Sex und Evolution

Bei Bauern mehr Mutationen des Erbguts

12.04.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Eine Studie zeigt: Eine bäuerliche Lebensweise nimmt indirekt Einfluss auf die Zahl der Genmutationen. (Bildquelle: © Paul Weinberg/wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Eine Studie zeigt: Eine bäuerliche Lebensweise nimmt indirekt Einfluss auf die Zahl der Genmutationen. (Bildquelle: © Paul Weinberg/wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Als die Menschen sesshaft wurden, nahmen sie über die Landwirtschaft zunehmend Einfluss auf die Natur. Aber Ackerbau und Viehzucht wirkten auch auf sie zurück. Die Lebensweise als Bauern hinterließ mehr Spuren im menschlichen Erbgut als bisher gedacht: und zwar auch in Form zahlreicher Mutationen. Das haben Wissenschaftler nun herausgefunden. Weil Landwirtschaft in aller Welt nach wie vor von Bedeutung ist, verlassen wir von Pflanzenforschung.de unsere gewohnten Pfade und berichten über diese Studie aus dem Bereich der evolutionären Anthropologie.

Der Abschied des Menschen von seinem Dasein als Jäger und Sammler hin zu einer Existenz als sesshafter Bauer war ein massiver Einschnitt in seiner Geschichte, den erst die Entdeckung von Ackerbau und Viehzucht überhaupt möglich machten. Von den Veränderungen, die der neue Lebenswandel mit sich brachte, blieb sein Erbgut nicht unberührt. Es stellte sich langfristig auf engen Kontakt zu Tieren, auf deren Krankheitserreger und auf neue Ernährungsweisen ein. Dazu gehörte beispielsweise die Verträglichkeit von Milch – eine Anpassung an eine Errungenschaft, die die Viehwirtschaft mit sich brachte. Nur weil die Körper der meisten Europäer inzwischen auch im Erwachsenenalter das Enzym Laktase produzieren, können sie Milch verdauen. Es war eine Mutation in ihrem Genpool, die ihnen den Milchkonsum über das ganze Leben hinweg gestattete.

Alter entscheidet über Veränderungsrate

Nun haben Wissenschaftler festgestellt, dass auch die Zahl von Veränderungen im Erbgut eine Frage der Lebensweise ist. Bei Forschungsaufenthalten in den südafrikanischen Staaten Botswana, Namibia und Sambia hatten sie Speichelproben von Männern gesammelt. Die DNA-Analyse von 547 Proben zeigte zunächst, was ohnehin bekannt ist: dass mit einem höheren Alter des Mannes eine höhere Zahl von Mutationen verbunden ist, die sich im Y-Chromosom nachweisen lässt. Je älter der Vater bei der Zeugung ist, desto mehr Mutationen enthält das genetische Material, das er weitergibt.

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Die San, eine Volksgruppe im südlichen Afrika, leben noch heute überwiegend als Jäger und Sammler. Man fasst die San und Khoikhoi oft unter der Gruppe Khoisan zusammen.

Die San, eine Volksgruppe im südlichen Afrika, leben noch heute überwiegend als Jäger und Sammler. Man fasst die San und Khoikhoi oft unter der Gruppe Khoisan zusammen.

Bildquelle: © gemeinfrei

Das war aber nicht die einzige Erkenntnis, die die Gen-Analyse mit sich brachte: So war die Veränderungsrate in den Abstammungslinien höher, die mit bäuerlichen Gemeinschaften assoziiert sind, als bei denjenigen, die mit Jäger- und Sammler-Kulturen in Verbindung stehen. Beides brachten die Wissenschaftler zusammen. Das Alter des Mannes beim Zeugungsakt ist nämlich nicht dem Zufall geschuldet.

Mehr Mutationen bei Bauern

Kulturelle Bedingungen nehmen Einfluss auf das Sexualverhalten – diese Beobachtung lässt sich in aller Welt anstellen und besitzt auch Gültigkeit für die beobachteten Gebiete. Denn die Männer der Völkergruppe der Khoisan, die traditionell als Jäger und Sammler leben, pflanzen sich in vergleichsweise jungem Alter fort – nämlich mit durchschnittlich 36 Jahren. Das Alter bei Vätern aus der Gruppe der Bantu, die seit langem als Bauern leben, ist bei der Zeugung deutlich höher – sie sind acht Jahre älter als die Khoisan, und zwar durchschnittlich 46.

Was beide Gruppen weiterhin unterscheidet: Die bäuerlich lebenden Bantu praktizieren häufig die Vielehe, sodass Männer mehrere Frauen heiraten können. Die Eheschließung mit mehreren Partnerinnen in bäuerlichen Gesellschaften kann als Reaktion auf deren Lebensweise gedeutet werden: Die Vielehe stellt unter anderem sicher, dass viele Kinder gezeugt werden, die wiederum dazu beitragen, weiteres Land zu erschließen und Missernten zu vermeiden.

„Die Vielehe der bäuerlichen Gemeinschaften ermöglicht es dem Mann, sich bis ins hohe Alter fortzupflanzen – weil sie sich auch im Alter noch mit jungen Frauen zusammentun können“, fasst die Biologin und Linguistin Brigitte Pakendorf zusammen, die die Studie koordinierte. „Und die Zahl der Mutationen steigt nun einmal mit zunehmendem Alter der Eltern.“ Indem die Kultur die Vielehe gestattet, nimmt sie indirekt Einfluss auf die Biologie.

Vielehe als entscheidender Faktor

Dieser Einfluss erfolgt demnach über das Alter der Väter. „Das höhere Durchschnittsalter der Väter ist eine plausible Erklärung für die unterschiedlichen Mutationsraten“, sagt Brigitte Pakendorf. Aus Studien sei bekannt, dass eine 15 Jahre spätere Vaterschaft mit 50 Prozent mehr Mutationen einhergeht. „Wie viel Einfluss der kulturelle Faktor somit letztlich hat, hat uns überrascht“, berichtet Pakendorf.

Indem Wissenschaftler die Häufigkeit der Veränderung von Genen messen, können sie Aussagen darüber treffen, in welcher Geschwindigkeit Evolution abläuft. Die Völkergruppe der Khoisan umfasst indigene Bevölkerungen, deren genetische Abstammungslinien rund 190 000 Jahre zurückreichen und damit zu den ältesten überhaupt zählen. Ihre Sprachen lassen sich drei Sprachfamilien zuordnen, die durch Klicklaute gekennzeichnet sind. Die Völker, die Bantu-Sprachen sprechen, wanderten hingegen erst vor rund 2000 Jahren in die südafrikanischen Gebiete ein, in denen sie heute heimisch sind.


Quelle:
Barbieri, C. et al. (2016): Refining the Y chromosome phylogeny with southern African sequences. In: Human Genetics, (4. April 2016), doi: 10.1007/s00439-016-1651-0.

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Titelbild: Eine Studie zeigt: Eine bäuerliche Lebensweise nimmt indirekt Einfluss auf die Zahl der Genmutationen. (Bildquelle: © Paul Weinberg/wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)