Umwelt und Ökonomie zusammenbringen

Der ökonomische Wert von Ökosystem-Dienstleistungen

19.07.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Derzeit werden fast drei Viertel des Landes in Großbritannien für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. (Quelle: © Gordon Gross  / pixelio.de)

Derzeit werden fast drei Viertel des Landes in Großbritannien für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. (Quelle: © Gordon Gross / pixelio.de)

Ökosysteme  bieten uns zahlreiche Dienste. Sie sind beispielsweise einen Lebensraum für Tiere und Pflanzen, filtern Regenwasser oder bieten uns Erholung. Ein interdisziplinäres Forscherteam aus Natur- und Wirtschaftswissenschaftlern hat nun in einer Studie den Wert von solchen Ökosystem-Dienstleistungen herausgestellt. Ihr Fazit: Bei der Landnutzung sollten künftig nicht nur wirtschaftliche Erträge, sondern auch nicht vermarktbare Ökosystem-Dienstleistungen bedacht und damit die gesamtgesellschaftlichen Erträge erhöht werden. Sie fordern ein Umdenken der Politik und Reformen in der Förderpraxis.

Ob als Waldfläche, für die Landwirtschaft oder als Naturschutzgebiet, es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten ein Stück Land zu nutzen. Aber jedes ist für sich ein komplexes Ökosystem und bietet spezielle Ökosystem-Dienstleistungen. Diese sind uns mal mehr, mal weniger bewusst. Jeder erkennt den Wert von Bestäubern wie Bienen an. Auch wenn einige wichtige Nutzpflanzen nicht darauf Insektenbestäubung angewiesen sind, profitieren 75 Prozent aller Nutzpflanzenarten von einer tierischen Bestäubung. Diese sorgt für höhere Erträge und lässt sich so in konkreten ökonomischen Zahlen darstellen.

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Einfach mal die Seele baumeln lassen. Ökosysteme dienen uns auch zur Erholung.

Einfach mal die Seele baumeln lassen. Ökosysteme dienen uns auch zur Erholung.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Hightower_NRW

Andere Dienstleistungen von Ökosystemen, wie beispielsweise der Naherholungswert für die Bewohner von Städten, die Regulationsfunktion von Ökosystemen für das Klima oder die Reduzierung von Lärm, können nicht „vermarktet“ werden. Ihnen kann kein direkter ökonomischer Wert zugewiesen werden, der für die Landschaftsplanung wirtschaftliche Anreize bietet. Daher werden sie viel zu selten berücksichtigt. Dennoch profitieren viele Menschen von Ökosystem-Dienstleistungen. Eine Studie hat nun deren Bedeutung untersucht. Damit bietet sie wissenschaftliche Belege, um zukünftig den Wert von Ökosystem-Dienstleistungen bei der Landschafts- und Raumgestaltung stärker zu berücksichtigen.

Landschaftplanung sollte sich nicht nur nach wirtschaftlichen Erträgen richten

Ein internationales Forscherteam bestehend aus 25 Wissenschaftlern aus fünf europäischen Ländern, darunter auch deutsche Wissenschaftler der Universität Hamburg und der Leuphana Universität Lüneburg, hat am Beispiel von Großbritannien gezeigt, dass eine ausschließlich auf landwirtschaftlichen Erträgen ausgerichtete Landnutzung nicht genügend Ökosystem-Dienstleistungen bietet. Derzeit werden fast drei Viertel (74,8 Prozent) des Landes in Großbritannien für landwirtschaftliche Zwecke genutzt.

Der ökonomische Wert von Ökosystem-Dienstleistungen

Eine halbe Million Landnutzungs-Daten (geographische, ökologische und ökonomische) aus Großbritannien wurden dazu ausgewertet. In wirtschaftswissenschaftliche Modelle eingespeist konnten so mögliche Zukunftsszenarien entwickelt werden. Bei ihrer Studie gingen die Wissenschaftler von Basisjahr 2010 aus und betrachteten einen Zeitraum bis 2060. Sie analysierten die ökonomischen Folgen unterschiedlicher Szenarien, darunter den Fall, dass stärkere Umweltschutzbestimmungen auch Umwandlungen von Ackerland in andere Flächen zur Folge haben können. Die Forscher schätzen dafür vergleichbare ökonomische Werte für die „nicht-vermarktbaren“ Ökosystem-Dienstleistungen, wie beispielsweise deren Naherholungswert ökonomisch ab.

Würde man anstatt der unmittelbar wirtschaftlichen Gewinne auch die Ökosystem-Dienstleistungen einbeziehen, könnten die gesellschaftlichen Erträge aus landwirtschaftlicher Produktion und den Ökosystem-Dienstleistungen zusammen um durchschnittlich 20 Prozent erhöht werden, lautet das Ergebnis der Studie. Denn jeder Eingriff des Menschen in die Natur, auch der Anbau von Nutzpflanzen, liefert spezielle Dienstleistungen, dabei gehen wiederum andere verloren. Dies führt zu Folgekosten, die oftmals vergessen werden und der Gesellschaft als Ganzes anhaften.

