200.000 Schalter für die Vielfalt

Neue Genomkarte erklärt, warum Mais so unterschiedlich ist

21.10.2025 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Symbolische Darstellung der DNA als Doppelhelix mit molekularen „Schaltern“, die Gene an- oder ausschalten. Solche regulatorischen Elemente bestimmen, wann und wie stark ein Gen aktiv ist – und spielen damit eine zentrale Rolle für die Vielfalt von Pflanzenmerkmalen. (Bildquelle: © Pflanzenforschung.de, erstellt mit DALL·E)

Symbolische Darstellung der DNA als Doppelhelix mit molekularen „Schaltern“, die Gene an- oder ausschalten. Solche regulatorischen Elemente bestimmen, wann und wie stark ein Gen aktiv ist – und spielen damit eine zentrale Rolle für die Vielfalt von Pflanzenmerkmalen. (Bildquelle: © Pflanzenforschung.de, erstellt mit DALL·E)

Ein internationales Forschungsteam hat die verborgene Steuerzentrale im Mais-Genom kartiert: winzige DNA-Abschnitte, an denen Regulatorproteine ansetzen und Gene ein- oder ausschalten. Das Ergebnis ist verblüffend – Varianten an diesen sogenannten cis-regulatorischen Elementen erklären bei mehr als zwei Dritteln aller untersuchten Merkmale den größten Teil der erblichen Unterschiede. Die Studie eröffnet völlig neue Wege für gezielte Pflanzenzüchtung und Genom-Editierung.

Warum wächst der eine Mais hoch und standfest, während der andere empfindlich auf Trockenheit reagiert oder früher blüht – obwohl beide nahezu dieselbe genetische „Teileliste“ besitzen? Der Schlüssel liegt nicht in den Genen selbst, sondern in den unscheinbaren Abschnitten dazwischen. Hier sitzen die Schalter der Genregulation, kleine Sequenzen, an die Transkriptionsfaktoren andocken. Diese Proteine steuern, wann ein Gen aktiv wird und wie stark. Eine einzelne Mutation an solch einer Bindestelle kann reichen, um Wachstum, Blüte oder Stresstoleranz messbar zu verändern.

Bislang war es allerdings schwierig, diese Schalter flächendeckend zu identifizieren. Klassische Genom-Studien konnten zwar Regionen benennen, die mit bestimmten Merkmalen zusammenhängen, aber nicht zeigen, welche DNA-Varianten tatsächlich funktionell sind. Genau hier setzt die neue Studie an, die in Nature Genetics erschienen ist.

Eine Landkarte der Regulatoren

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Die neue Karte der genetischen Schalter wurde für das Blattgewebe von Mais erstellt – andere Pflanzenteile besitzen eigene regulatorische Landschaften. Doch das Prinzip steht fest: Wer die Schalter kennt, versteht die Maschine.

Die neue Karte der genetischen Schalter wurde für das Blattgewebe von Mais erstellt – andere Pflanzenteile besitzen eigene regulatorische Landschaften. Doch das Prinzip steht fest: Wer die Schalter kennt, versteht die Maschine.

Bildquelle: © Aconcagua (talk) / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Das Team um Thomas Hartwig, Wolf Frommer und Benjamin Stich nutzte eine neuartige Methode namens MOA-seq („MNase-defined cistrome occupancy analysis“). Sie macht sichtbar, wo auf der DNA Transkriptionsfaktoren tatsächlich „Fußabdrücke“ hinterlassen – also aktiv an die Erbinformation binden. Dafür untersuchten die Forschenden 25 Mais-Kreuzungen, die alle die gleiche Referenzlinie B73 als Elternteil hatten.

So ließen sich Unterschiede in der Genregulation präzise den jeweils anderen Elternlinien zuordnen. Das Ergebnis war eine „Pan-Karte“ der regulatorischen Landschaft des Maisblatts – sowohl unter optimaler Bewässerung als auch unter Trockenstress. Über 200.000 Schaltervarianten fanden die Forschenden, sogenannte binding quantitative trait loci oder bQTL, die den Zugriff von Transkriptionsfaktoren beeinflussen.

Drei Befunde stützten die Bedeutung dieser bQTL: Sie überlappen mit bereits bekannten Steuerregionen für zentrale Eigenschaften wie Blühzeit oder Pflanzenarchitektur; sie zeigen die gleiche Allel-Präferenz wie in den Elternlinien; und sie erklären bei rund 72 Prozent von 143 getesteten Merkmalen den größten Teil der vererbbaren Unterschiede – mehr als alle übrigen Genomregionen zusammen.

