Mein Linalool, dein Linalool

Anziehungskraft eines Pflanzenduftstoffs variiert mit der Situation

26.07.2019 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Nymphe einer Geocoris-Wanze attackiert eine winzige Tabakschwärmerraupe, die gerade erst aus dem Ei geschlüpft ist. (Bildquelle: © Danny Kessler / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie)

Die Nymphe einer Geocoris-Wanze attackiert eine winzige Tabakschwärmerraupe, die gerade erst aus dem Ei geschlüpft ist. (Bildquelle: © Danny Kessler / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie)

Ein Team vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie hat den pflanzlichen Duftstoff Linalool und dessen Funktionen genauer untersucht. Sie fanden das Gen, das für die Produktion verantwortlich ist und kamen zu dem Schluss: Die Wirkung auf Tiere ist stark von der Situation abhängig.

Pflanzen sondern bei verschiedenen Gelegenheiten chemische Stoffe ab. Mal locken Sie damit Bestäuber an, mal sind es Reaktionen auf Schädlingsbefall. Ob und welche Stoffe sie abgeben, kommt also ganz auf die Situation an. Manchmal wird auch ein und dieselbe Verbindung unterschiedlich eingesetzt, wie z. B.  Linalool. Er kann von vielen Pflanzen hergestellt werden, doch die Ausschüttung des Duftstoffs variiert selbst bei Vertretern derselben Art erheblich. Daher haben Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena die ökologische Funktion des Duftstoffs in der wilden Tabakart Nicotiana attenuata genauer untersucht.

Ein Duftstoff, zwei Gesichter

Chemisch gesehen ist Linalool ein Monoterpenalkohol und zählt zur Gruppe der Terpenoide. Terpenoide sind – wie auch grüne Blattduftstoffe – flüchtige organische Verbindungen (engl. volatile organic compounds, VOCs), die von Pflanzen in verschiedenen Geweben, wie Blättern, Blüten, Früchten und Wurzeln, gebildet werden. Während grüne Blattstoffe von allen Pflanzen gebildet werden, ist die Produktion von Terpenoiden mitunter sehr spezifisch – sie werden oft bei Stress ausgeschüttet.

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Forscher haben die ökologische Funktion des Duftstoffs in der wilden Tabakart Nicotiana attenuata genauer untersucht. Der wilde Tabak ist eine ökologische Modellpflanze, bei der Wechselwirkungen mit Insekten, darunter der Tabakschwärmer (M. sexta) und Raubwanzen (Geocoris spp.), untersucht werden.

Forscher haben die ökologische Funktion des Duftstoffs in der wilden Tabakart Nicotiana attenuata genauer untersucht. Der wilde Tabak ist eine ökologische Modellpflanze, bei der Wechselwirkungen mit Insekten, darunter der Tabakschwärmer (M. sexta) und Raubwanzen (Geocoris spp.), untersucht werden.

Bildquelle: © Stan Shebs / wikimedia.org / CC BY-SA 3.0

Das Besondere an Linalool ist, dass es in zwei Formen (Enantiomere) vorkommt: Coriandrol (chemisch: (S)-(+)-Linalool) und Licareol (chemisch: (R)-(−)-Linalool). Beide sind gleichartig aufgebaut, aber dennoch verschieden, so wie beispielsweise die rechte und linke Hand. Beide Formen werden von Tieren als unterschiedliche chemische Stoffe wahrgenommen und haben daher ganz unterschiedliche Effekte.  

Um die natürliche Variation und deren genetische Grundlagen beim wilden Tabak zu ergründen, kreuzte das Team Tabakpflanzen unterschiedlicher Herkunft, die sich bei der Produktion von Linalool deutlich unterscheiden: Pflanzen aus dem US-Bundesstaat Arizona, die viel Linalool herstellen, mit Pflanzen aus Utah, die vergleichsweise wenig produzieren. Beide stellen jedoch nur die Coriandrol-Variante her.

Komplexe Interaktionen

Bekannt war bereits, dass die Interaktion von Tabak und Pflanzenfressern (Herbivoren), wie dem auf Tabak spezialisierten Tabakschwärmer (Manduca sexta), komplexer ist als man vielleicht vermuten würde. Sobald die Pflanze bemerkt, dass sich der Nachwuchs an ihr zu schaffen macht, lockt sie mit Hilfe von Linalool Raubwanzen an, die die Eier und Larven des Tabakschwärmers verspeisen.

Paradoxerweise ist Linalool Lösung und Ursache zugleich: Je mehr Linalool produziert wird, desto lieber legen Tabakschwärmerweibchen ihre Eier auf ihnen ab. „Offensichtlich ist es für die Pflanze nicht immer von Vorteil, wenn sie Linalool herstellt“, erklärt Jun He, der Erstautor der Studie, vom MPI für chemische Ökologie.

