Von der Pusteblume zum Autoreifen

Ein Unkraut wird zum Rohstofflieferanten: Löwenzahn produziert Gummi

20.08.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Aus Löwenzahn-Kautschuk wurden schon erste Reifen-Prototypen hergestellt. (Bildquelle: © Ulrich Benz / TUM)

Aus Löwenzahn-Kautschuk wurden schon erste Reifen-Prototypen hergestellt. (Bildquelle: © Ulrich Benz / TUM)

Der Russische Löwenzahn hat den Test als Rohstoffquelle für Kautschuk - als Alternative zum Gummibaum - bestanden. Die ersten Autoreifen wurden schon produziert und die Materialeigenschaften sind vergleichbar mit Reifen aus herkömmlichem Naturkautschuk. Zudem wurden zwei Proteine entdeckt, die eine entscheidende Rolle bei der Produktion des Polymers in der Pflanze spielen. Dieses Verständnis der Entstehung des Naturproduktes kann helfen, diese Prozesse weiter zu optimieren.

Autoreifen, Radiergummi, Matratzen, Kondome, Schnuller, OP-Handschuhe und Regenstiefel: Was haben diese Gegenstände gemeinsam? Sie bestehen aus vulkanisiertem Kautschuk, auch Gummi genannt. Man unterscheidet zwischen Naturkautschuk und Synthesekautschuk. Naturkautschuk wurde schon vor mehr als 3.600 Jahren von den Bewohnern Mittelamerikas aus dem Latex des Gummibaumes (Hevea brasiliensis) gewonnen und zur Herstellung von Bällen, Gefäßen und auch Kleidungsstücken benutzt. Auch heute ist Naturkautschuk ein wichtiger Rohstoff. Weltweit wurden 2014 über 12 Millionen Tonnen des Naturprodukts erzeugt. Die Nachfrage steigt stetig.

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Der Kautschukbaum (Hevea brasiliensis) wird auch Gummibaum genannt: Durch Anritzen der Baumrinde wird das flüssige Latex gewonnen. 

Der Kautschukbaum (Hevea brasiliensis) wird auch Gummibaum genannt: Durch Anritzen der Baumrinde wird das flüssige Latex gewonnen. 

Bildquelle: © iStock.com/merlion

Kautschuk ist ein Polymer bestehend aus vielen Isopren-Einheiten. Es hat plastische Eigenschaften, ist also gut verformbar. Die Ureinwohner Mittelamerikas haben Latex, den Milchsaft des Gummibaumes, durch Anritzen der Baumrinde gewonnen. Genauso wird der Milchsaft auch heutzutage noch gesammelt. Was sie nicht kannten ist das Verfahren des Vulkanisierens. Durch Zugabe von Baum- und Pflanzenextrakten erzielten sie damals die Umwandlung des plastischen Latex zu einem elastischen gummiartigen Material. 

Auch in Europa waren seit Mitte des 18. Jahrhunderts Produkte aus Naturkautschuk bekannt. Dazu gehörten der Radiergummi (um 1770) und die Gummistiefel, welche in England von Lord Wellington erfunden wurden. Trotz seiner wasserabweisenden Eigenschaften war das Material nach wie vor nur schwer zu gebrauchen, da es bei großer Hitze zu kleben begann und bei Kälte spröde wurde.

Erst im Jahr 1839 entwickelte Charles Goodyear ein neues Verfahren - die Vulkanisierung. Dabei werden die langkettigen Kautschukpolymere durch Schwefelbrücken vernetzt. Es entsteht Gummi mit seinen charakteristischen Eigenschaften. Er ist dauerelastisch und wasserfest, besitzt gegenüber dem Ausgangsprodukt eine höhere Reißfestigkeit, sowie Dehnung und Beständigkeit gegenüber Alterung und Witterungseinflüssen, wie Hitze oder Kälte. Besonders seine hohe Elastizität macht Gummi zu einem unersetzbaren Material. Elastisch bedeutet, nach einer Formveränderung durch Krafteinwirkung geht das Material wieder in seine ursprüngliche Form zurück.

