Pflanzen unter Strom

Pflanzen besitzen Expressrouten für den Langstreckentransport von Informationen

26.02.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Viele sehen im Phloem, den Nährstoffbahnen der Pflanzen, Expressrouten für elektrische Signale. Das Phloem befindet sich in der Mitte des Querschnitts. (Bildquelle: © Garry DeLong/Fotolia.com)

Viele sehen im Phloem, den Nährstoffbahnen der Pflanzen, Expressrouten für elektrische Signale. Das Phloem befindet sich in der Mitte des Querschnitts. (Bildquelle: © Garry DeLong/Fotolia.com)

Forscher beobachten, wie elektrische Signale bei Kälte und Verletzungen durch das Phloem flitzen. Indizien, dass die Nährstoffbahnen nicht nur Nährstoffe transportieren, sondern auch Informationen. Informationen, die in elektrische Impulse verpackt sind. Um mehr über diese Transportwege herauszufinden, bedarf es neuer Methoden und Messverfahren.

Wie das Adersystem durchzieht ein dichtes  Informationsnetz aus elektrisch aktiven Sinnes-, Nerven- und Muskelzellen unseren menschlichen Körper. Diese sind Quelle, Leiter und Empfänger elektrischer Signale, die Sinneseindrücke mit Reaktionen z. B. Muskelaktivitäten verbinden. Diese hochentwickelten Systeme sind nicht aus dem Nichts entstanden. Vielmehr müssen sie evolutionäre Vorläufersystem besessen oder alternative Formen der Signaltransduktion besessen haben. Somit erscheint es logisch und sinnvoll, dass auch andere Organismen Mittel und Wege besitzen, um Signale aus der Umwelt aufzunehmen, zu übermitteln und zu verarbeiten. Nicht nur von Zelle zu Zelle, sondern auch über längere Wege.

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Der Nachweis elektrischer Signale gelang bereits im 19. Jahrhundert bei fleischfressenden Venusfliegenfallen. Berührt ein Insekt die Sinneshaare im Innern der zu Fallen umgebildeten Blattspitzen, löst das Signale (Aktionspotentiale) aus. 

Der Nachweis elektrischer Signale gelang bereits im 19. Jahrhundert bei fleischfressenden Venusfliegenfallen. Berührt ein Insekt die Sinneshaare im Innern der zu Fallen umgebildeten Blattspitzen, löst das Signale (Aktionspotentiale) aus. 

Bildquelle: © asoby/Fotolia.com

Obwohl Pflanzen weder Nerven noch Synapsen besitzen, können auch sie Informationen in Form von elektrischen Signalen systematisch auszutauschen. Der Nachweis elektrischer Signale gelang bereits im 19. Jahrhundert bei fleischfressenden Venusfliegenfallen. Anders als bei Mensch und Tier tappen Forscher bei der Entschlüsselung dieser Prozesse noch weitestgehend im Dunkeln. Denn diese Prozesse sind noch wenig erforscht und verstanden. Und auch wenn es unumstritten ist, dass es elektrische Signale bei Pflanzen gibt, ist es selbst unter Forschern umstritten, ob Pflanzen tatsächlich Informationen über elektrische Signale weiterleiten.

Elektrische Signale informieren über äußere Einflüsse

Ein triftiger Grund war und ist der Mangel an Werkzeugen, um an verlässliche Informationen zur Verarbeitung und Übertragung elektrischer Signale im Pflanzeninneren heranzukommen. Trotzdem hat eine Forschergruppe neue Erkenntnisse zur Signalverarbeitung und -weiterleitung unter dem Einfluss von Kälte und Verletzungen gesammelt. An Arabidopsispflanzen, dem Modellsystem der Pflanzenforschung, beobachteten sie, dass in Folge beider Einflüsse elektrische Signale ausgesendet werden. Und zwar vom Ort der Wahrnehmung in entfernte, nicht betroffene Bereiche.

