Von der Schrumpelmöhre zur Zuckerbombe

Die Evolution der heutigen Nutzpflanzen

16.09.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Im 18. Jahrhundert entdeckte man, dass als Viehfutter genutzte Futterrüben Zucker enthalten. Durch Selektion entstand die heute bekannte weiße Zuckerrübe, deren Zuckergehalt mittlerweile rund 20 Prozent beträgt. (Quelle: © ExQuisine - Fotolia.com)

Im 18. Jahrhundert entdeckte man, dass als Viehfutter genutzte Futterrüben Zucker enthalten. Durch Selektion entstand die heute bekannte weiße Zuckerrübe, deren Zuckergehalt mittlerweile rund 20 Prozent beträgt. (Quelle: © ExQuisine - Fotolia.com)

Wir schreiben das Jahr 9.700 vor Christus. Die Jäger und Sammler in Vorderasien sind des Jagens und Sammelns Leid und probieren sich erstmals in der Landwirtschaft. Was sie nicht wissen: Sie begründen damit ein Erfolgsmodell, das sich über die ganze Welt ausbreiten sollte.

Ein exaktes Datum als Beginn des Ackerbaus festzulegen ist schwierig. Mit jeder neuen Analyse verschiebt es sich ein wenig in die Vergangenheit. Zurzeit gehen Schätzungen davon aus, dass erstmals vor 11.700 Jahren am Fuße der Zagros-Berge im heutigen Iran ein Feld bestellt wurde. Doch auch andere Regionen im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes werden als Wiege der Landwirtschaft vermutet. Bisher ist noch nicht abschließend geklärt, ob es überhaupt den einen Ort gibt, an dem die Landwirtschaft entstand und von dem aus sie sich ausbreitete, oder ob diese geniale Kulturtechnik an mehreren Orten unabhängig voneinander entstanden ist. Letzteres scheint aber wahrscheinlicher zu sein.

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Durch gezielte Selektion entstanden unsere heutigen Nutzpflanzen: Nur der Samen der besten Pflanzen wurde von unseren Vorfahren gesät.

Durch gezielte Selektion entstanden unsere heutigen Nutzpflanzen: Nur der Samen der besten Pflanzen wurde von unseren Vorfahren gesät.

Bildquelle: © H.-M. Fischer / pixelio.de

Die Vorteile des Ackerbaus liegen jedenfalls auf der Hand. Statt jeden Tag mühselig durch die Wälder zu streifen und nach essbaren Pflanzenteilen Ausschau zu halten oder mit dem Speer auf Gazellenjagd zu gehen, können die Bauern ihrem Essen buchstäblich beim Wachsen zuschauen. Der Übergang von Jäger und Sammler-Gemeinschaften zu sesshaften Ackerbauern war jedoch keinesfalls von einem Tag auf den anderen getan, sondern ging schleichend vonstatten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass verschiedene Faktoren dazu beigetragen haben, dass sich die Landwirtschaft durchsetzen konnte.

Im Ende der letzten Kaltzeit vor 12.500 bis 10.000 Jahren stieg die Temperatur an und erweiterte den Lebensraum zahlreicher Pflanzen. Außerdem zeigen archäologische Funde, dass zu dieser Zeit zahlreiche Geräte erfunden wurden, die zwar ursprünglich für das Sammeln, Mahlen, Rösten und Lagern von Wildgetreiden gedacht waren, aber gleichzeitig unverzichtbar für den gezielten Anbau von Nutzpflanzen sind. Doch die Nutzpflanzen, die wir heute kennen und essen, gab es damals noch nicht. Sie mussten erst aus Wildpflanzen entwickelt werden.

Dazu wählten unsere Vorfahren mit Bedacht immer die besten Pflanzen aus und säten nur deren  Samen im nächsten Jahr wieder aus. Einige Eigenschaften wurde dadurch vermehrt, andere verdrängt. Die ersten Ackerbauern gingen dabei ähnlich vor wie die heutigen Züchter und achteten auf die Größe der essbaren Teile, einen stabilen Wuchs, die Resistenz gegen Krankheiten und eine möglichst einfache Vermehrung.

Vom Einkorn zum Weizen

Die Evolution des Weizens ist besonders interessant. Weizen ist hexaploid, sein Genom setzt sich aus den Genomen von drei verschiedenen diploiden Arten zusammen. Seine Geschichte beginnt in Vorderasien mit dem Wildeinkorn.

Das Wildeinkorn (Triticum urartu) hatte einen effektiven Mechanismus zur Verbreitung der Samen. Sobald die Körner reif waren, zerbrach die Ährenspindel. Die Körner fielen auf den Boden und warteten dort auf den nächsten Sommer, um dann selbst zu keimen. Alle Pflanzen ohne brüchige Ährenspindel hatten das Nachsehen. Sie konnten sich nicht selbstständig ausbreiten.

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Emmer (Triticum dicoccum) ist der direkte Vorfahre des heutigen Hartweizens (Triticum durum).

Emmer (Triticum dicoccum) ist der direkte Vorfahre des heutigen Hartweizens (Triticum durum).

