„Wohnen im Grünen“

Aus Pflanzen werden lebende Häuser

09.11.2018 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Lebende Konstruktion: Die

Lebende Konstruktion: Die "Living Root Bridge“ in Meghalaya, Indien besteht aus Wurzeln des Gummibaumes. (Bildquelle: © iStock.com/Krishnadev Chattopadhyay)

Mit computergesteuerten Lichtimpulsen Pflanzen nach Plan wachsen zu lassen, ist keine Zukunftsmusik mehr. Vielleicht ergibt sich aus diesen Experimenten später einmal die Möglichkeit, ganze Häuser oder Städte aus lebenden Bäumen zu gestalten?

Pflanzen sind ideale Baumeister: Sie produzieren stabile Konstruktionen aus Wasser, Nährstoffen und CO2 und wenn etwas kaputt geht, reparieren sie sich selbst. Kein Wunder, dass Ingenieure und Architekten sich Pflanzen als Vorbilder nehmen, wenn es um die  Konstruktion von Gebäuden geht. Beispiele für tragende Konstruktionen sind zum Beispiel die „Lebenden Brücken“ in Indien.

Das Projekt „Flora robotica“ hat sich nun zum Ziel gesetzt, das Wachstum von Pflanzen mittels „Licht“-Robotern exakt zu beeinflussen und damit komplexe Bauwerke zu gestalten. An diesem Vorhaben sind Forscher aus den Bereichen Informatik, Robotik, Zoologie, Zellbiologie, Mechatronik und Architektur beteiligt. Sie kommen aus Deutschland, Dänemark, Österreich und Polen. Koordiniert wird das Projekt von der Universität zu Lübeck.

Wo es hell ist, ist oben

Pflanzen richten sich beim Wachstum unter anderem nach dem vorhandenen Licht. Dazu besitzen sie an der Spitze des Sprosses Zellen mit speziellen Rezeptorproteinen, sogenannten Phototropinen, die Licht bestimmter Wellenlängen wahrnehmen können (UV-A und blaues Licht mit Wellenlängen zwischen 340 und 500 Nanometer). Je nachdem aus welcher Richtung das Licht kommt, ändert die Pflanze ihren Wuchs in diese Richtung. Das wird als positiver Phototropismus bezeichnet.

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Im europäischen Projekt

Im europäischen Projekt "Flora Robotica" steuern Roboterschwärme das Entstehen einer neuartigen, natürlichen Architektur.

Bildquelle: Visualisierung: flora robotica

Eine schnelle Kurskorrektur kann die Pflanze zum Beispiel durch Wassereinlagerungen in den Zellen auf der vom Lichtimpuls abgewandten Seite bewerkstelligen. Die Zellen quellen auf und sorgen für eine Richtungsänderung. Auxine, eine Gruppe von Pflanzenhormonen, sorgt anschließend bei konstant bleibender Belichtung für eine Zellstreckung auf der lichtabgewandten Seite, so dass der anfänglich noch reversible Prozess fixiert wird.

Diese Fähigkeit machen sich die Forscher zunutze. Für die Experimente wurden Keimlinge der Gartenbohne (Phaseolus vulgaris) vor ein Rautengitter gesetzt. Die Gartenbohne ist eine sich windende, schnell wachsende Kletterpflanze aus der Pflanzenfamilie der Schmetterlingsblütler, die sich entlang einer Rankhilfe nach oben schraubt. Zur Beeinflussung der Wachstumsrichtung wurde ein Roboterschwarm (eine Gruppe sich selbst organisierender Miniroboter) mit leistungsstarken LEDs genutzt.

Die einzelnen Miniroboter wurden so an den Gitterknotenpunkten platziert, dass sie das lichtempfindliche Gewebe an der Sprossspitze mit blauem Licht bestrahlen konnten („guiding state“). LEDs, die gerade kein blaues Licht abgeben sollten, schalteten stattdessen in eine Art „Stand-by-Modus“ und strahlten mit langwelligem rotem Licht. Das beeinflusst die Pflanzen nicht in ihrer Wuchsrichtung, kann aber für die Photosynthese genutzt werden („feeding state“).

Links oder rechts?

Ziel war, die Pflanzen durch Lichtimpulse so zu beeinflussen, dass sie entweder links, rechts oder geradeaus entlang des Gitters weiterwuchsen. Konnte das LED im „guiding state“ die Annäherung der Pflanze an den Knotenpunkt wahrnehmen, änderte es die Aussendung von blauem auf rotes Licht, während die nächste LED von Rot auf Blau umschaltete, um die Pflanze so zum „Abwenden“ zu bringen.

Für das Experiment wurden vier Pflanzen vor ein 1,8 Meter hohes Gitter gesetzt und über sieben Wochen lang mit computergesteuerten Lichtimpulsen aus den LEDs belichtet. Dabei war die Pflanze, die als erste den unteren Bereich des Gitters erreichte, die Leitpflanze, die von den LEDs in Form gebracht werden sollte. Nach Ablauf des Experiments hatte sie den von den LEDs vorgegebenen Wuchs in Form eines „Z“ auf dem Gitter nachgebildet, ohne auch nur einmal den falschen Weg einzuschlagen.

Wohnen wie die Elben?

Heute bringen nur Gärtner Pflanzen mühevoll in Form, doch könnte in Zukunft ein intelligentes System aus Pflanze und Robotertechnik diese Aufgabe übernehmen. Denkbar sind zum Beispiel allerlei Gestaltungselemente wie grüne Wände, Sitzbänke oder andere Möbel bis hin zu nachwachsenden Bauelementen nach präzise vorgegebenen Plänen, nachhaltig und sich selbst wartend. In ferner Zukunft wäre es vielleicht sogar möglich, ganze Häuser oder Städte nach präzisen Bauplänen wachsen zu lassen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.


Quelle:
Wahby, M. et al. (2018): Autonomously shaping natural climbing plants: A biohybrid approach. In: Royal Society Open Science, (24. Oktober 2018), DOI: 10.1098/rsos.180296.

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Titelbild: Lebende Konstruktion: Die "Living Root Bridge“ in Meghalaya, Indien besteht aus Wurzeln des Gummibaumes. (Bildquelle: © iStock.com/Krishnadev Chattopadhyay)