Je nachdem, ob es sich um einen kleinen Kälteschock oder eine Schnittverletzung handelte, variierten die Signale. Während sich Letzteres in langsamen Impulsen über mehrere Minuten widerspiegelte, erzeugte Kälte schnellere, etwa 15 Sekunden lange Impulse mit einer höheren Amplitude von bis zu 100 Millivolt (mV). Für die Forscher ein Indiz, dass elektrische Signale Informationen codieren. Doch wie kamen die Forscher zu diesen Daten? Die Antwort: Bio-Elektroden.

Blattläuse als Bio-Elektroden

Bemerkenswert ist, dass der Ursprung dieser Methode ein anderer Kontext und eine andere Fragestellung war: Ziel der 1964 entwickelten EPG-Technik (Abk. für Electrical Penetration Graph) war es, das Saugverhalten von Blattläusen und anderen Insekten mit stechendsaugendem Mundwerkzeugen zu untersuchen. Eine bis heute genutzte Methode, bei der zwischen Blattlaus und Pflanze ein elektrischer Stromkreis erzeugt wird. Dies, indem in die Erde einer getopften Pflanze eine Elektrode gesteckt wird, die über einen feinen Golddraht mit z.B. einer Kohlblattlaus (Brevicoryne brassicae) verbunden ist.

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Für wissenschaftliche Forschungszwecke erlaubten die Forscher Kohlblattläusen, nach Herzenslust am Phloem von Pflanzen zu saugen.

Für wissenschaftliche Forschungszwecke erlaubten die Forscher Kohlblattläusen, nach Herzenslust am Phloem von Pflanzen zu saugen.

Bildquelle: © Alvesgaspar/ wikimedia.org; CC BY-SA 3.0

Dringt die Laus mit ihrem spitzen Rüssel in das Pflanzengewebe ein, schließt sich der Kreislauf und man erhält eine Wechselspannung, das EPG-Signal. Der Beweis, dass die Blattlaus saugt. Je nachdem wie das Signal ausfällt, können Stech- und Saugverhalten dokumentiert, bevorzugte Einstichbereiche und -muster identifiziert werden, um daraus Strategien und Maßnahmen für den Pflanzenschutz zu entwickeln. Denn Blattläuse sind gefürchtete Feinde – sie rauben den Pflanzen die Nahrung und sind Überträger von Bakterien und Viren, welche den bereits geschwächten Pflanzen den Garaus machen.

Neue Einsatzgebiete für eine alte Technik

Nach vielen Jahren der Weiterentwicklung ist es nun möglich, nicht mehr nur das Saugverhalten, sondern auch die Verbreitung elektrischer Signale (Aktionspotentiale) im Phloem zu untersuchen.  Jene Bündel aus Siebröhren, die vor allem als Transportwege für Zucker, Aminosäuren und weitere Stoffwechselprodukte bekannt sind. Aufgrund ihres besonderen Aufbaus scheint es durchaus plausibel, dass sie auch als Expressrouten für elektrische Botschaften geeignet sind: lange, weit verzweigte Zellen und somit wenig Hindernisse die ein Signal überwinden muss. Doch warum nutzen Forscher ausgerechnet Blattläuse, um das Rätsel der pflanzlichen Signalweiterleitung mittels elektrischer Signale besser zu erforschen?

Vorteile der Blattlaus-Bio-Elektroden

Für die Forscher liegen die Vorteile der Bio-elektroden auf der Hand: Im Vergleich zu alternativen Verfahren, vor allem Oberflächenelektroden und Mikroelektroden, sind die feinen Mundstachel der Phloemsauger präzise und nur minimal invasiv. Das Manko von Oberflächenelektroden ist, dass sie nur das Feldpotenzial im darunter liegenden Gewebe erfassen, nicht aber die Signalübertragung speziell im Phloem, zudem verfälschen Gewebeverletzungen durch eingesetzte Glaselektroden das Bild. Auf die Läuse können sich die Forscher verlassen. Sie treffen das Phloem unter Garantie.

