Das Forschungsprojekt AIM4GEM
Interaktion von Raps-Genotypen und ihrer Umwelt besser verstehen
Feldversuch mit Raps (© Lukas Förter)
In Norddeutschland Rekordertrag, im Süden deutlich weniger – derselbe Raps, anderes Ergebnis. Der Klimawandel verschärft solche Unterschiede. Neuartige Strategien zur züchterischen Verbesserung sind daher dringend gefragt. AIM4GEM untersucht, wie Genotyp, Umwelt und Anbaumanagement durch Landwirte zusammenspielen, um Sorten für verschiedene Standorte und künftige Klimabedingungen zu züchten.
Moderne Rapssorten erzielen mit einem durchschnittlichen Hektarertrag von 3,5 bis 4,0 Tonnen eine ordentliche Leistung – meistens jedenfalls. Bei bestimmten Wetterbedingungen oder auf manchen Böden kann das anders aussehen. Wie viele moderne Getreidesorten ist auch Raps darauf optimiert, unter möglichst vielen Bedingungen stabil zu wachsen. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, Sorten für spezielle Umwelten zu optimieren, etwa trockenere Böden. Denn kein Acker ist wie der andere.
Genotyp-Umwelt-Interaktion
Eine Biene bestäubt eine Rapsblüte – neben dem Klima tragen auch Bestäuber, Standort und Anbaumanagement dazu bei, wie ertragreich eine Rapssorte ist.
Bildquelle: © Ivar Leidus, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0
„Vor allem durch den Klimawandel werden die Wetterbedingungen unvorhersehbarer und schwieriger für die Pflanzen“, nennt Sven Weber, Pflanzenforscher an der Universität Gießen, ein zusätzliches Motiv. Noch ist nicht genau abzusehen, wie die unterschiedlichen Genotypen beim Raps mit ihrer Umwelt interagieren – Fachleute sprechen hier von Genotyp-Umwelt-Interaktion. Gemeint ist, dass eine Sorte (der Genotyp) je nach Standort- und Klimabedingungen ganz unterschiedlich reagieren kann: Ein Genotyp 1 kann in einer bestimmten Region mit mildem Klima (Umwelt 1) hohe Erträge liefern, in einer trockeneren Region (Umwelt 2) jedoch deutlich schlechter abschneiden. Bei Genotyp 2 kann es genau umgekehrt sein. Manche Merkmale einer Pflanze entfalten ihren Vorteil nur unter bestimmten Bedingungen, während sie unter anderen kaum ins Gewicht fallen. Die zentrale Frage lautet daher: Welche Kombination aus Merkmal und Umweltbedingung beeinflusst den Ertrag – und wie stark?
Modellierung für umweltoptimierte Kreuzungen
Das Projekt AIM4GEM, das Weber leitet, will mit neuesten Modellierungsansätzen diese komplexe Wechselwirkung aus Genotyp, Umwelt und Anbaumanagement durch Landwirte (G*E*M = Genotype × Environment × Management) quantifizieren und für die Züchtung nutzbar machen. „Wir wollen Züchtern eine bessere Entscheidungsbasis liefern, wie sie selektieren müssen, um bestimmte Sorten auf den Markt zu bringen“, erläutert Weber. Langfristig soll es auch möglich werden, Landwirten Sorten zu empfehlen, die für ihre Flächen und regionalen Klimabedingungen besonders hohe Erträge erzielen.
Natürlich sind moderne Rapssorten bereits auf hohe Erträge optimiert, und viele genetische Marker sind bekannt. „Aber der Ertrag ist ja die Summe aus ganz vielen kleinen Merkmalen und Bedingungen“, sagt der Projektleiter. „Diese Teilaspekte würden wir gern genauer aufschlüsseln, um Indikatoren zu finden, mit denen sich die Genotyp-Umwelt-Interaktion besser messen lässt.“
Große Datenbasis aus Feldversuchen und Spektralmessungen
Spektralaufnahme eines Raps-Feldversuchs
Bildquelle: © Lukas Förter
Zusätzlich erschwert wird die Analyse, weil auch das Anbaumanagement durch Landwirte den Ertrag beeinflusst: Wann und wie viel gedüngt wird, ob und in welcher Form Pflanzenschutz betrieben wird, wie die Bodenbearbeitung erfolgt oder welche Aussaattermine und -dichten gewählt werden – all das wirkt sich auf den Ertrag aus und steht in Wechselwirkung mit dem Genotyp. „Idealerweise müsste man also auch sagen können, wann für eine bestimmte Sorte welche Behandlung in welcher Menge optimal ist“, betont Weber.
