Maßnahmen gegen einen „Stummen Frühling“

Wie die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln neu gestaltet werden sollte

07.11.2018 | von Gastautor: Christoph Käsbauer

Honigbiene (Apis mellifera) an einer Rapsblüte. (Bildquelle: © K. Thalhofer / Fotolia.com)

Honigbiene (Apis mellifera) an einer Rapsblüte. (Bildquelle: © K. Thalhofer / Fotolia.com)

Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat, Imidacloprid & Co. stehen in der Kritik. Dabei werden sie alle einem rigorosen Testverfahren unterzogen. Doch sind die Zulassungsverfahren für die Wirkstoffe noch zeitgemäß? Ein Diskussionspapier der Leopoldina, einer Gemeinschaft der bedeutendsten Wissenschaftler Deutschlands und zahlreicher anderer Länder, nimmt sich dieser Frage an. Die beteiligten Wissenschaftler kamen zum Schluss, dass die bestehenden Tests nicht immer ausreichend sind und schlagen neue Prüfverfahren vor.

Umweltwirkung teilweise anders als erwartet

Ein Frühling ohne das vertraute Summen von Bienen und das Zwitschern von Vögeln. Davor warnte Rachel Carson bereits in ihrem 1962 erschienenen Buch „Der stumme Frühling“. Es geht um die mögliche Schädigung von Umwelt, Tier und Mensch durch Pflanzenschutzmittel. Tatsächlich haben sich einige Wirkstoffe nach ihrer Zulassung als schädlich herausgestellt und mussten wieder aus dem Verkehr gezogen werden. Ein Beispiel hierfür ist DDT, das jahrzehntelang in großem Maßstab eingesetzt wurde, bevor negative Wirkungen festgestellt wurden. So ließ der Wirkstoff die Eierschalen mancher Vogelarten sehr zerbrechlich werden – mit teilweise dramatischen Auswirkungen auf diese Arten.

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Pflanzenschutzmittel werden alle einem rigorosen Testverfahren unterzogen. Doch sind die Zulassungsverfahren für die Wirkstoffe noch zeitgemäß?

Pflanzenschutzmittel werden alle einem rigorosen Testverfahren unterzogen. Doch sind die Zulassungsverfahren für die Wirkstoffe noch zeitgemäß?

Bildquelle: © Stockr / Fotolia.com

Auf der anderen Seite hat gerade auch der chemische Pflanzenschutz einen großen Anteil daran, die Produktion von immer mehr Lebensmitteln für die rasant wachsende Weltbevölkerung zu sichern. Ein Dilemma.

Wirkstoffe werden vor der Zulassung streng getestet – aber ausführlich genug?

Im Diskussionspapier analysierten die Forscher die bereits bestehenden Prüfverfahren und fahndeten nach möglichen Schwachstellen. Neue Wirkstoffe müssen zunächst toxikologische Testverfahren durchlaufen, bei denen ihre Wirkung auf verschiedene terrestrische und aquatische Modellorganismen im Labor untersucht wird. Zusätzlich werden sie in kleinem Maßstab auch unter natürlicheren Bedingungen getestet. Hinzu kommt eine Prognose zum Verbleib des Stoffes in der Umwelt.

Es wird beispielsweise untersucht, wie lange ein Wirkstoff im Boden nachgewiesen werden kann, welchen Einfluss das Wetter auf den Abbau und die Auswaschung aus dem Boden hat und ob der Wirkstoff in Oberflächengewässer oder Grundwasser gelangen kann. Auch verschiedene Arten der Anwendungen werden dabei berücksichtigt. Aber reicht das aus?

Hier führt das Diskussionspapier bereits den ersten Kritikpunkt auf: Oft werden nur einzelne Wirkstoffe getestet. Da in der Praxis die verschiedenen Kulturen mehrmals mit unterschiedlichen Pflanzenschutzmitteln behandelt werden, sind auch Kombinationseffekte denkbar. So könnte etwa der Abbau eines Wirkstoffes durch einen anderen beeinflusst werden. Auch lokale Besonderheiten von Böden, darin lebenden Mikroorganismengemeinschaften und das Klima fließen nicht in die allgemeine Belastungsvorhersage ein.