Molekulare Grundlage der Kautschukbiosynthese

Obwohl die Menschheit den Naturstoff schon lange verwendet, ist die Entstehung des Polymers bisher nicht vollständig verstanden. Naturkautschuk ist ein Bestandteil des Latex (Milchsaft) von Pflanzen. Dieser wird in spezialisierten Zellen, sogenannten Milchsaftzellen (engl. Laticifer), gebildet. Im Cytosol der Laticifer-Zellen befinden sich kugelige Partikel, welche einen Kern aus Kautschuk, der von einer Lipidschicht umgeben ist, besitzen. Für die Biosynthese des Kautschuks ist ein Proteinkomplex verantwortlich, der auf der Oberfläche dieser Partikel sitzt. Zwei Komponenten dieses Proteinkomplexes waren bekannt. Die cis-Phenyltransferasen (CPTs), welche die Isopren-Moleküle des Kautschuks verlängern und Eiweiße der SRPP-Gruppe (engl. small rubber particle proteins). Diese binden an die umgebende Lipidschicht der Kautschukpartikel.

Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) in Münster haben in Zusammenarbeit mit Forschern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), der Technischen Universität München (TUM) und aus York (England) die Bedeutung von einem weiteren Protein an ihrem Testorganismus, dem russischen Löwenzahn, untersucht.

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Das Forscher-Team aus Münster mit ihrem Untersuchungsobjekt, dem russischen Löwenzahn: Sie haben mit Kollegen Proteine identifiziert, die eine zentrale Rolle bei der Kautschukproduktion in der Pflanze spielen.

Das Forscher-Team aus Münster mit ihrem Untersuchungsobjekt, dem russischen Löwenzahn: Sie haben mit Kollegen Proteine identifiziert, die eine zentrale Rolle bei der Kautschukproduktion in der Pflanze spielen.

Bildquelle: © WWU / Peter Grewer

Das Protein (engl. rubber transferase activator) besitzt eine Schlüsselposition bei der Kautschuksynthese. Wird die Bildung des Proteins zum Beispiel mittels RNA-Interferenz (RNAi) verhindert, entsteht auch kein Kautschuk mehr. Es hat also eine zentrale Rolle bei der Bildung des Proteinkomplexes, der für die Biosynthese von Kautschuk benötigt wird. Es wird vermutet, dass die cis-Phenyltransferasen, welche die Kautschukmoleküle verlängern, zuerst an das “rubber transferase activator”-Protein im Komplex binden müssen.

In einer weiteren Studie, die ebenfalls maßgeblich von IME- und WWU-Forschern durchgeführt wurde, identifizierten die Wissenschaftler ein weiteres wichtiges Protein. Dieses hat Ähnlichkeit zu schon in anderen Kautschuk-Pflanzen gefundenen Gummi-Verlängerungs-Faktoren (engl. rubber elongation factor). Wird die Bildung des Proteins durch RNAi verhindert, ist auch der Proteingehalt der Polymer-verlängernden Proteine vermindert und der Kautschukgehalt in der Pflanze ist geringer. Es wurden nur noch kurzkettige Polymere gebildet. Damit verändern sich auch die typischen Eigenschaften des vulkanisierten Materials. Der Gummi verliert seine Elastizität und Belastbarkeit.

Beide Proteine wurden mit Hilfe der RNA-Interferenz-Methode in Löwenzahnpflanzen ausgeschaltet (mehr zur Methode auch unter: Gentechnisch veränderte Pflanzen der zweiten Generation).

