Programmierter Zelltod lässt Gitterblätter entstehen

25.07.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Modell für die Forschung: die Madagaskar-Gitterpflanze (Quelle: © Adrian Dauphinee)

Modell für die Forschung: die Madagaskar-Gitterpflanze (Quelle: © Adrian Dauphinee)

Die Madagaskar-Gitterpflanze nutzt den programmierten Zelltod, um die charakteristischen Löcher in ihren Blättern zu erzeugen. Erstmals haben Forscher die physiologischen Vorhänge während dieses Prozesses in lebenden Pflanzen beobachtet. Die Gitterpflanze soll zukünftig als Modell dienen, um den programmierten Zelltod besser zu verstehen. Davon könnte auch die Entwicklung neuer Krebstherapien profitieren.

Der programmierte Zelltod sorgt in Pflanzen und Tieren für das gezielte Absterben alter, nutzloser und gefährlicher Zellen. Damit ist der hoch regulierte Prozess ein Teil der normalen Entwicklung in Organismen, aber auch eine Reaktion auf spezifische Umweltbedingungen. Der zelluläre Selbstzerstörungsmechanismus ist auch ein zentraler Mechanismus unseres Immunsystems. Dies macht ihn für die Medizin interessant: Ließe sich der Mechanismus etwa in Krebs- oder Viruszellen gezielt aktivieren, könnten auf dieser Basis neue, sehr spezifisch wirkende Therapien z.B. gegen Krebs, AIDS und auch Alzheimer entwickelt werden. 

Wissenschaftler haben erstmals die physiologischen Vorgänge während des programmierten Zelltods in lebenden Blättern der Gitterpflanze (Aponogeton madagascariensis) sichtbar gemacht. Die in Madagaskar endemische (nur dort vorkommende) Wasserpflanze lässt Zellen nach einem festen Muster absterben und erzeugt so die für die Pflanze typischen Löcher in den Blättern. 

Der Prozess der Blattperforation erfolgt dabei in fünf Phasen. Die Wissenschaftler konzentrierten sich in ihren Experimenten auf die Phase 2, in der die Löcher in den Blättern entstehen. Sie wählten Blätter aus, die kurz vor dieser Phase standen und beobachteten diese über einen längeren Zeitraum. Sie nutzten dafür spezielle bildgebende Verfahren wie Live Cell Imaging, Zeitraffer-Mikrophotographie und 3D-Videotechniken, mit denen sie die Veränderungen in den lebenden Zellen in Echtzeit bzw. im Zeitraffer nachvollziehen konnten. Ebenso kamen Mikroskopie- und gezielte Einfärbetechniken zum Einsatz. 

Der Tod beginnt im Zentrum der Areole

Nach den Erkenntnissen der Forscher beginnt der programmierte Zelltod im Zentrum der sogenannten Areole, der Blattbereiche zwischen den horizontalen und vertikalen Blattadern. Er setzt sich in Richtung der Blattadern fort bis er etwa vier bis fünf Zellen vor der Blattader zum Stillstand kommt. 

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Die Madagaskar-Gitterpflanze ist auch eine beliebte, wenn auch anspruchsvolle Aquariumspflanze.

Die Madagaskar-Gitterpflanze ist auch eine beliebte, wenn auch anspruchsvolle Aquariumspflanze.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Vidmantas Goldbergas

Die Phasen des Sterbens 

Anhand der Pigmentierung der Zellen lässt sich das Stadium des Zelltods nachvollziehen. So sind gesunde Zellen aufgrund ihres hohen Gehalts an dem Pflanzenfarbstoff Anthocyanin pink. Zellen in einem frühen Zelltod-Stadium haben eine grüne Farbe. In ihnen wurde das Anthocyanin abgebaut, das Chlorophyll der Chloroplasten ist noch erhalten. Im späten Zelltod-Stadium sind beide Pigmente aus den Zellen verschwunden. 

