Phytoplankton auf der Flucht

02.10.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Algenart Heterosigma akashiwo ist in der Lage vor Fressfeinden zu flüchten. (Quelle: © Mikenish / Wikimedia.com; CC BY 3.0)

Die Algenart Heterosigma akashiwo ist in der Lage vor Fressfeinden zu flüchten. (Quelle: © Mikenish / Wikimedia.com; CC BY 3.0)

Pflanzen können bei Gefahr nicht weglaufen? Zumindest in marinen Ökosystemen scheint dies doch möglich: Forscher beobachteten, dass pflanzliches Plankton vor Räubern flüchten kann! Ein solches Fluchtverhalten war bei Pflanzen bisher unbekannt.

Wissenschaftler machten die unerwartete Beobachtung während sie die Interaktionen zwischen Phytoplankton und Zooplankton untersuchten. Phytoplankton ist zur Photosynthese fähig, wohingegen Zooplankton sich entweder von Phytoplankton oder anderem Zooplankton ernährt.

Während die Forscher die Räuber-Beute-Interaktionen mithilfe von bildgebenden Verfahren 3-dimensional darstellten, beobachteten sie, dass die Algenart Heterosigma akashiwo (Phytoplankton) in der Anwesenheit von räuberischem Zooplankton anders schwamm. Fressfeinde von Phytoplankton sind einzellige Eukaryoten, sogenannte Wimpertierchen – hier wurde die Art Favella sp. untersucht.

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Ungefähr 2/3 der Erdoberfläche sind Meere und Gewässer. Geschätzt  wird, dass Phytoplankton für über 90 % der Biomasse im Meer verantwortlich ist. Diese photosynthetisch aktiven Pflanzen und Bakterien zählen wie die Landpflanzen zu den Primärproduzenten. Leben in seiner Vielfalt ist nur durch die Systemleistung dieser Mikroorganismen möglich.

Pro Jahr, so Schätzungen, produziert Phytoplankton etwa genau so viel Sauerstoff wie alle Landpflanzen zusammen. Die Biomasse des Phytoplanktons wird jedoch nur auf etwa ein Zweihundertstel der Masse der Landpflanzen geschätzt. Im Gegensatz zu diesen, bestehen diese aquatischen Einzeller fast nur aus aktiver Biomasse, im Gegensatz z.B. zum Kernholz der Bäume. Somit leisten diese einzelligen Primärproduzenten im Wasser bezogen auf ihre Masse das Zweihundertfache der Landpflanzenproduktivität.

Phytoplankton flüchtet gezielt

Daraufhin führten sie eine Reihe von Laborexperimenten mit der Algenart Heterosigma akashiwo durch. In Gegenwart des Fressfeindes erhöhte Heterosigma akashiwo ihre Geschwindigkeit um durchschnittlich 38%. Auch versuchte die Alge das Zusammentreffen mit dem Räuber aktiv zu vermeiden.

Das Phytoplankton floh nicht nur, wenn es in Gegenwart des Zooplanktons war, sondern auch, wenn es sich in Wasser befand, in dem zuvor Räuber schwammen. Allerdings nur, wenn diese auch Phytoplankton auf ihrer Speisekarte stehen haben. Bei Räubern, die sich nicht von Phytoplankton ernähren, beobachteten die Forscher kaum Fluchtreaktionen. Das heißt also, das Phytoplankton reagiert prinzipiell nur auf direkte Gefahr, sprich ihre Fressfeinde, mit Flucht. 

Die Algen flüchten an einen sicheren Ort

Zudem testeten die Wissenschaftler, wie sich die Alge verhält, wenn man ihr einen sicheren Zufluchtsort bietet. Man verwendete hierzu Wasser mit einem niedrigen Salzgehalt, das die Räuber nicht tolerieren können. Das Phytoplankton flüchtete in diese Region des Untersuchungsgefäßes und verringerte dort seine Schwimmgeschwindigkeit.

Mechanismus noch unklar

Ungeklärt ist bisher jedoch, wie das Phytoplankton auf den Feind aufmerksam wird. Denn das Fluchtverhalten zeigten die Algen nicht nur kurzfristig, sondern über längere Zeit hinweg. Weder ein mechanisches noch ein chemisches Signal könnte für die anhaltende Bewegungsveränderung des Phytoplanktons verantwortlich sein, da diese nicht über mehrere cm und Stunden übertragen werden können. Daher wissen die Forscher noch nicht, durch welche Signale diese langanhaltende Fluchtreaktion hervorgerufen wird. Beobachtbar war allerdings, dass sich die Fluchtreaktion verstärkt, wenn die Fressfeinde gerade dabei sind Phytoplankton zu verspeisen.

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Beispiel einer roten Algenblüte (hier: der Dinoflagellaten). Auch bei der Algenblüte von Heterosigma akashiwo verfärbt sich das Wasser rot.


Beispiel einer roten Algenblüte (hier: der Dinoflagellaten). Auch bei der Algenblüte von Heterosigma akashiwo verfärbt sich das Wasser rot.

Bildquelle: © Alejandro Díaz / Wikimedia.org; gemeinfrei

Beeinflusst das Fluchtverhalten die Population?

Durch die Flucht überlebten die Algen die Anwesenheit der Fressfeinde und konnten sich dadurch weiter vermehren. Im Experiment verdreifachte sich ihre Population. Da durchschnittlich über 50% der täglichen Primärproduktion an Phytoplankton in den Meeren durch einzelliges Zooplankton verbraucht wird, ist der Faktor „Flucht“ auch für das gesamte marine Ökosystem bedeutsam. Weitere Untersuchungen sollen nun klären, ob auch andere Arten von Phytoplankton ein solches Verhalten zeigen und ob die planktonische Räuber-Beute-Interaktion im Allgemeinen durch individuelles Fluchtverhalten beeinflusst wird.  

Weitere Implikationen

Bei der untersuchten Algenart Heterosigma akashiwo, kommt es teilweise zu einer spontan eintretenden, massenhaften Vermehrung direkt an der Wasseroberfläche in Küstenregionen. Diese plötzliche Häufung wird auch Algenblüte genannt, da sich dadurch das Wasser sichtlich verfärbt. Die Algenblüte einiger Algenarten, darunter auch die von Heterosigma akashiwo, kann jedoch für andere Organismen schädlich sein.

Die Forscher vermuten, dass das beobachtete Fluchtverhalten durchaus auch ein Mechanismus sein könnte, der für die Algenblüte förderlich ist. Denn, überleben mehr Algen durch das vorteilhafte Fluchtverhalten, wächst folglich die Population und mehr Algen könnten potentiell das Meer zum blühen bringen.


Quelle:
Harvey E.L., Menden-Deuer S. (2012): Predator-Induced Fleeing Behaviors in Phytoplankton: A New Mechanism for Harmful Algal Bloom Formation? In: PLoS ONE 7(9): e46438, 28. September 2012, doi: 10.1371/journal.pone.0046438.

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Titelbild: Die Algenart Heterosigma akashiwo ist in der Lage vor Fressfeinden zu flüchten. (Quelle: © Mikenish / Wikimedia.com; CC BY 3.0)