Wenn Pflanzen sich selbst angreifen

Was steckt hinter Autoimmunerkrankungen bei Pflanzen?

21.04.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Damit Hybriden richtig gedeihen, müssen die Gene ihrer Eltern kompatibel sein. (Bildquelle: © Safflle/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)

Damit Hybriden richtig gedeihen, müssen die Gene ihrer Eltern kompatibel sein. (Bildquelle: © Safflle/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)

Die Liste der Autoimmunerkrankungen bei Menschen ist lang. Sie reicht von A wie Atherosklerose bis Z wie Zöliakie. Dass auch Pflanzen unter Autoimmunerkrankungen leiden können, ist wenigen bekannt, aber keine Seltenheit. Die Hybrid-Nekrose ist ein prominentes Beispiel, verheerend und faszinierend zugleich. Forscher sind den Ursachen nun ein entscheidendes Stück näher gekommen.

Wer das Internet zur Hybridzüchtung befragt, stößt schnell auf den Heterosis-Effekt. Dieser beschreibt die ausgeprägte Leistungsfähigkeit von Hybriden in der Tier- und Pflanzenzucht, die ihre Eltern auf beeindruckende Weise in puncto Ertrag und Vitalität übertreffen. Doch wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. In diesem Fall steht auf der anderen Seite der Medaille die Hybrid-Nekrose, auch Hybridschwäche genannt. Statt strotzend vor Kraft, fristen die betroffenen Hybriden ein kümmerliches Dasein.

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Im Maisanbau dominieren heute Hybridsorten. Dank des Heterosis-Effekts bringen diese höhere Erträge als offen abblühende Sorten.

Im Maisanbau dominieren heute Hybridsorten. Dank des Heterosis-Effekts bringen diese höhere Erträge als offen abblühende Sorten.

Bildquelle: © stux/ Pixabay.com/ CC0

Autoimmunerkrankung im Modellsystem

Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen gehört zu jenen, die sich seit Jahren mit den Hintergründen dieses problematischen, aber zugleich faszinierenden Phänomens beschäftigen. Eine seiner jüngsten Publikationen, die im Fachmagazin „Current Biology“ erschienen ist, zeigt, dass man bei der Ursachenforschung ein großes Stück weiter gekommen ist. Ort des Geschehens ist das Immunsystem von Arabidopsis thaliana. Im Fokus stehen zwei Vertreter aus der NLR-Rezeptorfamilie, deren Mitglieder „nucleotide binding domain and leucine-rich repeat“-Proteine sind, die bei der Immunantwort eine wichtige Rolle spielen. Häufig laufen diese auch unter der Bezeichnung NOD-like Rezeptoren, was die Abkürzung NLR erklärt. Man findet sie nicht nur bei Pflanzen, sondern auch bei Tieren und somit auch bei uns Menschen, was die Studie interessant auch für Wissenschaftler aus anderen Fachbereichen macht. Doch zurück zur Pflanzenforschung und zur Frage, was die Hybrid-Nekrose mit dem Immunsystem zu tun hat.

Hybrid-Nekrose lässt Pflanzen verkümmern

Zunächst einmal handelt es sich bei der Hybrid-Nekrose um ein prominentes Beispiel oder genauer formuliert um ein Symptom eines grundlegenden Problems bei Hybridpflanzen. Werden nämlich zwei Inzuchtlinien gekreuzt, findet nicht nur eine Kombination von Merkmalen statt, es treffen auch zwei individuell evolvierte Immunsysteme aufeinander. Die Hybrid-Nekrose, die man sich als eine verheerende Häufung von spontan ausgelösten Zelltodereignissen vorstellen kann, die die ganze Pflanze erfassen, ist der Beweis, dass das Aufeinandertreffen zweier Immunsysteme aus unterschiedlichen Pflanzenlinien (aber aus ein und derselben Art wohlgemerkt) nicht immer reibungslos abläuft. Dann mündet der missglückte Kreuzungsversuch in einer Autoimmunerkrankung der Pflanze.

Eine Beziehung unter schlechten Sternen

Wenden wir uns nun der molekularen Ebene zu und den neuen Erkenntnissen. Die Studie der Pflanzenforscher handelt von einem speziellen Sonderfall, der typisch für die Kreuzung von zwei bestimmten Arabidopsislinien – UK-3 und UK-1 – ist, aus der hybrid-nekrotische Nachkommen hervorgehen. (Die Abkürzung UK steht nicht etwa für United Kingdom, sondern für den Herkunftsort Umkirch in Baden-Württemberg.)

Dass die Wissenschaftler es hier mit einer ernsthaften Autoimmunerkrankung zu tun haben, war ihnen nicht neu. Vor genau zehn Jahren waren einige der jetzigen Autoren bereits an der Veröffentlichung einer Publikation beteiligt, die in der Fachwelt Aufmerksamkeit erregte und die Hintergründe erstmals näher beleuchtete. Auch damals ging es um die missglückte Beziehung der Arabidopsislinien UK-3 und Uk-1. Wie die Forscherinnen und Forscher nun herausgefunden haben, ist das fatale Aufeinandertreffen zweier NLR-Proteinvarianten schuld am kümmerlichen Nachwuchs.

