Chromosome Drive hebelt Mendelsche Vererbung aus

Egoistische B-Chromosomen sichern eigenes Weiterleben

18.12.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die B-Chromosomen bringen dem Roggen keine Vorteile. Trotzdem werden sie nicht aus dem Genom entfernt, sondern sorgen für ihr eigenes Überleben in den folgenden Generationen. (Bildquelle: © André Karwath aka Aka, eigenes Werk / Wikimedia, CC BY-SA 2.5)

Die B-Chromosomen bringen dem Roggen keine Vorteile. Trotzdem werden sie nicht aus dem Genom entfernt, sondern sorgen für ihr eigenes Überleben in den folgenden Generationen. (Bildquelle: © André Karwath aka Aka, eigenes Werk / Wikimedia, CC BY-SA 2.5)

B-Chromosomen haben für Organismen keinen Nutzen. Trotzdem werden sie nicht aus dem Genom entfernt, sondern an die nächste Generation weitergereicht. Ein Forschungsteam hat jetzt den Mechanismus hinter diesem Chromosome Drive entschlüsselt.

Sie sind entbehrlich, teilweise sogar schädlich, und werden trotzdem von Generation zu Generation weitergegeben. Die Rede ist von B-Chromosomen, einer besonderen Art von Chromosomen, die sich geradezu parasitenartig verhalten.Anders als A-Chromosomen enthalten B-Chromosomen keine essenziellen Informationen, die für das Überleben ihres Organismus erforderlich wären. Wie schaffen sie es also, im Laufe der Evolution nicht aussortiert zu werden, sondern sich sogar über die Mendelschen Vererbungsregeln hinwegzusetzen und sich in den Zellen anzureichern? Dieser auch als Chromosome Drive bekannte Mechanismus hat den Forschenden schon lange Rätsel aufgegeben.

Was ermöglicht den Chromosome Drive?

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professor Andreas Houben, der am IPK Gatersleben die Arbeitsgruppe „Chromosomenstruktur und -funktion“ leitet, hat sich dieser Fragestellung jetzt angenommen. Sie wollten herausfinden, welche Gene für den Chromosome Drive verantwortlich sind.

Als Untersuchungsobjekt nutzten sie Roggen (Secale cereale). Es war bereits bekannt, dass die für den Chromosome Drive verantwortlichen Gene sich in der sogenannten Drive Control Region (DCR) am Ende des langen Arms von Chromosom B kurz vor den Telomeren befinden. Das Team um Andreas Houben nutzte unterschiedliche Long-Read-Technologien, um ein Pseudomolekül des B-Chromosoms von 430 Megabasenpaaren Länge zu assemblieren. Als Nächstes kamen vergleichende RNA-seq-Analysen zum Einsatz, mit deren Hilfe sie B-Chromosomen mit und ohne Fähigkeit zum Chromosome Drive verglichen.

B-Chromosomen gelangen vollständig in die Spermazellen

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Das Schema zeigt den „chromosome drive“ des Roggen B-Chromosoms. Die Chromatiden des B-Chromosoms werden während der ersten Pollenmitose nicht getrennt und reichern 
sich im generativen Kern und den Spermien an. Querschnitt durch den Pollen nach in-situ-Nachweis von A- und B-Chromosom-spezifischen Sequenzen.

Das Schema zeigt den „chromosome drive“ des Roggen B-Chromosoms. Die Chromatiden des B-Chromosoms werden während der ersten Pollenmitose nicht getrennt und reichern 
sich im generativen Kern und den Spermien an. Querschnitt durch den Pollen nach in-situ-Nachweis von A- und B-Chromosom-spezifischen Sequenzen.

Bildquelle: © IPK Gatersleben

Dadurch gelang es ihnen, fünf Kandidatengene innerhalb der DCR zu identifizieren, die für den Drive verantwortlich sein könnten. Zwei davon sind besonders interessant: zum einen das Gen DCR28, das dafür verantwortlich ist, dass sich die Mikrotubuli während der ersten Pollenkernmitose nicht korrekt ausbilden können. Das passt zu den Ergebnissen einer früheren Arbeit.

Denn vor fünf Jahren hatte die Arbeitsgruppe um Andreas Houben bereits gezeigt, dass die Ursache für den Chromosome Drive während der ersten Pollenkornmitose zu finden ist. Dabei teilt sich der Zellkern der haploiden Gamete in einen vererbbaren generativen Zellkern und einen nicht vererbbaren vegetativen Zellkern. Die A-Chromosomen werden dabei in zwei Chromatiden geteilt, die B-Chromosomen jedoch nicht.

Der Grund dafür könnte das Gen DCR38 sein, das vielleicht dazu führt, dass die Tubulin-Spindeln nicht stark genug an den Chromatiden ziehen können, um sie zu trennen. Die B-Chromosomen verbleiben daher zusammen und gelangen vorrangig in den generativen Zellkern. Bei der zweiten Pollenkornmitose entstehen aus diesem generativen Zellkern zwei Spermazellen – jede davon mit einem vollständigen B-Chromosom.

Drive vermutlich von mehreren Genen gesteuert

Beim zweiten Gen von Interesse handelt es sich um DCR400, das eine DNA-Helikase kodiert, die vermutlich beim Entwinden des DNA-Doppelstrangs und der Kohäsion der zwei Schwesterchromatiden eine Rolle spielt. Allerdings haben die genetischen Analysen gezeigt, dass DCR400 noch eine 98-prozentige Ähnlichkeit zum paralogen Gen im A-Chromosom aufweist.

Die Forschenden gehen daher davon aus, dass DCR400 erst vor kurzem auf das B-Chromosom gelangt ist und vielleicht nur eine untergeordnete Rolle beim Drive spielt. Sie schreiben jedoch auch: „Der Drive der B-Chromosomen wird vermutlich nicht von einem einzigen Gen reguliert. Zusätzliche Gene, wie zum Beispiel DCR400 in Zusammenarbeit mit DCR28, könnten bei der Regulation des Chromosome Drive helfen.“

Diese neuen Erkenntnisse über die Mechanismen bei der ungleichen Verteilung der B-Chromosomen in Pflanzen könnten auch für die Erforschung von Erbkrankheiten beim Menschen hilfreich sein, die auf einer ungleichen Verteilung von Chromosomen beruhen.


Quelle:
Chen, J., Bartoš, J., Boudichevskaia, A. et al. The genetic mechanism of B chromosome drive in rye illuminated by chromosome-scale assembly. Nat Commun 15, 9686 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-53799-w

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Titelbild: Die B-Chromosomen bringen dem Roggen keine Vorteile. Trotzdem werden sie nicht aus dem Genom entfernt, sondern sorgen für ihr eigenes Überleben in den folgenden Generationen. (Bildquelle: © André Karwath aka Aka, eigenes Werk / Wikimedia, CC BY-SA 2.5)