertung des Pestizideinsatzes.

Ein kausaler Zusammenhang zwischen Bienensterben und dem Einsatz der Neonicotinoide konnte allerdings mit den Daten nicht belegt werden. In der Natur kommen viele Faktoren für das Bienensterben in Betracht. Darüber hinaus muss bedacht werden, dass nicht nur Honigbienen bestäuben. Auch Wildbienen und viele andere Tiere spielen in der Natur eine Rolle als Bestäuber. Der Rückgang von Honigbienen führt nicht zum unmittelbaren Totalausfall bei den Erträgen. Ob der Rückgang der Bienen als ein Indiz und damit eins zu eins für den Rückgang anderer bestäubender Insekten genommen werden kann, steht nicht fest. Valide Daten für die Korrelation der Gesundheit der Honigbienen und anderen Bestäubern fehlen.

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Rapsschote: Die Samen der Rapspflanze sind dunkelbraun bis schwarz. Werden Sie jedoch mit Pflanzenschutzmitteln gebeizt, erhalten Sie eine farbige Hülle.

Rapsschote: Die Samen der Rapspflanze sind dunkelbraun bis schwarz. Werden Sie jedoch mit Pflanzenschutzmitteln gebeizt, erhalten Sie eine farbige Hülle.

Bildquelle: © Verena N. / pixelio.de

Auch bei den Vorteilen, die Landwirte durch die Saatgutbeize hatten, war kein genereller Mehrwert zu erkennen. Dieser war vom jeweiligen Jahr und den Umweltbedingungen abhängig. Auch dies ist ein Beleg für die Komplexität des Systems Landwirtschaft. Erträge unterliegen Schwankungen und nie gelingt es das genetisch angelegte Potenzial von Nutzpflanzen zu 100 Prozent abzurufen. Wird darüber hinaus an einer Stellschraube gedreht - Bewässerung, Düngung, Vorfrucht, Pflanzenschutz und Pflege etc. - muss das nicht unweigerlich jedes Jahr dieselben Konsequenzen haben. Die Vielzahl von Einflussfaktoren lässt sich auf die Einzelwirkungen schwer zurückverfolgen. Auch stellt der Einsatz von Neonicotinoiden kein Allheilmittel dar. Der Schädlingsbefall schwankt von Jahr zu Jahr. Auch Schädlinge können Resistenzen oder Toleranzen ausbilden, die die Vorteile einer Pflanzenschutzmaßnahme zu Nichte machen.

Der Einsatz muss gut überlegt sein

Für die Beurteilung der Wirkung einer Pflanzenschutzmaßnahme muss auch bedacht werden, dass die Vorteile einer Person oder eines Betriebes zu Gute kommen. Zum Beispiel einem Landwirt der seine Bestände schützt. Bestimmte Kosten werden komplett oder zumindest zu Teilen vergesellschaftet. Das heißt diese gehen nicht in das betriebswirtschaftliche Ergebnis ein, sondern werden von der gesamten Gesellschaft getragen. Die Lasten für Erosion, Emissionen, den Schwund von wichtigen Bestäubern oder Pflanzen, die Beeinträchtigung des Grund- oder Oberflächenwasser etc. trägt nicht der einzelne Landwirt, sondern die Gemeinschaft. 

Das Fazit der Wissenschaftler lautete: Solange Pestizide in der Landwirtschaft eingesetzt werden, müssen die Vorteile der Wirkstoffe gegen ihre Kollateralschäden abgewogen werden. Die Autoren fordern mehr langfristig angelegte Feld-basierte Forschung, um auch die Auswirkungen der zweiten Generation von Neonicotinoiden auf die Bestäuber besser bewerten zu können und Unterschiede zu dem Wirkstoff Imidacloprid zu untersuchen. Denn ab 2010 verringerte sich im Untersuchungsgebiet der Einsatz von Imidacloprid stark und andere Neonicotinoide (Clothianidin und Thiamethoxam) wurden vermehrt eingesetzt. Das Verbot eines Mittels führt zudem dazu, dass andere Mittel verstärkt eingesetzt werden. Auch diese können Nachteile mit sich bringen.

Aus diesen Betrachtungen erwächst auch die besondere Bedeutung und Verantwortung die Landwirte besitzen. Sie sichern die Grundlage der Ernährung. In Deutschland ernährt ein Bauer 129 Menschen. Andererseits ist Landwirtschaft ein offenes System. Viele Faktoren beeinflussen die Landwirtschaft und die Landwirtschaft ihrerseits hat großen Einfluss auf andere Elemente im System. Viele solcher Zusammenhänge sind bekannt, viele noch nicht bzw. zu wenig. Möglichst umfassende Kosten–Nutzen–Analysen, die Bewertung eines ökologischen Fußabdrucks oder sogenannte Lebenszyklusanalysen können ein besseres Verständnis ermöglichen. Forschung ist nötig, um neben kausalen Zusammenhängen auch Vernetzungen und indirekte Wirkungsmechanismen aufzuklären und zu verstehen. Die Vision bleibt eine nachhaltige und gerechte Landbewirtschaftung.


Quelle:

Budge, G.E. et al. (2015): Evidence for pollinator cost and farming benefits of neonicotinoid seed coatings on oilseed rape. In: Scientific Reports 5: 12574, (online, 20. August 2015), doi: 10.1038/srep12574.

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Titelbild: Forscher stellten fest, dass Landwirte, die mit neonicotinoidhaltigen Beizen behandeltes Rapssaatgut nutzten, weniger andere Insektizide im Herbst versprühten. (Bildquelle: © stocksolutions - Fotolia.com)