Wie Saugwanzen Pflanzen überlisten

Absonderung von Phytohormonen ins Blattgewebe erstmals nachgewiesen

09.08.2018 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Wanzen der Art Tupiocoris notatus sind weitverbreitete Tabakschädlinge. Mit ihren Stechrüsseln bohren sie die Blätter von Tabakpflanzen und anderen Nachtschattengewächsen an, um Pflanzensaft zu saugen. (Bildquelle: Christoph Brütting, MPI chem. Ökol.)

Wanzen der Art Tupiocoris notatus sind weitverbreitete Tabakschädlinge. Mit ihren Stechrüsseln bohren sie die Blätter von Tabakpflanzen und anderen Nachtschattengewächsen an, um Pflanzensaft zu saugen. (Bildquelle: Christoph Brütting, MPI chem. Ökol.)

Lange wurde es vermutet, jetzt ist der Beweis da: Insekten sondern Pflanzenhormone ab, um die Verteidigungsmechanismen ihrer Wirte auszutricksen. Die Saugwanze sorgt so für eine stabile Zuckerversorgung, wie Forscher aus Deutschland herausgefunden haben.

Pflanzenfressende Insekten leben in einem ewigen Wettkampf mit ihren Wirten. Meist reagieren Pflanzen auf einen Schädlingsbefall, indem sie giftige Substanzen produzieren oder dem befallenen Gewebe – und damit auch dem Schädling – Nährstoffe entziehen. Kritisch ist das für sogenannte endophytische Insekten, die ihr ganzes Leben auf oder sogar im pflanzlichen Gewebe verbringen.

Nährstoffversorgung stabil halten

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Die Tabakart Nicotiana attenuata. Sie wird auch Kojotentabak genannt.

Die Tabakart Nicotiana attenuata. Sie wird auch Kojotentabak genannt.

Bildquelle: © Dcrjsr/ Wikimedia/ CC BY 4.0

Endophytische Insekten haben daher Methoden hervorgebracht, um das Signalsystem ihrer Wirte zu manipulieren. „Es wird allgemein angenommen, dass endophytische Insekten die Physiologie ihrer Wirtspflanzen mithilfe des Pflanzenhormons Cytokinin modifizieren“, erläutert MPI-Forscher Christoph Brütting. Auf diese Weise halten sie die Nährstoffversorgung des umgebenden Gewebes aufrecht, selbst wenn dieses bereits deutliche Fraßschäden aufweist und von der Pflanze aufgegeben wurde.

Da mobile frei lebende Insekten sich immer zum nährstoffreichsten oder am schwächsten verteidigten Teil einer Pflanze begeben können, ging man bislang davon aus, dass diese Arten wahrscheinlich nicht über Methoden verfügen, um in das pflanzliche Hormonsystem einzugreifen. Wehrt sich die Pflanze, ziehen die Schädlinge einfach zum nächsten Blatt weiter. Da häufig jedoch die nährstoffreichsten Gewebe auch am besten verteidigten werden, haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemische Ökologie in Jena und des Deutschen Zentrums für integrierte Biodiversitätsforschung in Leipzig untersucht, ob freie Insekten nicht vielleicht doch Pflanzenhormone einsetzen, um befallene Pflanzen zu manipulieren.

Cytokinine als Schlüsselhormone

Das Team analysierte dazu die Interaktion zwischen frei lebenden Saugwanzen (Tupiocoris notatus) und Kojotentabak (Nicotiana attenuata). Typisch für endophytische Insekten erzeugen auch Saugwanzen sogenannte „grüne Inseln“. Das sind Bereiche eines befallenen Blattes, die trotz des Befalls eine erhöhte Photosyntheseaktivität und daher ein kräftiges Grün aufweisen. Eine orale Ausscheidung der Wanzen scheint die Photosyntheseaktivität anzuregen, wie eine frühere Studie nahelegt. Weiterhin war bekannt, dass Saugwanzen besonders stark jene Gewebe befallen, die hohe Cytokininkonzentrationen aufweisen. Cytokinine sind Pflanzenhormone. Sie regulieren das Pflanzenwachstum, die Photosynthese, die Nährstoffeinlagerung und stoppen die Seneszenz – die Alterung von Geweben.

