Zelldifferenzierung: Zurück auf Start

Induzierte pluripotente Stammzellen gibt es in Tier und Pflanze

10.07.2018 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Pflanzenzellen unterm Mikroskop. Kann man die Zelldifferenzierung rückgängig machen? (Bildquelle: © Garry DeLong / Fotolia.com)

Pflanzenzellen unterm Mikroskop. Kann man die Zelldifferenzierung rückgängig machen? (Bildquelle: © Garry DeLong / Fotolia.com)

Manche Dinge im Leben kann man nicht rückgängig machen. Das galt auch lange Zeit für die Umwandlung von pluripotenten Stammzellen in spezialisierte Zellen – bis Wissenschaftlern die Herstellung von induzierten pluripotenten Stammzellen im Labor gelang. Erst bei Zellen von Mensch und Maus, dann bei pflanzlichen Zellen.

„Was möchtest Du einmal werden?“, fragt die Tante das kleine Mädchen. „Ballerina, Dompteurin oder Zahnärztin – alles ist möglich“, antwortet dieses. In der Biologie sind die pluripotenten Stammzellen die „kleinen Mädchen“ – und natürlich auch die kleinen Jungs. Aus ihnen kann alles werden – egal ob Nieren-, Leber- oder Nervenzelle. Doch wenn sie sich einmal in eine Spezialzelle umgewandelt haben, gibt es kein Zurück mehr – zumindest nicht in der Natur.

Nobelpreis für Entdeckung

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Erst bei Zellen von Mensch und Maus, dann bei pflanzlichen Zellen geglückt: Die Herstellung von induzierten pluripotenten Stammzellen.

Erst bei Zellen von Mensch und Maus, dann bei pflanzlichen Zellen geglückt: Die Herstellung von induzierten pluripotenten Stammzellen.

Bildquelle: © JacobST/ Fotolia.com

Vor etwa 10 Jahren entdeckte Shinya Yamanaka mit seinem Forscherteam eine Möglichkeit, wie sich bereits differenzierte, einst pluripotente Stammzellen in Mensch und Maus doch wieder in eine Art pluripotenten Ursprungszustand zurückversetzen lassen. Nach ihrer Rückverwandlung nennt man diese Zellen induzierte pluripotente Stammzellen. Aufgrund der weitreichenden Bedeutung seiner Forschungsergebnisse erhielt Yamanaka im Jahr 2012 dafür den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

„Die Geburtsstunde der induzierten pluripotenten Stammzellen hat die Stammzellforschung einen großen Schritt nach vorne katapultiert“, schreiben auch die Wissenschaftler in einem aktuellen Übersichtsartikel, in dem sie diese Zellart bei Pflanzen und Tieren vergleichen. Induzierte pluripotente Stammzellen seien heute schon eine wichtige Basis für Fortschritte in der regenerativen Medizin, bei der Behandlung bestimmter Erkrankungen und bei der Medikamentenentwicklung. Mit diesen Zellen könnten beispielsweise Ersatzorgane erzeugt werden.

Induzierte pluripotente Stammzellen auch bei Pflanzen möglich

Bei der Forschung mit Säugerstammzellen gibt es jedoch ein Problem: Beim Säugetier-Embryo kommen pluripotente Stammzellen nur vorübergehend in der frühen Embryonalentwicklung vor. Sie sind also ein rares Gut. Anders ist das bei Pflanzen: Höhere Pflanzen beherbergen in der Sprossspitze dauerhaft Zellen dieser Art, die für die Forschung genutzt werden können. Dort bilden sie ständig neues Gewebe und Organe, um die pflanzliche Entwicklung auch jenseits der Embryonalphase voranzutreiben. In einer geeigneten in vitro-Kultur können auch somatische Pflanzenzellen – genauso wie tierische und menschliche – zu induzierten pluripotenten Stammzellen umgewandelt werden.

