Zusammen geht es schneller

Mutualistische Symbiosen beschleunigen die Evolution

05.09.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Mutualistische Pseudomyrmex-Ameisen auf einer Akazie in Costa Rica. (Bildquelle: © Alexandra Westrich, The Field Museum)

Mutualistische Pseudomyrmex-Ameisen auf einer Akazie in Costa Rica. (Bildquelle: © Alexandra Westrich, The Field Museum)

Beim Vergleich der Genome von unterschiedlichen Ameisenarten entdeckten Forscher, dass die Evolutionsgeschwindigkeit bei den Arten erhöht ist, die eine mutualistische Beziehung mit Pflanzen eingehen. Diese Ergebnisse überraschten die Forscher: Denn enge Partnerschaften unterschiedlicher Arten zu beiderseitigem Vorteil sollten der Theorie (Red-King-Hypothese) zufolge genau das Gegenteil bewirken.

Auch zwischen Pflanzen und Tieren gibt es intime Beziehungen und Abhängigkeiten. Wird ein Partner dabei ausgenutzt, spricht man von Parasitismus. Doch es gibt auch Symbiosen, bei der beide Seiten einen Nutzen daraus ziehen, diese friedlichen Allianzen nennt man Mutualismus.

Beziehungspartner Ameise

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Diese Ameisen gehen mit Pflanzen eine enge Beziehung ein, die zu beideseitigem Nutzen ist: Die Ameisen verteidigen die Pflanze und bekommen im Gegenzug Nahrung und einen sicheren Platz zum Leben.

Diese Ameisen gehen mit Pflanzen eine enge Beziehung ein, die zu beideseitigem Nutzen ist: Die Ameisen verteidigen die Pflanze und bekommen im Gegenzug Nahrung und einen sicheren Platz zum Leben.

Bildquelle: © The Field Museum

So gehen beispielsweise einige Ameisen der Gattung Pseudomyrmex eine enge Partnerschaft mit Pflanzen ein. Darunter gibt es Arten, die sich auf Akazien „spezialisiert“ haben (siehe hierzu auch: „Verhängnisvolle Nascherei“), andere auf nahe verwandte Bäume der Gattungen Tachigali oder Triplaris. Diese Ameisenarten leben auf den Wirtspflanzen und verteidigen diese, indem sie aktiv patrouillieren und Herbivoren und andere Angreifer sehr aggressiv abwehren.

Ganz anders verhalten sich Ameisen dieser Gattung, die keine mutualistische Symbiose mit Pflanzen eingehen. Diese „Generalisten“ fliehen vor Angreifern, selbst wenn diese ihr Nest attackieren. Doch nicht nur im Verhalten unterscheiden sich die Ameisen voneinander, sondern auch auf molekularer Ebene, wie Wissenschaftler nun herausfanden.

Mutualismus: Molekulare Evolution verläuft schneller

Ursprünglich wollten die Forscher die genetische Grundlage und Evolution der unterschiedlichen Verhaltensweisen der Pseudomyrmex-Ameisen durch den Vergleich ihrer Genome besser verstehen. Denn bisher ist wenig darüber bekannt, wie sich Mutualismen auf das Genom der tierischen Symbiosepartner auswirken. Schließlich können beispielsweise parasitäre Beziehungen zu langfristigen und weitreichenden Veränderungen im Erbgut führen (vgl. „Parasitäre Blütenpflanze stiehlt Gene vom Wirt“).

Für ihre Studie sequenzieren die Wissenschaftler daher die Genome von sieben Ameisenarten – drei mutualistische Arten und vier verwandte Arten, die keine mutualistische Symbiose entwickelt haben. Dazu bildeten sie immer Paare von symbiotisch lebenden Arten und nicht-symbiotisch lebenden Arten, die am nächsten verwandt waren und verglichen sie. Beim Vergleich der Sequenzen stellten die Forscher fest, dass sich die Genome der symbiotisch lebenden Ameisen rascher weiterentwickelt haben, also eine höhere Evolutionsgeschwindigkeit vorweisen.

Unterschiede auf Gen-Ebene identifiziert

Ausschließen konnten die Forscher, dass die Größe der Population diesen evolutionären Schub verantwortet. Denn es waren keine konsistenten Unterschiede zwischen „Mutualisten“ und „Generalisten“ erkennbar - die Populationsgrößen waren demnach vergleichbar. Stattdessen kommen sie zu dem Schluss, dass wohl eine Mischung aus positiver Selektion und nachlassendem Selektionsdruck hinter diesem Push auf Genom-Ebene steckt.

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Gut zu wissen:

Der Begriff „Symbiose“ wird nicht immer einheitlich verwendet. In Europa und dem deutschsprachigen Raum versteht man unter Symbiose eine Beziehung artverschiedener Organismen, von der alle Partner profitieren. Im englischsprachigen Raum, vor allem den USA, wird er hingegen als Überbegriff für jede Art von Interaktion zwischen Organismen verwendet – wie er ursprünglich von dem deutschen Botaniker Anton de Bary 1878 geprägt wurde. Damit umfasst er auch den Parasitismus.

