Moose trotzen Klimaveränderungen

„Orphan Genes“ helfen Moose beim Überleben

19.09.2014 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Moose sind wahre Überlebenskünstler und können gut mit Kälte umgehen. Vor hunderten von Millionen Jahren entwickelten sie sich aus Grünalgen der Gezeitenzone. (Bildquelle: © Peter Freitag/ pixelio.de)

Moose sind wahre Überlebenskünstler und können gut mit Kälte umgehen. Vor hunderten von Millionen Jahren entwickelten sie sich aus Grünalgen der Gezeitenzone. (Bildquelle: © Peter Freitag/ pixelio.de)

Sogenannte „Orphan Genes“ spielen bei der der Anpassung von Moosen an niedrige Temperaturen eine wichtige Rolle. „Orphan“ bedeutet so viel wie „verwaist“ oder „unbekannt“. Diese Gene scheinen für eine schnelle Reaktion auf eine sich verändernde Umwelt wichtig zu sein. Ein Grund mehr, die „Unbekannten“ bekannter zu machen.

Moose sind wahre Überlebenskünstler. Sie trotzen Hitze, Kälte und Trockenheit und sind in der Lage, viele Jahrhunderte im Eis eingeschlossen zu überleben. Ihre Geschichte begann vor rund 470 Millionen Jahren, im Zeitalter des Ordoviziums, das von einem starken Klimawandel geprägt war. Während es zu Beginn dieser Periode noch relativ warm war, sanken die globalen Temperaturen zum Ende hin deutlich ab. Moose müssen somit in einem frühen Stadium ihrer Evolution gelernt haben, sich an verändernde Klimabedingungen anzupassen.

Unter Kälteeinfluss verändert sich das Transkriptom

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Unter dem Einfluss von Kälte veränderte sich das Transkriptom der Gametophoren des Kleinen Blasenmützenmooses. (Physcomitrella patens). 

Unter dem Einfluss von Kälte veränderte sich das Transkriptom der Gametophoren des Kleinen Blasenmützenmooses. (Physcomitrella patens). 

Bildquelle: © Anja Martin/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

Um die Anpassungsstrategie von Moosen an Kälte zu entschlüsseln, konzentrierten sich die Forscher auf Veränderungen im Transkriptom, der Summe aller abgelesenen Gene zu einem Zeitpunkt. In einem Zeitfenster von 24 Stunden untersuchten sie, welche Gene von mehreren Gametophoren des Kleinen Blasenmützenmooses (Physcomitrella patens) unter dem Einfluss von Kälte, abgelesen wurden. Über den Beobachtungszeitraum von einem Tag wurden durch den Kältereiz über 10% aller Moosgene, genau genommen 11,6% bzw. 3.320 Moosgene, unterschiedlich exprimiert.

Orphan Genes spielen eine wichtige Rolle

Bei der genaueren Untersuchung der unterschiedlich exprimierten Gene stellten die Forscher zudem fest, dass ein signifikanter Teil (12%) der aufgrund von Stress unterschiedlich abgelesenen Gene sogenannte „Orphan Genes“ waren. In einer frühen Phase des Kältereizes machten diese sogar einen Anteil von bis zu 20% aus. Dies legt nahe, dass diese unbekannten Gene stark bei der ad hoc Reaktion der Moose involviert sind. Es ist gut möglich, dass diese schnellen „Umschalt-Gene“ wiederum andere Gene beeinflussen und komplexe Steuerungsprozesse auf physiologischer Ebene in den Zellen der Moose regeln.

Wie die Bezeichnung „verwaist“ ausdrückt, treten diese unbekannten Gene artspezifisch auf. Sie besitzen also keine funktionellen Ähnlichkeiten mit bereits bekannten Genen. Damit stellen „Orphan Genes“ ein großes Handicap für die Forschung dar. Sie entziehen sich nicht nur vergleichenden Analysen in Gendatenbanken mit anderen Organismen, sondern lassen auch etablierte Methoden zur Gen-Funktions-Aufklärung versagen. Das sonst im Labor gebräuchliche An- oder Abschalten der Gene läuft ins Leere. „Orphan Genes“ sind oft mit Letalfaktoren verknüpft. Werden sie verändert, entwickeln sich die Organismen nicht mehr.

Im Fall des induzierten Kältestresses stellen die „Orphan Genes“, so vermuten die Forscher, die entscheidenden Faktoren für die Anpassungs- und Überlebensfähigkeit der Moose dar.

Das Stresshormon Abscisinsäure beeinflusst die Genaktivität

Die Forscher führten die massiv veränderten Genaktivitäten inklusive der „Orphan Genes“ auf einen molekularen Hauptschalter zurück, nämlich auf das pflanzliche Stresshormon Abscisinsäure, das bei Pflanzen die Antwort auf äußere Stressfaktoren wie z. B. Kälte oder Trockenheit koordiniert. Die Bildung bzw. Biosynthese des Phytohormons findet vor allem in den Blättern statt und wird durch einen Abfall des Turgors, der Zellinnendruck, angestoßen. Das Stresshormon steuert bzw. hemmt das Pflanzenwachstum und reguliert außerdem den Wasserhaushalt bei Pflanzen, indem es das Öffnen und Schließen der Stomata, den Spaltöffnungen auf der Epidermis, reguliert und somit vor Austrocknung schützt. Die Wirkung der Abscisinsäure wird zum Bespiel auch im Herbst sichtbar, wenn Blätter und Früchte zu Boden fallen und Knospen in den „Winterschlaf“ versetzt werden, um diese zu schützen.

Moose als Lehrmeister

Gelingt es, die Funktion der „verwaisten“ Gene der Moose aufzuklären, hoffen die Forscher, anderen Pflanzen unter die Arme greifen zu können. Konkretes Ziel der Wissenschaftler ist es, die Widerstandsfähigkeit von Nutzpflanzen vor dem Hintergrund des Klimawandels zu verbessern. Zum einen könnte auf diese Weise sichergestellt werden, dass Nutzpflanzen auch bei Temperaturschwankungen stabile Erträge liefern. Zum anderen könnten für wichtige Ackerpflanzen, wie Soja (Glycine max), Mais (Zea mays) und weitere Wärme liebende Pflanzen, neue Anbauregionen erschlossen werden, deren Temperaturen bisher zu niedrig sind.


Quelle:
Beike, A. et al. (2014): Insights from the cold transcriptome of Physcomitrella patens: global spezialization pattern of conserved transcriptional regulators and identification of orphan genes involved in cold acclimation. In: New Phytologist, (10. September 2014), doi:10.1111/nph.13004

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Titelbild: Moose sind wahre Überlebenskünstler und können gut mit Kälte umgehen. Vor hunderten von Millionen Jahren entwickelten sie sich aus Grünalgen der Gezeitenzone. (Bildquelle: © Peter Freitag/ pixelio.de)