Nur mit geeigneter Umgebung

In den letzten Jahren haben Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachgebieten Daten zur Bildung von induzierten pluripotenten Stammzellen bei Pflanzen und Tieren zusammengetragen. Obwohl sich die Mechanismen grundsätzlich ähneln, gibt es doch gravierende Unterschiede zwischen beiden Prozessen: Während induzierte pluripotente Stammzellen tierischen Ursprungs in vitro generiert und als Zellverbände kultiviert werden können, ist das bei Pflanzenzellen nicht ganz so einfach möglich. Außerhalb ihrer Gewebe-Nische sind pflanzliche Stammzellen nicht überlebensfähig. Diese muss bei der Kultivierung der pflanzlichen Stammzellen – ähnlich wie ein Blumentopf mit Erde für Pflanzen – immer mitgeliefert werden. Ob pflanzliche, wie tierische induzierte pluripotente Stammzellen, in vitro über längere Zeit am Leben erhalten werden können, wird sich in kommenden Versuchen erst noch zeigen müssen.

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Außerhalb ihrer Gewebe-Nische sind pflanzliche Stammzellen jedoch nicht überlebensfähig. Diese muss bei der Kultivierung der pflanzlichen Stammzellen – ähnlich wie ein Blumentopf mit Erde für Pflanzen – immer mitgeliefert werden.

Außerhalb ihrer Gewebe-Nische sind pflanzliche Stammzellen jedoch nicht überlebensfähig. Diese muss bei der Kultivierung der pflanzlichen Stammzellen – ähnlich wie ein Blumentopf mit Erde für Pflanzen – immer mitgeliefert werden.

Bildquelle: © vili45 / Fotolia.com

Epigenetische Blockaden lösen

Gemeinsam haben beide Prozesse jedoch Folgendes: „Um zur Pluripotenz zurückkehren zu können, müssen die epigenetischen Barrieren in den ausdifferenzierten Zellen überwunden werden“, schreiben die Forscher. Das hört sich kompliziert an, lässt sich aber grob vereinfacht so formulieren: Epigenetische Modifikationen der DNA verhindern normalerweise, dass sich die ausdifferenzierten Zellen wieder zu pluripotenten Stammzellen zurückbilden können. Das geschieht, indem die Gene für die Pluripotenz methyliert und die Histon-Reste modifiziert werden. Der genetische Zustand wird so zementiert.

Dieser Vorgang ist unter Laborbedingungen jedoch umkehrbar. Bei pflanzlichen Zellen ist das über Auxin und Cytokinin möglich, bei tierischen über einen Cocktail aus rekombinanten Proteinen oder niedermolekularen Verbindungen.

Neue Visionen und voneinander lernen

Induzierte Stammzellen nutzen Pflanzenforscher schon seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In Gewebekulturen können z. B. einzelne Pflanzenzellen gentechnisch verändert werden und durch Gabe von bestimmten Pflanzenhormonen aus einer einzelnen genetisch veränderten Zelle eine ganze Pflanze regeneriert werden.

Was könnten aber induzierte pluripotente Stammzellen bei Pflanzen bringen, die sich gezielt nur zu bestimmten Geweben einer Pflanze entwickeln? Die Frage kann bisher nur visionär beantwortet werden. Vielleicht gelingt es, die produktiven Teile einer Pflanze (z. B. Samen bzw. Körner) fern vom Acker ohne die gesamte Pflanze wachsen zu lassen und damit die Produktivität zu steigern. Oder komplexe Biomoleküle in Gewebekulturen herzustellen, die bisher nicht z. B. in Bakterien und Hefen produziert werden können. Abgesehen davon können trotz der Unterschiede von pflanzlichen und tierischen Stammzellen die beiden Forschungszweige – Medizin und Pflanzenforschung – voneinander lernen und möglicherweise offene Fragen durch einen Blick in das jeweils andere System beantworten.


Quelle:
Sang, Y. L. et al. (2018): iPSCs: A Comparison between Animals and Plants. In: Trends in Plant Science, (4. Juni 2018), doi: 10.1016/j.tplants.2018.05.008.

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Titelbild: Pflanzenzellen unterm Mikroskop. Kann man die Zelldifferenzierung rückgängig machen? (Bildquelle: © Garry DeLong / Fotolia.com)