Mit den Bio-Elektroden verfügen die Wissenschaftler über eine Methode, um die Verarbeitung und Übermittlung elektrischer Signale im Phloem zu erfassen. Doch noch liegen viele ungeklärte Fragen vor ihnen, die es zu ergründen gilt. So sind die molekularen Hintergründe und Reaktionen noch nicht verstanden. Wie entstehen die Signale, was kodieren diese im Detail und welches sind die Reaktion auf diese Informationen in den Entfernten Organen und deren Rückkopplung auf den Entstehungsort? Gibt es eine Art Gedächtnis, um schneller reagieren zu können und wird dieses vererbt? Auch fehlt es im Moment noch an Möglichkeiten, die räumliche und zeitliche Ausbreitung in der Gesamtpflanze zu erfassen und zu visualisieren. Bisher ist man auf punktuelle Messungen beschränkt.

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Während die Raupe an einem Blatt knabbert, flitzen Signale durch dir Pflanze, um andere Bereiche vor dem Angreifer zu warnen.

Während die Raupe an einem Blatt knabbert, flitzen Signale durch dir Pflanze, um andere Bereiche vor dem Angreifer zu warnen.

Bildquelle: © Echino / pixelio.de

Dass hinter den Aktionspotenzialen, die durch das Phloem gesendet werden, mehr stecken muss, als nur ein Nebeneffekt im Zuge der chemischen Signalübertragung, ist mittlerweile eine weit verbreitete Meinung. Denn anders als Axone, die bei Mensch und Tier für die Weiterleitung elektrischer Signale zuständig und optimiert sind, kann durch den Aufbau des Phloems weder Reichweite noch Übertragungsqualität erklärt werden. So besitzen die Leitbündel z. B. keine Isolierschicht aus Myelin, die Spannungsverluste bei der Übertragung verhindert und vor externen Interferenzen schützt. Daher halten die Forscher eine passive Übertragung für nahezu ausgeschlossen, die Übertragung elektrischer Impulse über eigens vorgesehene Ionenkanäle für wahrscheinlicher.

Kontroverse Methaphorik

Nun aber von einer „Pflanzenneurobiologie“ zu sprechen, wäre trotz aller Parallelen falsch. Schließlich besitzen Pflanzen keine Nerven oder Synapsen. Wissenschaftler wie David Robinson von der Universität Heidelberg machen es deutlich: „Pflanzenneurobiologen sind keine ernsthaften Wissenschaftler. Es ist alles Esoterik und schädlich für die Pflanzenbiologie.“ Aus diesem Grund, sind Arbeiten wie die vorliegende Publikation wichtig, um gesicherte Antworten zu finden, wie, wann, warum und was Pflanzen mittels elektrischer Signale kommunizieren.

Dieter Volkmann von der Universität Bonn entgegnet Kritikern wie Robinson: „Der Begriff Pflanzenneurobiologie ist eher eine Metapher und Metaphern können sehr nützlich sein, weil sie neue Denkansätze ermöglichen.“ Doch reichen Denkansätze alleine nicht aus, um die Hintergründe aufzuklären. Um der Sache Vorschub zu leisten, bedarf es, wie die Forscher betonen, neuer Werkzeuge und neuer Fragestellungen.


Quelle:
Hedrich, R. et al. (2016): Electrical Wiring and Long-Distance-Plant Communication. In: Trends in Plant Science, (12. Februar 2016), doi: 10.1016/j.tplants.2016.01.016.

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Titelbild: Viele sehen im Phloem, den Nährstoffbahnen der Pflanzen, Expressrouten für elektrische Signale. Das Phloem befindet sich in der Mitte des Querschnitts. (Bildquelle: © Garry DeLong/Fotolia.com)