Kleiner Verlust für einen größeren Gewinn

Würde man also kleine Teile Ackerfläche in Naturlandschaft umwandeln, wären die Verluste, die man durch den verringerten landwirtschaftlichen Ertrag hätte, gering im Vergleich zum Zugewinn von Ökosystem-Dienstleistungen, wie Naherholung. Diese Landnutzungsänderung wäre letztlich für die Gesellschaft gewinnbringender, da diese nützlichen Dienstleistungen auch ihren Wert haben. Aus diesem Grund, so ein Appell der Forscher, sollte die geografische Lange der Flächen stärker bedacht werden. Forstwirtschaft wird beispielsweise in Großbritannien häufig nur weit entfernt von großen Städten betrieben, wo sich rein wirtschaftlich betrachtet der Anbau anderer Kulturpflanzen nicht mehr lohnt. Dies ist jedoch für die Bewohner von Städten ungünstig. Diese benötigen gut erreichbare Erholungsgebiete in der Nähe ihres Wohnortes.

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Hintergrund

Belegt ist, dass wir Menschen auf die Ökosysteme um uns herum Einfluss nehmen. In einer großen Studie, dem Millennium Ecosystem Assessment, die von den Vereinten Nationen in Auftrag gegeben wurde, untersuchten über 1.300 Wissenschaftler aus aller Welt den Zustand und die Entwicklung der Ökosysteme und ihrer Dienstleistungen. Hier wurde deutlich, dass bereits viel an biologischer Vielfalt (Biodiversität) verloren gegangen ist und dass die Degradation von Ökosystemen bis zum Jahr 2050 signifikant zunehmen könnte. Es wurde ersichtlich, dass eine Schätzung des ökonomischen Werts bisher nicht bezifferbarer Ökosystem-Dienstleistungen vonnöten und ein Umdenken erforderlich ist.

Die ambivalente Rolle der Politik

Die Forscher folgern aus den Ergebnissen, dass die bisherige politische Förderpraxis wie EU-Subventionen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Anreize überdacht werden sollten. Derzeit werden die Landwirte in Großbritannien im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) mit 3 Milliarden Pfund subventioniert. Hier könnte man zum Schutz der Ökosystem-Dienstleistungen ansetzen, so die Forscher. Im Zuge der fast abgeschlossenen GAP-Verhandlungen zur zukünftigen Agrarförderung in Europa, sind Studien wie diese, wichtige Quellen. Mit ihnen können politische Entscheidungsprozesse auf eine wissenschaftlich versierte und stärker ganzheitlich ausgerichtete Grundlage gestellt werden. Aus diesem Grund sollten sozioökologische Studien stärker berücksichtigt werden. Sie schaffen es, ein komplexeres Bild der Wirkmechanismen abzubilden, indem sie naturwissenschaftliche und die ökonomische Forschung verbinden.

Wohlstand als Basis

Die Studie konzentrierte sich zwar auf Großbritannien, ihre Methoden sind jedoch universal anwendbar und könnten leicht auf andere Länder übertragen werden, um vergleichbare Analysen durchzuführen. Allerdings wiesen die Forscher darauf hin, dass in einem hochentwickelten Land wie Großbritannien genug Nahrung zum Leben vorhanden ist und andere Aspekte, wie Naherholung wertvolle Güter sind, die auch in den ökonomischen Analysen daher so große Bedeutung haben. Daher wären solche Analysen in einem Entwicklungs- oder Schwellenland, indem Nahrung ein knappes und wertvolles Gut ist, möglicherweise andere Ergebnisse zu erwarten. Aber auch solche Faktoren können in Analysen berücksichtigt werden.

Hinzu kommt, dass durch eine wachsende Weltbevölkerung künftig noch mehr Nahrung benötigt wird. Die landwirtschaftliche Produktion wird ihre Schlüsselposition für die Sicherung der Lebensgrundlagen behalten. Rationale und auf wissenschaftlichen Fakten beruhende Entscheidungen sind umso wichtiger. Auch können klimatische Extreme wie Dürren und Unwetter die Ernteerträge gefährden. Um auf gleichen oder geringfügig weniger Ackerland genügend Nahrungspflanzen anzubauen, sei der Einsatz neuer Technologien zur Ertragsoptimierung notwendig, so die Wissenschaftler. Ziel muss es sein, ein Produktionssystem zu etablieren in dem Ernährungssicherung und Ökosystem-Dienstleistungen nicht im Widerspruch stehen, sondern sich gegenseitig befruchten.


Quelle:
Bateman, I.J. et al. (2013): Bringing Ecosystem Services into Economic Decision-Making: Land Use in the United Kingdom. In: Science, Vol. 341 no. 6141 pp. 45-50, (5. Juli 2013), doi: 10.1126/science.1234379.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Derzeit werden fast drei Viertel des Landes in Großbritannien für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. (Quelle: © Gordon Gross  / pixelio.de)