Zerschnittene Welt

Straßen und Biodiversitätsverlust

17.01.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Straßen durchschneiden Lebensräume von Tieren und Pflanzen. Oft zieht der Bau von Straßen jedoch noch weitreichendere Folgen nach sich. (Bildquelle: © Pedro Biondi_ABr/wikimedia.org; CC BY 3.0 br)

Straßen durchschneiden Lebensräume von Tieren und Pflanzen. Oft zieht der Bau von Straßen jedoch noch weitreichendere Folgen nach sich. (Bildquelle: © Pedro Biondi_ABr/wikimedia.org; CC BY 3.0 br)

Von alters her verbinden Straßen die Welt. Gleichzeitig fragmentiert das weltweit existierende Straßennetz die Ökosysteme. Für diese stellen Straßen eine Barriere dar und schränken diese ein. Das Ausmaß dieses Phänomen haben Wissenschaftler nun erstmals anhand von öffentlich zugängigen Daten visualisiert und damit begreifbarer gemacht.

Straßen verbinden Menschen, nützen der Wirtschaft beim Transport von Rohstoffen und Handelsgütern. Seit jeher gelten Handelsrouten und damit Straßen als Pulsadern der Zivilisation. Allerdings durchschneiden sie auch Lebensräume von Tieren und Pflanzen. Dies hat weit größere Folgen, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Der Grund ist, dass für die Pflanzen- und Tierwelt und damit auch für den Menschen, funktionsfähige Ökosysteme zerschnitten und wichtige Ökosystemdienstleistungen eingeschränkt werden. Diese Einschränkung hängt vom Ausbau der Straße ab: Je breiter eine Straße ist und je stärker der Verkehr ist, desto stärker ist auch die Einschränkung, die sie für ein Ökosystem mit sich bringt. Doch auch bereits kleine Straßen können die Funktionstüchtigkeit von Ökosystemen beeinträchtigen. Waldwege beispielsweise können das unterirdische Netzwerk aus Wurzeln und Pilzfäden zerschneiden.

Eingeschränkte Ökosystemdienstleistungen

Einschränkungen der Ökosystemdienstleistungen können zum Beispiel die Bestäubung von Blüten durch Insekten, die Filtration von Wasser oder die Nutzung von Pflanzen oder Tieren als Nahrungsquelle betreffen. Werden Ökosysteme durch Straßen durchschnitten, kann aber auch der Genfluss der Tier- und Pflanzenpopulationen eingeschränkt werden.

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Je breiter eine Straße ist und je stärker der Verkehr ist, desto stärker ist auch die Einschränkung die sie für ein Ökosystem mit sich bringt. Doch auch bereits kleine Straßen können die Funktionstüchtigkeit von Ökosystemen beeinträchtigen.

Je breiter eine Straße ist und je stärker der Verkehr ist, desto stärker ist auch die Einschränkung die sie für ein Ökosystem mit sich bringt. Doch auch bereits kleine Straßen können die Funktionstüchtigkeit von Ökosystemen beeinträchtigen.

Bildquelle: © Pierre L. Ibisch

Auf der anderen Seite erleichtern Straßen die Ausbreitung von für das Ökosystem fremde Arten, auch über schwer überbrückbare Hindernisse wie Gebirge hinweg. Diese biologische Invasion  kann Ökosysteme verändern, heimische Arten verdrängen, Artenvielfalt reduzieren und die Ökosystemdienstleistungen mindern. Zusätzlich erhöht der Straßenbau auch die Gefahr für Bodenerosion und auch Lärm und Abgase ziehen die Natur in der unmittelbaren Umgebung der Straße in Mitleidenschaft.

Der Straßenbau führt gleichzeitig auch dazu, dass zuvor unberührte Gegenden besser erreichbar werden. Die Erschließung neuer Gebiete setzt oft eine Kettenreaktion in Gang, in deren Folge es zum Neubau von weiteren Straßen, zu Abholzung von Waldgebieten und zum Ausbau von Industrien und Wohngebieten kommt. Opfer dieser Entwicklung ist die Artenvielfalt vieler betroffener Gebiete, aber auch die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen.

