Ohne Pflanzenzucht geht es nicht

Studie zur Bedeutung der Pflanzenzüchtung in Deutschland

13.08.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Rapspflanzen in einem Zuchtgarten des mittelständischen Pflanzenzüchtungsunternehmens Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG. (Quelle: © NPZ)

Rapspflanzen in einem Zuchtgarten des mittelständischen Pflanzenzüchtungsunternehmens Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG. (Quelle: © NPZ)

Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt profitieren von den Fortschritten der deutschen Pflanzenzüchtung. Wie hoch dieser gesamtgesellschaftliche Nutzen ist, war bisher unbekannt. Eine aktuelle Studie untersuchte diese Effekte der Pflanzenzüchtung und kommt zu dem Schluss: Diese ist ein wichtiger Innovationsmotor und muss nachhaltig gefördert werden.

„Die internationalen Rahmenbedingungen der Weltagrarwirtschaft haben sich drastisch verändert“, leiten Dr. Steffen Noleppa von agripol – network for policy advice GbR, und Prof. Dr. Dr. Harald von Witzke von der Humboldt-Universität zu Berlin ihre Studie zur Bedeutung der Pflanzenzüchtung in Deutschland ein. Nachdem die Agrarpreise mehr als ein Jahrhundert lang stetig gesunken sind, markiert die Jahrtausendwende einen Umkehrpunkt des Abwärtstrends. Seit 2000 sind die Preise aller wichtigen Agrargüter tendenziell gestiegen und Wissenschaftler prognostizieren, dass dieser Trend mit der wachsenden Weltbevölkerung und sich ändernden Ernährungsgewohnheiten anhalten wird. Die zusätzliche Nachfrage nach agrarischen Rohmaterialien nicht nur als Nahrungs- und Futtermittel, sondern auch für die Energiegewinnung und als Substitut für chemische und andere Rohstoffe tragen ihr Übriges dazu bei. Wissenschaftler rechnen sogar damit, dass sich die Nachfrage nach Agrargütern in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts mehr als verdoppeln wird. Doch können Landwirte diesen Bedarf überhaupt befriedigen?

Um ihre Erträge dem wachsenden Bedarf an Agrargütern anzupassen, stehen Bauern grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Verfügung:

1. Die Erweiterung landwirtschaftliche genutzter Flächen.
2. Die Steigerung der Flächenproduktivität.

Die Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzfläche ist jedoch begrenzt. „In vielen Teilen der Welt, einschließlich Deutschlands und der EU, gibt es zudem keine nennenswerten Bodenreserven mehr, die noch für die Agrarproduktion mobilisiert werden können. Wo es solche Flächen noch gibt, wie etwa in Regionen mit tropischen Regenwäldern oder Savannen, sollten diese nicht in die landwirtschaftliche Nutzung überführt werden, vor allem aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes“, schreiben die Studienautoren.

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Ohne die Fortschritte in der deutschen Pflanzenzüchtung in den letzten 20 Jahren würden jährlich weltweit 2,29 Mio. Tonnen Kartoffeln fehlen. Damit können 72 Mio. Menschen versorgt werden.

Ohne die Fortschritte in der deutschen Pflanzenzüchtung in den letzten 20 Jahren würden jährlich weltweit 2,29 Mio. Tonnen Kartoffeln fehlen. Damit können 72 Mio. Menschen versorgt werden.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Alfaproxima

So bleibt also fast ausschließlich Option zwei, wenn es darum geht, mit der steigenden Nachfrage nach Agrargütern Schritt zu halten. Doch wie kann die Steigerung der Flächenproduktivität gelingen? Wenn auf gleicher Fläche mehr produziert werden soll, müssen die Pflanzen ertragreicher werden. „Pflanzenzüchtung sorgt dafür, dass Agrarprodukte auch bei steigender Nachfrage nicht zum Luxusgut werden“, schlussfolgern die Autoren der Studie.

Pflanzenzüchtung in Deutschland

Laut Angaben des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter e.V. (BPD) gibt es in Deutschland 130 Pflanzenzüchter und Saatenhändler. Die rund 12.000 Beschäftigten der Branche machen auf 30.000 qm Gewächshausfläche und 4.385 Hektar Zuchtgartenfläche mit über 3.000 zugelassenen Sorten einen Gesamtumsatz von 1,49 Mrd. Euro pro Jahr.