Alternativen zum Gummibaum

In Südamerika verhindert der Schlauchpilz Microcyclus ulei den Anbau von Gummibäumen in Plantagen. Zwei Bäume pro Hektar können im Regenwald wachsen ohne das der Pilz die Oberhand gewinnt. In den englischen Kolonien in Asien und in Afrika gelang der Plantagenanbau, so dass heute dort die bedeutendsten Produktionsgebiete liegen. Auch dort gibt es schädliche Pilze. Im Gegensatz zum parasitären Schlauchpilz lassen sich diese im Moment noch mit Fungiziden bekämpfen. Resistenzbildungen sind zu erwarten und auch das Auftreten des Schlauchpilzes in diesen Regionen kann nicht ausgeschlossen werden. Zwar gibt es Gummibaumvarietäten die besser mit diesem zurechtkommen. Jedoch zu Lasten der Produktivität.

Aber auch ein anderer Grund treibt die Bemühungen Alternativen zum Gummibaum zu finden. Durch die Plantagen wurden und werden wertvolle Regenwald-Ökosysteme zerstört. Die natürlichen Wälder in den “indoburmesischen hotspots” (tropische Regionen von China, Vietnam, Laos und Kambodscha) zählen zu den Regionen auf der Welt mit der höchsten Biodiversität (Artenvielfalt). Sie sind damit besonders schützenswert. Obwohl Naturkautschuk aus Gummibäumen im Gegensatz zu Erdöl ein nachwachsender Rohstoff ist, wird die Produktion und seine Nachhaltigkeit aus diesen ökologischen Gründen immer häufiger hinterfragt.

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Die "Pusteblume" hat einiges zu bieten. Aus Löwenzahn kann Naturkautschuk gewonnen werden.

Bildquelle: © WWU / Peter Grewer

Im letzten Jahrhundert, auch getrieben durch die beiden Weltkriege, wuchs die Nachfrage nach Kautschuk. Der Anbau von neuen Gummibaum-Plantagen dauerte zu lange, um die Nachfrage zu befriedigen und etablierte Handelsrouten waren unterbrochen. Es wurde gespart und nach synthetischen Alternativen gesucht. Synthese-Kautschuk kann aus verschiedenen Grundstoffen hergestellt werden, z. B. Styrol, Fluor, Silikon, Dimethylbutadien, Acrylnitril und Chloropren (Produktname ist Neopren). Heute werden 60 Prozent des weltweiten Bedarfs durch synthetische Kautschuke gedeckt. Synthese-Kautschuk kann für viele Produkte verwendet werden. Bis heute sind die elastischen Eigenschaften und Abriebfestigkeit von Naturkautschuk unerreicht. Sein Anteil an der weltweiten Gummiproduktion liegt deshalb bei 43 Prozent, Tendenz steigend.

Schon lange sucht man nach Alternativen bei anderen Kautschuk-produzierenden Pflanzen. Bereits während des zweiten Weltkriegs war bekannt, dass Löwenzahnpflanzen Milchsaft produzieren, der in seinen Eigenschaften vergleichbar mit dem Latex des Gummibaums ist. Der russische Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz, Synonym Taraxacum brevicorniculatum) wurde vor einigen Jahren von der Forschung und nun auch von Industrie wiederentdeckt. Sein Anbau ist bei gemäßigten Temperaturen, zum Beispiel in Deutschland möglich. Außerdem kann der Milchsaft aus den Wurzeln schon nach wenigen Monaten geerntet werden. Der Gummibaum wächst mehrere Jahre bis man anfangen kann zu ernten. Auch allergische Reaktionen sind bisher für Löwenzahn-Latex nicht bekannt.

Eine andere alternative, nicht-allergie-auslösende Latexquelle ist der in Mexiko beheimatete Guayule-Strauch (Parthenium argentatum). Die Extraktion des Latex aus diesem holzigen Strauch ist jedoch problematisch. Die Kautschukpolymere erreichen nicht den erforderlichen Reinheitsgrad, um für die Massenproduktion eingesetzt zu werden.