Dangerous Mix – der Name ist Programm

Die Ursache ist in zwei Risiko-Allelen zu finden, die verantwortlich sind für die beiden folgenreichen NLR Risikotypen DM1 (aus UK-3 stammend) und DM2 (aus UK-1). Die Abkürzung DM steht zutreffenderweise für „dangerous mix“, also gefährliche Mischung.

Nun muss man etwas über die Struktur von NLR-Proteinen wissen, um das Problem besser zu verstehen. NLR-Proteine kennzeichnet eine dreiteilige Protein-Domänenstruktur. Diese besteht aus zwei Endstücken, ein C- bzw. N-terminales Ende, sowie die namensgebende NOD-Domäne in der Mitte. Wie die Forscher herausfanden, findet zwischen den beiden Risikovarianten eine physische Interaktion statt, die über das n-terminale Endstück von DM1 zustande kommt. Mit anderen Worten: DM1 und DM2, genau genommen die Variante DM2d, bilden einen oligemeren Komplex und lösen dadurch einen Fehlalarm aus, der dem Organismus einen Angriff durch Pathogene suggeriert. Hintergrund ist, dass NLR-Proteine wie Sensoren agieren, die in der Lage sind, pathogene Moleküle (Effektoren) zu erkennen und daraufhin das Immunsystem zu aktivieren.

Fehlalarm mit fatalen Folgen

Die Interaktion in dem autonom agierenden NLR-Komplex sieht so aus, dass DM1 als Signalgeber agiert, der unter dem Einfluss von DM2d steht. Wie das zu erklären ist, warum sich das NLR-Protein DM2d so unvorteilhaft verhält, ist noch nicht abschließend geklärt, könnte jedoch mit einer von der üblichen Struktur abweichenden, räumlichen Anordnung von DM2d in Verbindung stehen. Diese vermittelt DM1 den Eindruck, es hätte einen pathogenen Effektor aufgespürt. Als Indiz dafür weisen die Forscher auf genetische Mutationen hin, die die dreidimensionale Anordnung von DM2d verändern, woraufhin der Fehlalarm verstummt. Gleichzeitig kann aber auch noch nicht ausgeschlossen werden, dass nicht auch externe Signale eine Rolle spielen.

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Auch im Rapsanbau setzt man heute fast nur noch auf Hybridsorten, statt auf Liniensorten.

Auch im Rapsanbau setzt man heute fast nur noch auf Hybridsorten, statt auf Liniensorten.

Bildquelle: © moritz320/ Pixabay.com/ CC0

Kleine Veränderungen mit großer Wirkung

Was sich dort auf der molekularen Ebene zwischen zwei NLR-Proteinen abspielt, hat für die Pflanzenwissenschaften und -züchtung großen Wert. Durch die Identifizierung der genetischen Ursachen ist es möglich, bestehende Kreuzungsbarrieren aus dem Weg zu räumen. Dass manchmal nur relativ kleine genetische Änderungen ausschlaggebend sind, ist Fluch und Segen zugleich. So wie eine kleine Mutation genügt, um eine Hürde zu nehmen, so schnell kann eine geringfügige Mutation ein neues Hindernis entstehen lassen. Andererseits öffnet das Wissen darüber, wie Immunreaktionen ohne die Anwesenheit pathogener Effektoren ausgelöst werden, wiederum neue Zugänge zur Erforschung des pflanzlichen Immunsystems.

Im Licht der Evolution

Blickt man über den Tellerrand der Fachdisziplin, findet man weitere Anknüpfungspunkte. Gemeint ist nicht die Humanmedizin, sondern die Evolutionsforschung, die Königsdisziplin der Biologie, wie manche sagen. Denn schaut man genauer hin, wird deutlich, dass der klassische Artbegriff streng genommen ein Stück weit infrage gestellt wird. Schließlich zeigt das Beispiel, dass selbst innerhalb einer Art Beschränkungen existieren können, die Kreuzungen zunichtemachen. Dr. Roosa Laitinen vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm erklärte im ähnlichen Zusammenhang, aber in Bezug auf zwei andere Risiko-Allele: „Vielleicht befinden sich die Pflanzen bereits auf dem Weg zur Artbildung und sind deshalb nicht mehr miteinander kreuzbar.“ Welche evolutionären Kräfte speziell hier am Wirken waren und sind, ist derzeit noch unklar, aber eine sehr spannende Frage. 


Quelle: Tran, D. et al. (2017): Activation of a Plant NLR Complex through Heteromeric Association with an Autoimmune Risk Variant of Another NLR. In: Current Biology, Vol. 27, (24. April 2017), dx.doi.org/10.1016/j.cub.2017.03.018

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Titelbild:Damit Hybriden richtig gedeihen, müssen die Gene ihrer Eltern kompatibel sein. (Bildquelle: © Safflle/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)