Der Abbau der Pigmente ist jedoch nicht die einzige Veränderung in den Zellen. Nach dem Verlust des Anthocyanins nahm auch die Größe und die Anzahl der Chloroplasten in den Zellen ab. Zeitgleich kam es zu Veränderungen des Zytoskeletts. Dieses stabilisiert die Zelle nach innen. Die fadenförmigen Aktinfilamente im Zytoskellet bündelten sich, sie wurden dadurch dicker und ihre Anordnung zunehmend willkürlich. Im späten Zelltod-Stadium lösten sich die Aktin-Strukturen vollständig auf.

Der geplante Zellabbau

Etwa zeitgleich klumpten Zellorganellen wie Mitochondrien und Chloroplasten im Zytoplasma zusammen und fusionierten in kleinen, rundlichen Vesikeln mit der Membran der Zentralvakuole, dem sogenannten Tonoplasten. Bestandteile der Organellen befanden sich nun einerseits in den Vesikeln, andererseits in den Gewebeeinstülpungen des Tonoplasts wieder. Dies werten die Wissenschaftler als erste Anzeichen einer Mikro- und Makro-Autophagi, bei der Bestandteile einer Zelle wie Proteine, Membranen und auch ganze Zellorganellen abgebaut werden. 

Die Mitochondrien-Bündel und Chloroplasten begannen anschließend in der Vakuole zu schwingen (Brownsche Bewegung). Nun blähte sich die Vakuole auf und verdrängte den Zellkern in Richtung der Zellmembran und platzte. Das Platzen des Tonoplasten gilt bei Pflanzenzellen als der entscheidende Zeitpunkt, an dem die Zelle für Tod erklärt wird. Einige Wissenschaftler bezeichnen dieses Ereignis auch als Mega-Autopaghi. Denn alle in der Vakuole gespeicherten Nukleasen gelangen daraufhin in das Cytoplasma und zerstückeln die DNA des Zellkerns. Auch die Aktin-Proteinstrukturen lösten sich nun auf (Depolymerisation) und erste Zellwandveränderungen wurden sichtbar. Der Zellkern begann zu schrumpfen, die Zellmembran fiel zusammen und die Zellwand wurde allmählich abgebaut.

Der Prozess der Autophagi spielt somit, das zeigt die Studie, nicht nur in Tieren, sondern auch in Pflanzen eine bedeutende Rolle bei der Regulation des Zelltods. 

Wie lange braucht der Zelltod?

Der programmierte Zelltod folgt einem klaren Zeitplan, wie die Forscher feststellten. Nur 20 Minuten nach dem Platzen des Tonoplasten zerfiel die Zellmembran. Von der ersten Abnahme der Chloroplasten bis zum Kollaps der Zellmembran vergingen durchschnittlich 48 Stunden. Etwa 6 Stunden nach dem Zerfall der Zellmembran begann die Zellwand sich aufzulösen und nach knapp 24 Stunden war diese fast vollständig abgebaut. 

Ein neues Modell für die Forschung

Zum ersten Mal konnten Wissenschaftler mit ihrer Versuchsanordnung die physiologischen Veränderungen in Pflanzenzellen während des entwicklungsbedingten programmierten Zelltods und während des Autophagi-Prozesses in Echtzeit untersuchen und in Videos dokumentieren. Mit den verwendeten Live Cell Imaging Verfahren gelang es, das Zusammenspiel der einzelnen Zellorganellen zu beobachten und so die Phasen des programmierten Zelltods nachzuzeichnen. 

Die „Blattfenster“ der Madagaskar-Gitterpflanze erwiesen sich als ein verlässliches, zeitlich wie räumlich vorhersagbares System, das zu einem besseren Verständnis des programmierten Zelltods beitragen kann. Ein vielversprechendes Modell für die Forschung.


Quelle: 

Wertman, J. et al. (2012): The pathway of cell dismantling during programmed cell death in lace plant (Aponogeton madagascariensis) leaves. BMC Plant Biology 2012, 12:115 (25. Juli 2012), doi:10.1186/1471-2229-12-115.

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