Pflanzlicher Signalweg ähnelt tierischem Nervensystem

Glutamat sendet Calcium-Signale in benachbarte Blätter

01.10.2018 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Fraßschäden durch eine Raupe geben Pflanzen an benachbarte Blätter weiter. (Bildquelle: © Pixabay/CC0)

Fraßschäden durch eine Raupe geben Pflanzen an benachbarte Blätter weiter. (Bildquelle: © Pixabay/CC0)

Alle mehrzelligen Organismen haben Signalwege entwickelt, um innerhalb des Organismus Verletzungen zu kommunizieren. Pflanzen können so beispielsweise als Reaktion auf einen Fraßschaden benachbarte Blätter durch chemische Abwehrmaßnahmen für Schädlinge unattraktiv machen. Jetzt haben Forscher gezeigt, dass dabei Calcium als Signalstoff fungiert.

Es war eine eher zufällige Entdeckung, in deren Folge Pflanzenbiologen um Simon Gilroy von der University of Wisconsin einen lange gehegten Verdacht bestätigen konnten: Wenn ein Pflanzenblatt angefressen wird, warnt es umgehend andere Blätter. Das Signal dafür hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem tierischen Nervensystem.

Eigentlich hatte das Team lediglich testen wollen, ob Calcium eine Rolle bei der pflanzlichen Anpassung an die Schwerkraft spielt. Dazu entwickelten sie einen hochsensiblen Calciumsensor auf molekularer Basis. Aber als die Forscher ein Blatt der Ackerschmalwand für weitere Untersuchungen abschnitten, leuchtete wenig später das Sensormolekül in benachbarten Blättern der Pflanze kurzzeitig auf. Nach und nach zeigte sich diese Reaktion auch in weiter entfernten Blättern. Offensichtlich hatte das Abschneiden des Blattes in anderen Teilen der Pflanze vorübergehend die Calciumkonzentration erhöht.

Reaktion auf Verletzungen

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Das Video zeigt: Eine Verletzung mit Glutamatanstieg an der Spitze eines Blattes erzeugt eine starke Calciumwelle, die sich über die gesamte Pflanze ausbreitet. Sichtbar gemacht wurde dies durch Fluoreszenzlicht. (Quelle: UW-Madison Campus Connection/youtube.com)

In angeregten tierischen Nervenzellen löst die Aminosäure Glutamat eine „Welle“ von Calciumionen aus, die in benachbarten Zellen die Weiterleitung des Signals aktivieren – und so fort. Von Pflanzen wusste man bislang nur, dass auch hier ein analoger Signalweg existieren muss: Wird ein Blatt durch Herbivore beschädigt, reagieren auch benachbarte, unversehrte Blätter. Sie bilden etwa unangenehme Duftstoffe oder unverdauliche Substanzen, um den Angreifer abzuwehren. Als mögliche Signalträger vermutet man reaktive Sauerstoffspezies, elektrische Signale und die Calciumkonzentration im Cytosol. Gilroy und seinem Team war daher schnell klar, worum es sich bei der beobachteten Calciumerhöhung handeln könnte.

Diese Reaktion kann sowohl durch die Fressaktivität einer Raupe als durch eine Verletzung des Blattes mittels Schere ausgelöst werden. Daher folgerten die Biologen, dass kein chemischer Stoff der Herbivoren, sondern allein die Verletzung dafür erforderlich ist. Weil sich das Signal mit etwa einem Millimeter pro Sekunde im Phloem ausbreitet, konnte es sich nicht um Diffusion eines Botenstoffes handeln – dafür war das Signal zu schnell. Wo das Signal aber ankam, erhöhte sich die Expression von Abwehrgenen, und die Konzentration des Abwehrhormons Jasmonsäure stieg an. Inhibierten die Forscher aber die Ca2+-Kanäle mittels La3+, blieb die systemische Reaktion aus. Calcium stand somit als Signalvermittler fest.

Auslöser des Calciumsignals

Damit blieb noch die Frage, wie es durch eine Blattverletzung zur Calciumausschüttung und der Signalweiterleitung kommt. Im Verdacht standen die für Kationen durchlässigen Ionenkanäle der GLR-Familie (Glutamate Receptor-like), die bekannter Weise von Pathogenabwehr bis Wurzelwachstum in vielen Prozessen eine Rolle spielen. Tatsächlich fand in Mutanten mit inaktiven GLR3.3- und GLR3.6-Genen keine Calciumausbreitung statt. Mittels Fluoreszenzmarkern zeigte die Arbeitsgruppe, dass GLR3.3 im Phloem lokalisiert ist, GLR3.6 in den Kontaktzellen des Xylem-Parenchyms. Dass sich beide am Calciumtransport beteiligten GLR-Typen in unterschiedlichen Zelltypen befinden, deutet entweder auf eine bislang unbekannte Verbindung zwischen diesen Zellentypen hin oder auf zwei voneinander unabhängige Wege der Wundsignalisierung.

Aus früheren Studien war bekannt, dass GLR-Kanäle durch Aminosäuren geöffnet werden. In diesem Fall zeigte sich, dass lediglich die Aminosäure Glutamat die Calcium-vermittelten Abwehrreaktionen auslöst. Eine geringere Glutamatkonzentration hatte dabei auch eine geringere Veränderung der Calciumkonzentration zur Folge. Mittels Fluoreszenzmarkern wiesen die Pflanzenforscher nach, dass sich Glutamat als Reaktion auf eine Verletzung im Bereich der Blattwunde im Apoplast anreichert. Eine größere Verletzung führte dabei zu einem größeren Glutamatanstieg. „Die Pflanze reagiert entsprechend der Wundgröße mehr oder weniger heftig“, folgert das Team um Gilroy. Unklar blieb jedoch zunächst, ob es sich bei der Glutamatfreisetzung um einen aktiven Prozess der Pflanze handelt oder ob das Glutamat aus den verletzten Zellen lediglich aussickert.

Mikroskopietechnik hat zum Erfolg geführt

Möglich wurde die Entdeckung dieses Signalwegs nicht zuletzt durch das besondere Mikroskop, das die Forscher nutzten. Es kombinierte ein sehr großes Lichtfeld mit einer hocheffizienten Kamera, die auch schwache Fluoreszenz erfassen und die Signalausbreitung im Zeitraffer abbilden konnte. Denkbar wäre, dass auf diese Weise noch weitere Beteiligungen von Glutamat und GLR-Kanälen an der pflanzlichen Signalgebung entdeckt werden können. Ein besseres Verständnis der pflanzlichen Kommunikation kann jedenfalls dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit und Ertragsleistung von Pflanzen zu verbessern.


Quelle:
Toyota, M. et al. (2018): Glutamate triggers long-distance, calcium-based plant defense signaling. In: Science 361, 1112–1115, (14. September 2018), doi: 10.1126/science.aat7744.

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Titelbild: Fraßschäden durch eine Raupe geben Pflanzen an benachbarte Blätter weiter. (Bildquelle: © Pixabay/CC0)