Interessanterweise waren bei allen drei mutualistischen Arten bestimmte Gene verändert, die der Neurogenese und der Muskelaktivität zuzuschreiben sind. Die Bildung von Nervenzellen ist stark mit dem Verhalten der Tiere verknüpft und die veränderte Muskelaktivität hilft den Ameisen wahrscheinlich, die Wirtspflanze besser zu verteidigen. Allerdings konnten die Forscher keine Veränderung bei Genen feststellen, die im Zusammenhang mit Aggressivität stehen. Das aggressivere Verhalten der symbiotischen Ameisen könnte daher ein Ergebnis der Regulation der Gene sein, so die Vermutung der Forscher.

Doch vor allem die beobachtete signifikant höhere Evolutionsrate überraschte die Forscher. Denn die Ergebnisse stehen im Kontrast zu einer Theorie, die genau das Gegenteil annimmt.

Schachmatt für den Roten König!

Kompetitive Arten, wie z. B. Pathogene und Pflanzen, stehen unter einem konstanten Druck. Sie müssen sich so schnell wie möglich entwickeln, um ihre Gegner zu übertreffen. Rüstet eine Pflanze beispielsweise mit einem neuen Abwehrmechanismus auf, muss der Krankheitserreger sich anpassen, um die Verteidigung zu umgehen und seine Nahrungsquelle nicht zu verlieren. Gelingt es ihm, muss wiederum die Pflanze neue Mechanismen entwickeln, um den Erregern etwas entgegen zu stellen. Diese gegenseitige Anpassung (Koevolution) gleicht einem Wettrüsten und wird in der Biologie unter der „Red-Queen-Hypothese“ zusammengefasst. Die Theorie leitet sich von Lewis Carrolls Buch „Alice hinter den Spiegeln“ ab, bei der die Rote Königin Alice erklärt: „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“

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Auf den ersten Blick scheint diese Beziehung freundschaftlich, doch der Nektar der Pflanze treibt die Ameisen in die Abhängigkeit. Mehr dazu lesen...

Auf den ersten Blick scheint diese Beziehung freundschaftlich, doch der Nektar der Pflanze treibt die Ameisen in die Abhängigkeit. Mehr dazu lesen...

Bildquelle: © The Field Museum

Als Pendant wurde 2003 durch statistische Modellierungen die Roter-König-Hypothese (Red-King-Hypothese) aufgestellt. Die Theorie besagt, dass eine langsamere Entwicklung in mutualistischen Beziehungen von Vorteil sein kann, um die bestehende Beziehung nicht zu gefährden. Bereits 2012 haben Forscher vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön herausgefunden, dass Partner von einer langsamen Evolution nur profitieren, wenn es lediglich zwei Interaktionspartner gibt. Doch auch dies scheint nicht ganz zuzutreffen, denn die vorliegende Studie beweist: Die Theorie hält zumindest bei den untersuchten Ameisen-Pflanzen-Beziehungen nicht stand.

Kontinuierliche Anpassung sichert das Überleben

Die Forscher vermuten, dass der Erhalt der Beziehung der übergeordnete Grund ist, warum die Ameisen, die sich zu Mutualismen verpflichten eine schnellere Genomevolution zeigen. Denn wie alle Organismen müssen sich auch die Ameisen und ihre Partner ständig an die verändernden Umweltgegebenheiten anpassen. Sie haben dabei allerdings noch die zusätzliche Aufgabe, dies in Bezug auf den Symbiosepartner zu tun, damit die Partnerschaft stabil bleibt.

Allerdings gilt es zu bedenken, dass Beziehungen unterschiedlicher Arten immer ein Versuch sind, das bestmögliche für den Einzelnen herauszuschlagen. Das bedeutet: Es besteht immer die Gefahr, dass anfangs friedliche Allianzen in einen Parasitismus umschlagen können. Mutualismen sind darüber hinaus für die Partner kostspielig. Eine solche Beziehung macht daher nur Sinn, wenn beide Seiten profitieren. Ist die Beziehung nicht lohnenswert, kann sie auch kurzerhand – als evolutionäre Anpassung – beendet werden. All dies kann die erhöhte Evolutionsrate erklären, so die Forscher. Die Rote-Königin-Theorie scheint diesen neuen Erkenntnissen zufolge, womöglich für alle Beziehungen zu gelten, egal ob diese parasitisch oder mutualistisch sind.   


Quelle:
Rubin, B.E.R. und Moreau, C.S. (2016): Comparative genomics reveals convergent rates of evolution in ant–plant mutualisms. In: Nature Communications 7:12679, (25. August 2016), doi: 10.1038/ncomms12679.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Mutualistische Pseudomyrmex-Ameisen auf einer Akazie in Costa Rica. (Bildquelle: © Alexandra Westrich, The Field Museum)