Allerdings werden durch mehr Linalool auch mehr Raubwanzen angelockt und Eier verspeist. Diese besondere Anziehungskraft auf Raubwanzen wurde durch die aktuelle Studie deutlich. Andere VOS zeigten keine solche Korrelation.

Verantwortliches Gen gefunden

Dann identifizierte und charakterisierte das Team das bei N. attenuata für die Bildung von Linalool verantwortlich Gen: NaLIS. Es kodiert für ein Enzym, genauer gesagt eine (S)-(+)-Linalool-Synthase. Bei den Analysen entdeckte das Team, dass im NaLIS-Gen eine 766 Basenpaare lange Sequenz in den Pflanzen aus Arizona vorhanden ist, die bei den Pflanzen aus Utah fehlt. Auch der Vergleich von weiteren 26 N. attenuata- Akzessionen belegte, dass Pflanzen, die viel Linalool produzieren ein funktionales Allel wie die aus Arizona aufweisen und alle Pflanzen, die wenig herstellen, eine Deletion wie die aus Utah haben.

Verhalten beobachtet

Anschließend manipulierten sie die Genexpression, um die Produktion von Coriandrol anzukurbeln. Zusätzlich führten sie die bisher nicht vom Tabak hergestellte Form Licareol in die Pflanzen ein.

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Ein Tabakschwärmerweibchen (Manduca sexta) legt ein Ei auf ein Blatt des wilden Tabaks Nicotiana attenuata.

Ein Tabakschwärmerweibchen (Manduca sexta) legt ein Ei auf ein Blatt des wilden Tabaks Nicotiana attenuata.

Bildquelle: © Danny Kessler / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Dann beobachteten sie das Verhalten von Tabakschwärmerweibchen, die unterschiedliche Pflanzen zur Auswahl hatten: Einmal die Wildtypen aus Arizona und Utah untereinander und einmal in Gegenwart jeweils eines Wildtyps und einer veränderten Pflanze. Erst wurde das Verhalten im Windtunnel unter kontrollierten Bedingungen, dann mit immer mehr Freiraum und größerer Auswahl für die Tabakschwärmer getestet.

Wie zu erwarten, legten die Motten beim Vergleich der Wildtypen ihre Eier lieber auf den Pflanzen aus Arizona ab, da sie von Natur aus mehr Linalool produzierten. Doch eine erhöhte Linalool-Produktion konnte nur teilweise das Eiablageverhalten der Motten erklären. Wichtiger war der gesamte genetische Hintergrund, also ob es sich um eine Pflanze aus Arizona oder aus Utah handelte.

Hatten die Motten die Wahl zwischen Pflanzen aus Arizona mit einer zusätzlich verstärkten Coriandrol-Produktion und dem Wildtyp, blieben die meisten interessanterweise dem Wildtyp treu. Erst die Extraproduktion Licareol führte zu einer verstärkten Eiablage. Auch bei den Pflanzen aus Utah fanden die Forscher trotz verstärkter Coriandrol-Produktion am Ende weniger Eier als beim Wildtyp. Hier zeigte die Licareol-Produktion aber keinen Effekt.

Der Kontext ist entscheidend

„Wir waren erstaunt, dass der experimentelle Kontext, den wir in unseren Versuchen herstellten, größere Verhaltensunterschiede bei den Motten hervorrief als die zwei verschiedenen Enantiomere“, erklärt Richard Fandino, der die Verhaltensuntersuchungen im Windtunnel konzipierte.

Die Unterschiede der Versuchspflanzen wurden immer kleiner, je komplexer die Umgebung war. Motten reagieren demzufolge auf viele verschiedene Merkmale von Pflanzen, bei der Suche nach Nahrung und einem geeigneten Platz zur Eiablage. „Die Insekten müssen die Informationen dann in ihre Entscheidung integrieren und zwischen den verfügbaren Pflanzen auswählen. Die Anwesenheit alternativer Pflanzen und wiederum deren Eigenschaften bestimmen so die Bedeutung jedes einzelnen Signals: in diesem Fall Linalool“, fasst die an der Studie beteiligte Forscherin Meredith Schuman zusammen. Die Reaktion eines speziellen Pflanzenfressers auf Linalool hängt den Ergebnissen zufolge von der Form des Duftstoffs, dem Genotyp der Pflanzen und der ökologischen Komplexität der Umgebung ab.


Quelle:
He, J. et al. (2019): An unbiased approach elucidates variation in (S)-(+)-linalool, a context-specific mediator of a tri-trophic interaction in wild tobacco. In: PNAS, (1. Juli 2019), doi: 10.1073/pnas.1818585116.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Die Nymphe einer Geocoris-Wanze attackiert eine winzige Tabakschwärmerraupe, die gerade erst aus dem Ei geschlüpft ist. (Bildquelle: © Danny Kessler / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie)