Unruhiger Schlaf

08.12.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Im Winter halten Gräser- und Steppengewächse Winterruhe. (Quelle: © istockphoto.com/Keiichi Hiki)

Im Winter halten Gräser- und Steppengewächse Winterruhe. (Quelle: © istockphoto.com/Keiichi Hiki)

Warme Winter können die Winterruhe von Pflanzen stören und so deren Wachstum beeinträchtigen. Dies schließt ein internationales Forscherteam aus der Analyse von Wachstums- und Klimadaten. Pflanzen, die für ihre Entwicklung ein Kältesignal benötigen, seien vom Klimawandel besonders stark betroffen.

Im tibetanischen Hochland im Westen Chinas sind die Winter lang und frostig. Die Vegetationsperiode der Pflanzen ist relativ kurz. Die in der Region weit verbreiteten Steppen- und Weidepflanzen haben sich an diese widrigen Verhältnisse angepasst. Sie regulieren ihre Winterruhe und den idealen Zeitpunkt für das Frühlingserwachen nach der für die Jahreszeit typischen Temperatur. Auf einen anhaltenden Kältereiz reagieren die Pflanzen mit Winterruhe, um sich vor den frostigen Temperaturen zu schützen. Wärmere Temperaturen werden als Signal für den nahenden Frühling interpretiert, die Wachstumsphase der Pflanze setzt ein. 

Klimawandel lässt Temperaturen steigen

In den vergangenen Jahrzehnten sind die durchschnittlichen Monatstemperaturen im tibetanischen Hochland massiv angestiegen. Chinesische Wissenschaftler vermuten, dass diese Veränderungen dramatische Folgen für die kälteangepasste Vegetation haben könnten. Obwohl viele Pflanzen von einem zeitigeren Einsetzen des Frühlings und einem späteren Beginn des Winters durch eine längere Wachstumsperiode profitieren, beobachteten die Forscher in Tibet seit einigen Jahren einen negativen Trend: Die Wachstumsperiode von Weide- und Steppengewächsen verkürzte sich. 

Um diese Beobachtungen wissenschaftlich zu untermauern, analysierten die Wissenschaftler für den Zeitraum 1982 bis 2006 Satellitenaufnahmen, die das Wachstum von Gräsern und Steppenpflanzen auf dem tibetanischen Hochplateau sichtbar machen. Diese Informationen korrelierten sie Monat für Monat mit den gesammelten Klimadaten.

Die Daten dokumentieren für das tibetanische Hochland über den gesamten Zeitraum langsam ansteigende Temperaturen. Bis Mitte der 90er Jahre konnten die Forscher im untersuchten Gebiet einen früheren Beginn der Wachstumsphase bei den Steppen- und Weidepflanzen nachweisen. Ähnliche Beobachtungen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation machten Forscher in anderen Gebieten der Erde. 

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Im tibetanischen Hochland haben sich Gräser und Steppengewächse an das rauhe Klima angepasst.

Im tibetanischen Hochland haben sich Gräser und Steppengewächse an das rauhe Klima angepasst.

Bildquelle: © iStockphoto.com/yangchao

Gestörte Winterruhe

Trotz eines weiteren Temperaturanstieges kehrte sich dieser Effekt in den Folgejahren um. Obwohl der Frühling in Tibet zeitiger kam und der Winter verspätet einsetzte, verkürzte sich die Vegetationsperiode der Pflanzen in den Jahren 2000 bis 2006 um durchschnittlich mehr als drei Wochen. 

Vergleichsweise warme Temperaturen im Mai und Juni beschleunigten das Wachstum der Weiden- und Steppengewächse. Im Durchschnitt endete die Wachstumsphase im tibetischen Hochland zwischen Anfang September und Anfang Oktober. Warme Temperaturen im Winter und zwischen Juli und August verlängerten die Vegetationsperiode der Steppenpflanzen. Bei den Weidepflanzen sorgte insbesondere warmes Septemberwetter für eine leicht verzögerte Winterruhe. Insgesamt kam es jedoch zu einer Verkürzung der Wachstumsphase bei beiden Pflanzenfamilien: die Vegetationsperiode der Steppenpflanzen verkürzte sich um etwa einen Monat, bei den Weidepflanzen waren es bis zu drei Monaten. Für das verspätete Frühlingserwachen machen die Wissenschaftler vor allem hohe Temperaturen zwischen Oktober und März verantwortlich. 

Die Forscher vermuten, dass den kälteangepassten Pflanzen durch die wärmeren Wintertemperaturen der benötigte Kältereiz fehlt, der sie in der Winterruhe hält. Als Resultat kommen sie mit ihrer „innere Uhr“ durcheinander. Durch die „gestörte Winterruhe“ können die Pflanzen weniger Kraft für die Wachstumsperiode sammeln, so dass die Wachstumsphase erst verspätet einsetzen kann. 

Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft 

Noch hält die wachstumsverlängernde Wirkung der Temperaturerhöhung in vielen Teilen der Erde an. Die Studienergebnisse zeigen jedoch, dass sich dieser Effekt auch wieder umkehren kann, wie es bereits bei den Weide- und Steppenpflanzen in Tibet geschehen ist. Solche Effekte zu erkennen und zu verstehen, sei wichtig, um die landwirtschaftliche Nutzung von Gebieten in verschiedenen Klimazonen besser planen zu können, so die Wissenschaftler.


Quelle: 

Haiying Yu et al. (2010): Winter and spring warming result in delayed spring phenology on the Tibetan Plateau. PNAS, online veröffentlicht am 29. November 2010, doi:10.1073/pnas.1012490107