Bildquelle: © Janine Fretz Weber-Fotolia.com

Des einen Freud ist des andern Leid

Als der Mensch mit dem Ackerbau begann, kehrten die Verhältnisse sich um. Da eine erfolgreiche Ernte nur möglich ist, wenn die reifen Körner am Halm verbleiben, suchten und kultivierten die ersten Bauern die wenigen Pflanzen mit stabilen Ährenspindeln. Alle anderen wurden von der Vermehrung ausgeschlossen. Nach vielen Generationen war die stabile Ährenspindel das dominante Merkmal. Außerdem hatten sich die Kornanzahl und die Korngröße sowie die Krankheitsresistenz verbessert. Das domestizierte Einkorn (Triticum monoccocum) war geboren.

Eine weitere wichtige Nutzpflanze dieser Zeit war der Emmer (Triticum dicoccum). Emmer entstand aus einer Kreuzung zwischen dem wilden Einkorn und einem Wildgras (Aegilops speltoides). Dabei kam es zu einer Aufdoppelung der elterlichen Chromosomensätze, sodass der Emmer tetraploid ist. Emmer ist der direkte Vorfahre des heutigen Hartweizens (Triticum durum), aus dem Nudeln, Couscous oder Bulgur hergestellt werden.

Der Hartweizen macht jedoch nur etwa zehn Prozent der weltweiten Weizenernte aus. Wesentlich wichtiger ist der Weichweizen, denn nur aus seinem Mehl lässt sich Brot backen. Aus einer spontanen Kreuzung zwischen Emmer und Ziegenaugengras (Aegilops tauschii) entstand zunächst der hexaploide Dinkel, der dann zu Weichweizen kultiviert wurde.

Teosinte und Mais

An einem anderen Ort der Erde fanden die ersten Gehversuche in der Landwirtschaft erst viel später statt. In Mittelamerika datieren Forscher den Beginn der Landwirtschaft auf etwa 3.500 vor Christus. Anstatt mit Einkorn und Emmer, die dort nicht vorkommen, experimentierten die Menschen mit dem Vorfahren der Maispflanzen: Teosinte. Auch hier lässt sich eindrucksvoll zeigen, wie die andauernde Selektion nach vorteilhaften Eigenschaften zu einer extremen Ertragssteigerung geführt hat. Moderne Maiskolben sind zwanzig Mal größer als ihre wilden Vorfahren.

Die Rübenfamilie

Besonders interessant sind Domestikationen, die dazu geführt haben, dass aus einer Wildpflanze mehrere Kulturpflanzen mit unterschiedlichen essbaren Organen hervorgegangen sind. Das ist zum Beispiel bei den Rüben der Fall.

Schon die Babylonier bauten vor 2.800 Jahren Rüben an. Es ging ihnen aber nicht um die Wurzeln, sondern um die Blätter, die gekocht wie Spinat oder roh als Salat zubereitet werden können. Diese Kulturform der wilden Rübe heißt bei uns Mangold. Erst die Römer fingen an, sich für die Wurzeln zu interessieren, denn sie schrieben ihnen medizinische Wirkungen zu. Mit der Ausbreitung des römischen Reichs gelangte auch der Mangold in weite Teile Europas.

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Mangold ist eine Kulturform der Wilden Rübe. Im Gegensatz zu anderen Rüben, werden beim Mangold nur die Blätter und Stiele, nicht jedoch die Wurzel verzehrt.

Mangold ist eine Kulturform der Wilden Rübe. Im Gegensatz zu anderen Rüben, werden beim Mangold nur die Blätter und Stiele, nicht jedoch die Wurzel verzehrt.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ aspenrock

Als Nahrungsmittel wurden die Wurzeln erst sehr viel später entdeckt, vermutlich im 15. oder 16. Jahrhundert. Durch Selektion entstanden jetzt Sorten mit extrem dicken Pfahlwurzeln, die Futterrüben, und noch später die Zuckerrüben.

Kohl ist nicht gleich Kohl

Auch die Familie der Kohlgewächse umfasst viele Pflanzen, deren unterschiedlichste Teile für den Menschen ess- und nutzbar sind. Von Weißkohl, Rotkohl oder Grünkohl sind es die Blätter, bei Blumenkohl und Brokkoli die Sprossen, vom Kohlrabi verzehren wir die verdickte Sprossachse und vom Rosenkohl die Knospen. Die Vorfahren des heutigen Kohls wurden hingegen vermutlich wegen ihrer ölhaltigen Samen kultiviert. Und der Chinakohl tanzt trotz seines Namens aus der Reihe. Er ist näher mit den Rüben verwandt.

Noch heute sind die Wildarten wichtig für Pflanzenzüchter, die ihre Kultursorten verbessern wollen. Besonders oft finden sich in den wilden Pflanzen Gene, die Resistenzen gegen Pflanzenkrankheiten verleihen. Da Wild- und Kultursorten meist uneingeschränkt kreuzbar sind, bietet sich hier den Züchtern eine wahre Schatzkiste an genetischem Material.


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Titelbild: Im 18. Jahrhundert entdeckte man, dass als Viehfutter genutzte Futterrüben Zucker enthalten. Durch Selektion entstand die heute bekannte weiße Zuckerrübe, deren Zuckergehalt durch züchterischen Fortschritt mittlerweile rund 20 Prozent beträgt. (Quelle: © ExQuisine - Fotolia.com)