Frei zugängliche Daten

Ein internationales Team von Forscherinnen und Forscher unter deutscher Leitung veröffentlichte im Fachmagazin Science eine Studie, zur Ausbreitung des weltweiten Straßenbaus. Grundlage der Studie sind frei zugängliche Daten der OpenStreetMap-Plattform, welche durch freiwillig beitragende Bürger aus aller Welt generiert werden. Aufgrund des Umfangs und der Zugänglichkeit der Daten beschränkten sich die Autoren der Studie auf den Einfluss von Straßen auf die Ökosysteme, wissend das auch andere Bauwerke wie Kanäle, Bahntrassen oder Siedlungen Einfluss auf Ökosysteme haben.

Die Welt in 600.000 Parzellen

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass das weltweite Netz an Straßen die Ökosysteme in 600.000 straßenlose Gebiete fragmentiert. 80 Prozent dieser von Straßen eingerahmten Parzellen sind weniger als fünf Quadratkilometer groß, mehr als die Hälfte umfasst sogar weniger als einen Quadratkilometer. Nur in sieben Prozent der Landfläche finden sich noch ausgedehnte, zusammenhängende Gebiete, die größer als 100 Quadratkilometer sind. Diese Gebiete sind in der Tundra, den borealen Wäldern sowie in einigen tropischen Gebieten Afrikas, Südamerikas und Südostasiens zu finden.

Das Forscherteam entwickelte einen Bewertungsindex für die straßenfreien Areale. Dieser setzt sich aus Größe, Grad der Vernetzung und Index für die Funktion des Ökosystems zusammen. Das Ergebnis der Untersuchungen war, dass etwa ein Drittel der straßenfreien Areale auf Grund der geringen Größe nur noch wenige ökologische Funktionen und auch eine geringe biologische Vielfalt aufweisen.

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Die Autorinnen und Autoren der Studie sind Mitglieder der Roadless Area Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, auf die Bedeutung straßenloser Gebiete aufmerksam zu machen. (Quelle: Writtle University College; youtube.com)

Schlechte Prognosen

Die Aussichten für diese noch bestehenden straßenfreien Flächen sind ebenfalls schlecht. Prognosen sagen von 2010 bis 2050 ein Wachstum der globalen Straßenlänge um mehr als 60 Prozent voraus. Zur selben Zeit schwindet bereits heute die biologische Vielfallt stark. Arten verschwinden derzeit 114-mal schneller von der Erde, als das natürlicherweise der Fall wäre. Wenn sich das Massenaussterben in dieser Geschwindigkeit fortsetzt, bräuchte die Erde viele Millionen Jahre, um sich zu regenerieren.

Naturschutz versus Entwicklungshilfe

Problematisch ist, dass der Erhalt straßenfreier Gebiete im Konflikt mit entwicklungspolitischen Zielen steht. Ein Thema der Ziele für nachhaltige Entwicklung (englisch: Sustainable Development Goals, kurz: SDGs) der Vereinten Nationen ist der Bau von Infrastruktur und Industrie. So finanziert die KfW Entwicklungsbank im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beispielsweise seit 2003 den ländlichen Wegebau in Laos. Bisher wurden mehr als 720 Kilometer Wege erneuert und ausgebaut, weitere 100 Kilometer sollen demnächst hinzukommen. Dies ist wichtig, da so der Anschluss an Märkte und damit der Zugang zu Produktionsmitteln, Wasser, Krediten, aber auch einer größeren Vielfalt an Lebensmitteln, medizinischer Versorgung, Bildung und Wissen und vielen mehr möglich werden.

Aber, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aufgrund der raschen Ausdehnung der Straßen ist es auch dringend notwendig, eine globale Strategie für die wirksame Erhaltung, Restaurierung und Überwachung von straßenfreien Räumen zu schaffen, sodass Ökosysteme ihre volle Funktion behalten. Dadurch soll verhindert werden, dass Fehler, die beim Ausbau der Infrastruktur in den Industrienationen gemacht wurden, nicht automatisch auf Schwellen- und Entwicklungsländer übertragen werden.


Quellen:

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Straßen durchschneiden Lebensräume von Tieren und Pflanzen. Oft zieht der Bau von Straßen jedoch noch weitreichendere Folgen nach sich. (Bildquelle: © Pedro Biondi_ABr/wikimedia.org; CC BY 3.0 br)