Die Wissenschaftler markierten daher das Cytokinin mittels Stickstoffisotopen. Dadurch konnten sie nachvollziehen, ob das Hormon im pflanzlichen Gewebe von den Insekten stammte. Tatsächlich betrug der markierte Anteil nach fünf Tagen Befall rund 50 Prozent. Damit war die Absonderung von Pflanzenhormonen durch Insekten ins Blattgewebe erstmals nachgewiesen.

Befall verursacht Zuckersenke

Trotz des Befalls blieb die Nährstoffqualität des Gewebes unverändert hoch: Die Konzentrationen von Glucose, Fructose, Saccharose und Stärke änderten sich nicht. „Dieser marginale Einfluss auf den Nährstoffgehalt könnte auf den Nachschub von Nährstoffen aus unbefallenen in verwundete Blätter zurückzuführen sein“, meint MPI-Forscher Ian Baldwin. „Wenn das so ist, dann verursacht der Befall durch Tupiocoris notatus wahrscheinlich eine Art Zuckersenke, ähnlich wie sie von endophytischen Insekten beim Fressen verursacht wird.“

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Saugwanze der Art Tupiocoris notatus.

Saugwanze der Art Tupiocoris notatus.

Bildquelle: © Christoph Brütting/Wikimedia/ CC-BY-3.0

Erstaunlich war, dass der übliche Signalweg einer Abwehrreaktion über das Pflanzenhormon Jasmonsäure aktiviert war. „Demnach scheint der primäre Metabolismus der Pflanzen während des Befalls durch die Saugwanzen von anderen Mechanismen beeinflusst zu werden als von der klassischen Jasmonsäure gesteuerten Antwort auf Herbivore und Verletzungen“, folgern die Autoren der Studie.

Manipulation weit verbreitet

Anders als in früheren Studien maßen die Wissenschaftler eine verringerte Photosyntheseaktivität bei schwerem Befall mit Saugwanzen. Den älteren Untersuchungen lagen jedoch schwächere Befalle und andere Messmethoden zugrunde. Trotz dieser Inkonsistenz interpretieren die Forscher die stabilen Zuckerwerte in Verbindung mit den eingeschleusten Cytokininen als Zeichen, dass die Seneszenz des Gewebes blockiert wurde und/oder weiter Nährstoffe in die angegriffenen Blätter transportiert wurden. „Dieses frei lebende Insekt manipuliert die Beziehungen von Quellen und Senken, um die Nahrungsqualität zu steigern und die Fitnesskonsequenzen seines Befalls zu minimieren“, so das Fazit der Studie.

„Da Arten unterschiedlicher Ordnung ähnliche Mechanismen der Pflanzenmanipulation entwickelt haben, vermuten wir, dass diese Cytokinin-abhängige Manipulation weiter verbreitet ist, als bislang angenommen wurde, und auch von frei lebenden Insekten geteilt wird.“ Auch wenn die neuen Erkenntnisse weitere Fragen aufgeworfen haben, hoffen die Forscher, dass sich darüber neue Ansätze ergeben, um wirksame Pflanzenschutzmittel gegen saugende Insekten zu entwickeln.


Quelle:
Brütting, C. et al. (2018): Cytokinin transfer by a free-living mirid to Nicotiana attenuata recapitulates a strategy of endophytic insects. In: eLife 2018;7:e36268, (17.07.2018), doi: 10.7554/eLife.36268.

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Titelbild: Wanzen der Art Tupiocoris notatus sind weitverbreitete Tabakschädlinge. Mit ihren Stechrüsseln bohren sie die Blätter von Tabakpflanzen und anderen Nachtschattengewächsen an, um Pflanzensaft zu saugen. (Bildquelle: Christoph Brütting, MPI chem. Ökol.)