Vorhersagen für Neonicotinoide haben Auswirkungen unterschätzt

Als ein Beispiel für unterschätzte Effekte auf Organismen und Lebensgemeinschaften wird von den Autoren der Wirkstoff Imidacloprid genannt. Er gehört zur Klasse der Neonicotinoide, die vielfach zur Bekämpfung von Schadinsekten eingesetzt werden. Der Stoff wirkt auf das Nervensystem der Insekten und verhindert die Signalweiterleitung. Das führt zum Absterben der Tiere.

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Eine Kritik der Autoren ist, dass bei den standardisierten Kontrollen nur ein kleiner Teil der Wirkstoffe erfasst und zu wenige Arten, wie Amphibien, bei der toxikologischen Bewertung berücksichtigt würden.

Eine Kritik der Autoren ist, dass bei den standardisierten Kontrollen nur ein kleiner Teil der Wirkstoffe erfasst und zu wenige Arten, wie Amphibien, bei der toxikologischen Bewertung berücksichtigt würden.

Bildquelle: © pixabay/CC0

Bei der Überprüfung des Stoffes wurde auch die Wirkung auf Nützlinge wie Honigbiene und Hummel untersucht, aber deutlich unterschätzt. Ein Populationsrückgang bei diesen Tieren konnte im Zusammenhang mit der Einsatzmenge des Wirkstoffes festgestellt werden. Zudem stört der Wirkstoff die Kommunikation der Bienen untereinander, was sich negativ auf die Bestäubungsleistung auswirkt. Bei der Behandlung der Kulturpflanzen kann das Mittel zudem auf umliegende Blühstreifen und Gewässer abdriften und auch hier Tiere schädigen, beispielsweise Schmetterlinge, Vögel und Gewässerorganismen.

Aus diesem Grund wurde 2013 die Verwendung von drei Neonicotinoiden - Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam - von der EU beschränkt. Weitere Studien konnten zeigen, dass die Neonicotinoide auch länger im Boden verbleiben als prognostiziert. Wird anschließend eine Gründüngung oder ein Blühstreifen auf diesen Flächen angelegt, kann es zur weiteren Schädigungen von Insektenpopulation kommen und den eigentlichen ökologischen Sinn solcher Flächen einschränken.

Mögliche Effekte bei der Kombination von Spritzmitteln machen umfangreichere Tests notwendig

Daher sollte zukünftig stärker auf Wirkstoffrückstande im Boden geachtet werden. Es zeige sich, dass einige Wirkstoffe und deren Abbauprodukte in den Poren der Bodenmatrix länger als vermutet überdauern und unter bestimmten Bedingungen auch wieder freigesetzt werden. Auch eine ungünstige Kombination verschiedener Wirkstoffe, die zu unterschiedlichen Zeiten verwendet wurden, ist so möglich. Aus diesem Grund sei es ratsam, Wirkstoffe in verschiedenen Kombinationen zu überprüfen und sie gegebenenfalls als getestetes Kombinationsprodukt auf dem Markt anzubieten. Darüber hinaus sollte die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln von den Landwirten stärker kontrolliert werden.

Eine weitreichendere und längere Überwachung ist notwendig

Ergänzend wird eine intensivere Überwachung von Wirkstoffrückständen in Gewässern gefordert. Hier würden teilweise höhere Konzentrationen dieser Stoffe gefunden als ursprünglich bei der Sicherheitsbewertung prognostiziert. Spezifische Klimabedingungen der Standorte und eine unterschätzte Auswaschungsgefahr in naheliegende Gewässer könnten Gründe dafür sein.

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Auch nicht-letale Effekte auf Organismen sowie der Schutz von Wildpopulationen sollen stärker in den Fokus gerückt werden.

Auch nicht-letale Effekte auf Organismen sowie der Schutz von Wildpopulationen sollen stärker in den Fokus gerückt werden.