Höhere Flächenerträge

Forschung ist eine wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Pflanzenzüchtung. Öffentliche Aufwendungen und privatwirtschaftliche Investitionen in die Forschung steigerten die Flächenerträge in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren um bis zu 20 Prozent. Damit lag der Beitrag der Pflanzenzüchtung zum deutschen Bruttosozialprodukt nur bezogen auf die landwirtschaftliche Primärproduktion zwischen 1991 und 2010 bei ca. 9 Mrd. Euro. Würde auch noch die Veredlung von Agrarprodukten zum Beispiel als Lebensmittel, Rohstoff oder Energie betrachtet, würde sich dieser Wert vervielfachen. Um die Zahlen der Primärproduktion besser greifbar zu machen, verdeutlichen die Studienautoren ihre Berechnungen an drei Beispielen. Ohne die Fortschritte in der deutschen Pflanzenzüchtung in den letzten 20 Jahren würden jährlich weltweit folgende Agrarprodukte als Nahrungsmittel fehlen:

  • 2,53 Mio. Tonnen Weizen. Damit können 38 Mio. Menschen versorgt werden.
  • 2,29 Mio. Tonnen Kartoffeln. Damit können 72 Mio. Menschen versorgt werden.
  • 0,88 Mio. Tonnen Rapsöl. Damit können 275 Mio. Menschen versorgt werden.

Weniger CO2-Ausstoß

Ertragreichere Pflanzen sorgen außerdem dafür, dass deutlich weniger Flächen neu kultiviert werden müssen. Und das wiederum vermeidet CO2-Emissionen. Die Entwaldung und die Umwandlung von Gras- in Ackerland in vielen Teilen der Welt setzte weit mehr des schädlichen Klimagases CO2 frei als die weltweite Industrieproduktion oder das Transportwesen, so die Studienautoren. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Fortschritte in der Pflanzenzüchtung von 1991 bis 2010 dank der eingesparten Flächenausdehnung die Freisetzung von 160 Mio. Tonnen CO2 eingespart hätten. Dieser Nutzen lässt sich über den Preis für Emissionszertifikate auch in Geldeinheiten umrechnen. Bei einem Preis von z.B. 12,50 Euro / t CO2 beläuft er sich auf mehr als 2 Mrd. Euro für den Zeitraum zwischen 1991 und 2010, durch eingesparte CO2-Emissionen aus globalen Landnutzungsänderungen. Die Pflanzenzüchtung trage damit zum Erhalt natürlicher Lebensräume, von Biodiversität und eines intakten Wasserhaushalts bei. Das nutze besonders sensiblen Ökosystemen wie den Regenwäldern Brasiliens.

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Bildquelle: © Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V. (BDP)

Pflanzenzüchtung muss gestärkt werden

Da die Bevölkerung sowohl in volkswirtschaftlicher als auch in ökologischer Hinsicht maßgeblich von den Errungenschaften der deutschen Pflanzenzüchter profitiert habe, gelte es, diese auch in Zukunft nachhaltig zu stärken, so die Studienautoren. In Konsequenz fordern sie den Ausbau der öffentlichen Forschungsförderung für die Pflanzenzüchtung, besonders im vorwettbewerblichen Bereich aber auch den Schutz der geistigen Eigentumsrechte, insbesondere die Stärkung des Sortenschutzes einschließlich einer praktikablen Erhebung der Nachbaugebühren.

Die Veröffentlichung der Studie nahm der Bundesverband der Deutschen Pflanzenzüchter (BDP) zum Anlass, diese Forderungen weiter zu untermauern. Der BDP plädiert dafür, die im Feld aktiven Bundesforschungseinrichtungen weiter zu stärken. Aber auch Steuererleichterungen für Forschung und Entwicklung, vor allem für die überwiegend mittelständischen Pflanzenzüchtungsunternehmen gilt es umzusetzen. Diese sind in anderen Ländern üblich und auch in Deutschland waren diese Änderungen Bestandteil der Koalitionsvereinbarung der Regierung. Weiterhin ist es wichtig die Schnittstellen zwischen Sorten- und Patentschutz klar und rechtsverbindlich zu definieren.

Der Fortschritt in der Pflanzenzüchtung komme Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt direkt und indirekt zugute, so die Wissenschaftler der Studie. Investitionen in die Pflanzenzüchtung sind Investitionen in die Sicherung unserer Zukunft und die Zukunft unserer Enkel.

Die Studie zur gesellschaftlichen Bedeutung der Pflanzenzüchtung in Deutschland wurde vom Humboldt Forum for Food and Agriculture (HFFA) e.V. veröffentlicht.


Quelle:
Steffen Noleppa und Harald von Witzke (2013): Die gesellschaftliche Bedeutung der Pflanzenzüchtung in Deutschland - Einfluss auf soziale Wohlfahrt, Ernährungssicherung, Klima- und Ressourcenschutz. Humboldt Forum for Food and Agriculture e.V. (HFFA).

Weiterführende Informationen:
BDP: Flyer zur Studie (PDF, 1,9 MB)

Zum Weiterlesen:

Lexikon:

Titelbild: Rapspflanzen in einem Zuchtgarten des mittelständischen Pflanzenzüchtungsunternehmens Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG. (Quelle: © NPZ)