Wenn kleine Unterschiede Großes bewirken

Wie fein solche Schalter wirken, zeigen einige konkrete Beispiele. In der Nähe des bekannten Blühzeitgens RAP2.7 entdeckte das Team nicht nur die bereits beschriebenen Regulatoren, sondern auch einen bislang unentdeckten, dritten „Dimmer“, der physisch mit dem Genpromotor interagiert. Auch bei Stoffwechselgenen wie TRE1 oder SUB11 beeinflussen einzelne Basenänderungen im Promotor direkt, wie stark die Gene abgelesen werden – ganz so, als würde man den Zeiger eines Lautstärkereglers leicht verschieben.

Sogar mobile DNA-Elemente, sogenannte Transposons, wirken mit: Wenn sie sich in der Nähe eines Schalters einfügen, verändern sie den Abstand oder die Zugänglichkeit für Regulatorproteine. So entstehen fein abgestufte Varianten, die sich in der Gestalt, Wuchshöhe oder im Zuckerhaushalt der Pflanzen widerspiegeln.

Neben der DNA-Sequenz spielt auch ihre chemische Markierung eine Rolle. Regionen, die weniger methyliert sind – also eine offene, zugängliche Chromatinstruktur aufweisen –, werden deutlich häufiger von Transkriptionsfaktoren besetzt. Dennoch zeigte sich: Die reine genetische Variation erklärt die erblichen Unterschiede besser als epigenetische Veränderungen, die kurzfristiger und weniger stabil vererbt werden.

Wenn Wasser fehlt, verändern sich die Schalter

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Trockenstress verändert die Aktivität zahlreicher genetischer Schalter. Forschende zeigen, dass viele dieser regulatorischen Elemente bestimmen, wie gut Pflanzen mit Dürre umgehen können.

Trockenstress verändert die Aktivität zahlreicher genetischer Schalter. Forschende zeigen, dass viele dieser regulatorischen Elemente bestimmen, wie gut Pflanzen mit Dürre umgehen können.

Bildquelle: © Symac / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Besonders eindrucksvoll wurde der Mechanismus unter Dürrestress sichtbar. In den trockengehaltenen Pflanzen veränderte sich das Muster der TF-Bindungen an tausenden Stellen. Manche Schalter wurden aktiv, andere verstummten. Auffällig viele lagen in der Nähe bekannter Stressgene, etwa ZmNAC111 oder ZmSO.

Ein Paradebeispiel ist das Gen ZmTINY, das auf Trockenheit reagiert. Bei bestimmten Linien zeigte der Promotor dieses Gens unter Dürre eine bis zu 84-fach höhere Aktivität als bei der Referenzlinie B73. Labortests bestätigten, dass die betroffenen DNA-Abschnitte tatsächlich stärker reagieren, besonders in Anwesenheit des Stresshormons Abscisinsäure (ABA).

Solche Befunde zeigen, dass der größte Teil der Stressreaktion nicht durch neue Schalter, sondern durch eine Veränderung der Aktivität bestehender Bindestellen zustande kommt – die Pflanze nutzt also dieselben Schaltkreise, dreht sie aber unter Stress lauter.

So aktiviert das Stresshormon Abscisinsäure ganze Gruppen von Transkriptionsfaktoren, die stärker oder häufiger an ihre Bindestellen andocken. Gleichzeitig öffnet sich das Chromatin, sodass diese Stellen besser zugänglich sind. So reagiert die Pflanze flexibel – sie nutzt ihre vorhandenen Schalter, aber mit veränderter Intensität.

Kompass für die Züchtung

Die Studie öffnet eine neue Dimension für die funktionelle Genetik und Pflanzenzüchtung. Statt sich auf zufällige Marker zu verlassen, können Forschende nun gezielt jene DNA-Abschnitte ansteuern, die wirklich etwas bewirken – und damit komplexe Eigenschaften wie Trockenresistenz, Blattwinkel oder Blühzeit viel präziser beeinflussen.

Auch für die Genom-Editierung liefert die Karte wertvolle Anhaltspunkte: Mit CRISPR lassen sich künftig nicht nur Gene, sondern auch Regulationsregionen gezielt verändern, um die Genaktivität fein zu justieren.

Natürlich bleibt Arbeit: Die aktuelle Karte betrifft vor allem das Blattgewebe, andere Pflanzenteile besitzen eigene Schalterlandschaften. Doch das Prinzip steht fest: Wer die Schalter kennt, versteht die Maschine.


Quelle:
Engelhorn, J., Snodgrass, S. J., Kok, A. et al. (2025). Genetic variation at transcription factor binding sites largely explains phenotypic heritability in maize. Nature Genetics, 11. August 2025). doi: 10.1038/s41588-025-02246-7

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Titelbild: 

Symbolische Darstellung der DNA als Doppelhelix mit molekularen „Schaltern“, die Gene an- oder ausschalten. Solche regulatorischen Elemente bestimmen, wann und wie stark ein Gen aktiv ist – und spielen damit eine zentrale Rolle für die Vielfalt von Pflanzenmerkmalen. (Bildquelle: © Pflanzenforschung.de, erstellt mit DALL·E)