Löwenzahn-Latex wird zu Autoreifen

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojektes TARULIN (siehe: Pusteblumen als nachhaltige Rohstoffquelle - Russischer Löwenzahn könnte bald genauso selbstverständlich wie Weizen auf den Feldern wachsen) haben Wissenschaftler zusammen mit der Industrie das Potential des nachwachsenden Rohstoffs untersucht. Die Wissenschaftler haben durch Züchtung eine Sorte erzeugt, deren Isoprengehalt im Milchsaft besonders hoch ist. Beim Projekt wurden zudem wichtige genetische Grundlagen genauer erforscht.

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Dr. Christian Schulze Gronover (IME), Dr. Carla Recker (Continental Reifen Deutschland GmbH) und Prof. Dirk Prüfer (WWU) wurden für ihre Forschung mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2015 ausgezeichnet (v.l.n.r.).

Dr. Christian Schulze Gronover (IME), Dr. Carla Recker (Continental Reifen Deutschland GmbH) und Prof. Dirk Prüfer (WWU) wurden für ihre Forschung mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2015 ausgezeichnet (v.l.n.r.).

Bildquelle: © Dirk Mahler/Fraunhofer

Währenddessen begannen das Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) und der Reifenhersteller Continental, eine Pilot-Anlage zur Gewinnung von hochwertigem Kautschuk aus Löwenzahn-Wurzeln zu bauen. Mit Hilfe der Pilotanlage soll der Löwenzahn-Kautschuk im Tonnenmaßstab zur industriellen Nutzung hergestellt werden.

Im Frühjahr 2015 war es dann soweit: Continental hat die ersten Reifen-Prototypen aus Pusteblumen-Gummi produziert. Die Reifen zeigen äquivalente Eigenschaften wie herkömmliche Reifen, welche Naturkautschuk vom Gummibaum enthalten.

Weitere Forschung nötig

Da die Beimischung von Naturkautschuk für viele Produkte aus Gummi für ihre Eigenschaften entscheidend ist, ist er ein strategisch bedeutender Rohstoff. Der Kautschuk aus Löwenzahn könnte die Anhängigkeit von Importen verringern. Komplett ersetzen kann er den Gummibaum-Kautschuk vorerst nicht. Die Entwicklung produktiverer Sorten, aber auch die Entwicklung einer entsprechenden Anbautechnologie braucht Zeit. Als anspruchslose Alternative, die auch auf Brachflächen, welche nicht für Ackerbau genutzt werden können, gedeiht, besitzt der russische Löwenzahn das Potenzial Hevea-Kautschuk mehr und mehr abzulösen.

Durch die Entschlüsselung der Biosynthesewege des Kautschuks wird ein weiterer Weg möglich, die biotechnologische Erzeugung. Ähnlich der chemischen Synthese kann diese in Reaktoren mit Hilfe von Mikroorganismen, aber auch durch die Übertragung der Gene in produktivere Pflanzen auf dem Feld geschehen.

Erforschung einer alternativen Kautschukquelle ausgezeichnet

Für die Forschung am Russischen Löwenzahn und die Entwicklung der Anwendung wurden Dirk Prüfer und Christian Schulze Gronover (Fraunhofer IME und Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen (IBBP) der Universität Münster) und Carla Recker (Continental Reifen Deutschland GmbH) mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2015 ausgezeichnet.


Quellen:

  • Epping, J. et al. (2015): A rubber transferase activator is necessary for natural rubber biosynthesis in dandelion. In: Nature Plants, (online: 27. April 2015), doi: 10.1038/nplants.2015.48.
  • Laibach, N. et al. (2015): Identification of a Taraxacum brevicorniculatum rubber elongation factor protein that is localized on rubber particles and promotes rubber biosynthesis. In: The Plant Journal, (Mai 2015), doi: 10.1111/tpj.12836

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Titelbild: Aus Löwenzahn-Kautschuk wurden schon erste Reifen-Prototypen hergestellt. (Bildquelle: © Ulrich Benz / TUM)