Das Team verfolgt dazu zwei parallele Ansätze, beide basierend auf einer umfangreichen Datensammlung. Am Gießener Institut für Pflanzenzüchtung gibt es zahlreiche Forschungsdaten, die den Zusammenhang zwischen Ertrag und Genom beim Raps dokumentieren. Hinzu kommen detaillierte Informationen zum Phänotyp, die Drohnen mit Multispektralsensoren erfasst haben. Ergänzend werden Nahinfrarotspektroskopiedaten eingesetzt, um G*E*M-Effekte in der Samenqualität und -zusammensetzung von Raps-Zuchtpopulationen zu analysieren, die in unterschiedlichen Umgebungen angebaut wurden.
Klassische Statistik und KI im Vergleich
Zum einen nutzt das Team klassische statistische Methoden. Lineare Modelle quantifizieren, wie stark sich eine Interaktion zwischen Merkmal und Umwelt auswirkt. „Die klassische Statistik beschreibt eine gemessene Situation sehr präzise“, erläutert Weber. „Welche Pflanze ist wo gewachsen, welche Mittelwerteffekte habe ich und welche Arten von Interaktionseffekten?“
Zum anderen setzt AIM4GEM aber auch auf Maschinelles Lernen, also Methoden der künstlichen Intelligenz. „Die Stärke dieses Ansatzes liegt in der Vorhersage“, so Weber. Besonders für Umwelten ohne Beobachtungsdaten kann KI ihr Potenzial ausspielen. Während bei der klassischen Statistik einzelne Merkmale analysiert werden, kombiniert die KI möglichst viele Merkmale und ihre Interaktionsmuster. Dazu gehören auch hierarchische Pflanzenwachstumsmodelle, mit denen genotypische und morphologische Merkmale für die Stressanpassung über die gesamte Vegetationsperiode hinweg entschlüsselt werden.
Nutzen für Züchter und Landwirte
Schon der erste Projektteil kann für Züchter wertvoll sein: Wenn eine bestimmte Genotyp-Umwelt-Interaktion den Ertrag nachweislich beeinflusst, kann der Züchter Sorten mit passendem Genotyp gezielter empfehlen.
Der zweite Projektteil soll hingegen vor allem die Züchtung neuer Sorten unterstützen. Üblicherweise kombiniert ein Züchter zwei Genotypen mit günstigen Allelen und entwickelt aus der F1-Generation – etwa mittels Doppelhaploidtechnik – eine Familie von Geschwistern. Erst dann kann er prüfen, welche Linien den gewünschten Genotyp aufweisen und wie sich diese Kombination im Feld bewährt. KI-Vorhersagen könnten diesen Prozess beschleunigen, indem sie geeignete Kreuzungspartner schon vor der aufwendigen Feldprüfung identifizieren.
Langfristig sollen die entwickelten Methoden und Modelle in die genomische Selektion integriert werden. Züchter hätten damit Werkzeuge, um komplexe G*E*M-Muster gezielt zu nutzen und Rapssorten mit höherem Ertrag sowie besserer Ressourceneffizienz zu entwickeln – ein entscheidender Schritt, um die Kulturpflanze fit für den Klimawandel zu machen.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Projekt Epibrass: Klimaanpassung der Blühregulation von Winterraps
- „Ich forsche, damit Winterraps auch noch nach milden Wintern blüht.“: Interview mit Sarah Duveneck
- RaPEQ3: Dem Rapsprotein die Bitterkeit nehmen
Titelbild: Feldversuch mit Raps © Lukas Förter