Bildquelle: © Pauln/ wikimedia.org/ CC BY 3.0

Zur Risikominimierung sollten Pufferbereiche mit Hecken und Uferbewuchs stärker in das Risikomanagement einbezogen werden. Auch unzureichende Messmethoden werden in diesem Zusammenhang kritisiert. Bei den standardisierten Kontrollen würde nur ein kleiner Teil der Wirkstoffe erfasst und zu wenige Arten, wie Amphibien, bei der toxikologischen Bewertung berücksichtigt. Der globale Rückgang von vielen Amphibienarten könne teilweise auf Nebenwirkungen von Pflanzenschutzmitteln beruhen.

Indirekte Effekte dürfen nicht unterschätzt werden

Auch nicht-letale Effekte auf Organismen, wie die bereits erwähnte Störung der Kommunikation durch Neonicotinoide bei Bienen, sollten stärkere Beachtung bei der Sicherheitsbewertung finden. Hinzu kommen mögliche Auswirkungen auf das Agrarökosystem, wenn bestimmte Populationen von Insekten oder von Wildpflanzen dezimiert werden und damit die Lebensgrundlage für Kleinsäuger und Vögel beeinträchtigt wird. Ein solches negatives Wirkpotenzial hätte beispielsweise der großflächige Einsatz des Herbizidwirkstoffs Glyphosat, der Ackerunkräuter fast vollständig von den Feldern entfernt. Andererseits wird auch eingeräumt, dass Glyphosat in der Vergangenheit einige toxikologisch deutlich problematischere Herbizide abgelöst hätte.

Stress mit unbekannten Folgen

Zu wenig Beachtung fänden auch verschiedene Stressfaktoren wie außergewöhnliche klimatische Situationen. Vorhersagen werden oftmals nur unter Standartbedingungen getroffen. Wie interagieren Wirkstoffe mit ihrer Umwelt etwa bei Dürre mit anschließenden Starkregenereignissen? Der Einfluss auf gestresste Organismen sei bisher kaum bei der Bewertung von Wirkstoffen eingeflossen. An den Beispielen wird deutlich, dass die Abwägung zwischen Nutzen und Gefahr schwierig und komplex ist und deshalb erweiterte Testmethoden ratsam sind.

Wissenschaft, Politik und Landwirtschaft müssen zusammenarbeiten

Die Autoren schlagen daher eine generelle Neubewertung der Risikofaktoren vor. Wirkstoffe sollten dabei nicht mehr nur isoliert betrachtet werden, sondern auch in Kombination mit anderen Wirkstoffen, lokalen Bedingungen und bei Stresssituationen.

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Christoph Käsbauer schreibt seit 2018 als Gastautor für Pflanzenforschung.de.

Christoph Käsbauer schreibt seit 2018 als Gastautor für Pflanzenforschung.de.

Bildquelle: © Christoph Käsbauer

Um die wissenschaftliche Auswertung von Risiken zu erleichtern, schlagen sie eine gemeinsame Sammelstelle für Testdaten vor. Zudem wird ein gestuftes Zulassungsverfahren vorgeschlagen, bei dem ein neu zugelassener Stoff auch nach der Zulassung weiter engmaschig überwacht und kontrolliert wird. Landwirte müssten gleichzeitig intensiver geschult werden, um Fehlapplikation zu vermeiden. Auch seien mehr ökologische Ausgleichs- und Pufferflächen notwendig, um sensible Areale von Insekten und Pflanzen, wie Gewässer, sowie Wildpopulationen zu schützen.

Die Politik wird aufgefordert, dafür die entsprechenden Anreize für Landwirte zu schaffen. Die Situation erfordere dringend einen konstruktiven Dialog von Gesetzgebern, Wissenschaftlern und Landwirten.

Über den Autor:

Christoph Käsbauer schreibt seit 2018 als Gastautor für Pflanzenforschung.de und ist Pflanzenwissenschenschaftler mit Leib und Seele. Nach dem Bachelor- und Masterstudium mit Fokus auf Pflanzenzüchtung und Phytopathologie an der Technischen Universität München fertigt er gerade seine Promotion in Pflanzenbiochemie an der Universität Tübingen an. Er befasst sich dabei mit dem pflanzlichen Immunsystem und versucht zu ergründen, wie Pflanzen potentielle Schädlinge erkennen und abwehren können.