Die „Mosaik-Abstammung“ der Gerste

Nature-Studie zeigt: Fünf Wildpopulationen formten unsere Kulturgerste

09.10.2025 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ein internationales Forschungsteam unter Führung des IPK Leibniz-Institutes hat herausgefunden, dass die heutige Gerste aus verschiedenen Wildpopulationen im Fruchtbaren Halbmond hervorgegangen ist. (Bildquelle: © Ryan Hodnett, eigenes Werk / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Ein internationales Forschungsteam unter Führung des IPK Leibniz-Institutes hat herausgefunden, dass die heutige Gerste aus verschiedenen Wildpopulationen im Fruchtbaren Halbmond hervorgegangen ist. (Bildquelle: © Ryan Hodnett, eigenes Werk / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Gerste gehört zu den ältesten Kulturpflanzen – und ihr Stammbaum ist komplexer als gedacht. Ein internationales Team unter Leitung des IPK Gatersleben hat mit einer haplotyp-basierten Genomanalyse gezeigt: Die heutige Kulturgerste geht auf mehrere Wildpopulationen im Fruchtbaren Halbmond zurück. Archäologische DNA-Funde von bis zu 6.000 Jahren unterstützen das Bild einer langen, verflochtenen Domestikationsgeschichte – mit Folgen für Züchtung und Artenvielfalt.

Lange wurde vermutet, Gerste sei an einem einzigen Ort domestiziert worden. Die neue Studie, die in Nature erschien, zeichnet ein anderes Bild: Haplotyp-Analysen – also die Betrachtung gemeinsam vererbter DNA-Bausteine – zeigen, dass die Kulturgerste aus verschiedenen Wildlinien zusammengesetzt ist. Oder wie das Team es formuliert: „Wir konnten zeigen, dass Gerste nicht, wie oft angenommen, einen einzigen Ursprungsort hat. Stattdessen ist ihr Erbgut ein faszinierendes Mosaik, das sich aus allen fünf verschiedenen wilden Gerstenpopulationen zusammensetzt, die wir im Fruchtbaren Halbmond und den angrenzenden Regionen untersucht haben“, erläutert Yu Guo, Erstautor der Studie.

So wurde geforscht: Genome, Haplotypen und alte Körner

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Genbank am IPK Gatersleben: Hier lagern tausende Samenproben historischer und moderner Gerstenlinien – eine einzigartige Ressource, um die genetische Vielfalt zu erforschen und für die Züchtung zukunftsfähiger Sorten zu nutzen.

Genbank am IPK Gatersleben: Hier lagern tausende Samenproben historischer und moderner Gerstenlinien – eine einzigartige Ressource, um die genetische Vielfalt zu erforschen und für die Züchtung zukunftsfähiger Sorten zu nutzen.

Bildquelle: © IPK Gatersleben / J. Himpe

Die Forschenden analysierten die Erbinformationen von 682 Gersten-Akzessionen aus der IPK-Genbank sowie 23 archäologischen Proben – darunter uralte DNA aus verkohlten Körnern (bis zu 6.000 Jahre alt). Insgesamt wurden 380 Wildgersten aus West- und Zentralasien sowie 302 Proben domestizierter Gerste betrachtet. Durch die Zuordnung lokaler Genomabschnitte zu ihren nächsten Wild-Verwandten ließ sich die zeitlich-räumliche Herkunft der „genetischen Bausteine“ rekonstruieren.

Was die DNA erzählt: Früh entstandene Domestikations-Merkmale

Einige für die Domestikation wichtige Haplotypen sind deutlich älter als die ersten archäologischen Funde domestizierter Gerste. So entstand etwa der Haplotyp für die nicht brüchige Ähre bereits vor rund 27.000 Jahren; die „Nackt“-Mutation (Korn ohne feste Spelzen) wird auf etwa 16.000 Jahre datiert. Das stützt die Vorstellung einer langen Phase der Vor-Domestikation, in der frühe Sammler:innen und Bäuer:innen bereits mit Gerstenpopulationen arbeiteten, bevor klassische Domestikationsmerkmale fixiert waren.

Kein gerader Weg: Genfluss, Handel und Migration

Die Ausbreitung der Gerste über den Fruchtbaren Halbmond hinaus verlief nicht linear. Wiederholter Genfluss zwischen lokalen Wildbeständen und bereits kultivierten Gersten, aber auch menschliche Migrationen und Handelswege prägten die genetische Vielfalt: „Dieser Prozess wurde maßgeblich durch wiederholten Genfluss zwischen lokalen Wildpopulationen und den bereits domestizierten Gersten sowie durch menschliche Migrationen und Handel geprägt, was zur heutigen genetischen Vielfalt geführt hat“, sagt Dr. Martin Mascher, Leiter der Arbeitsgruppe „Domestikationsgenomik“ am IPK.

Drei Hauptlinien – viele Wege

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Kupferminen im Timna-Tal in der Negev-Wüste (Israel): Aus dieser Region stammen rund 3.000 Jahre alte Gerstenkörner, deren DNA Einblicke in die genetische Vielfalt und Handelsverbindungen früher Landwirtschaftsgesellschaften liefert.

Kupferminen im Timna-Tal in der Negev-Wüste (Israel): Aus dieser Region stammen rund 3.000 Jahre alte Gerstenkörner, deren DNA Einblicke in die genetische Vielfalt und Handelsverbindungen früher Landwirtschaftsgesellschaften liefert.

Bildquelle: © Zairon, eigenes Werk / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Mit der Ausbreitung der Landwirtschaft vor etwa 8.500 Jahren spaltete sich die domestizierte Gerste in drei Hauptlinien auf: eine westliche (Naher Osten/Europa), eine östliche (Zentral- und Ostasien) und eine äthiopische. Die Genanteile wichtiger Merkmale – von der Ährenform bis zur „Nacktgerste“ – stammen dabei aus unterschiedlichen Regionen und Epochen. Alte DNA aus Israel (Yoram-Höhle, Abi’or-Höhle, Timna-Kupfermine) zeigt zudem: Die genetische Vielfalt nahm später zu – ein Hinweis auf intensiven Austausch über weitere Distanzen.

Archäologie trifft Genomik

Die archäobotanischen Funde fügen sich nahtlos in das Genom-Mosaik ein und erweitern frühere Erkenntnisse: „Diese Entdeckungen verstärken und erweitern unsere Funde zur 23.000 Jahre alten Getreidewirtschaft an der Ohalo-Stätte am Ufer des Sees Genezareth um eine genomische Dimension. Gemeinsam zeigen sie, dass diese Region im Zentrum der Pflanzendomestikation stand und unterstreichen, dass unser außergewöhnlich gut erhaltener, trockener archäologischer Befund ein seltenes botanisches und genetisches Schatzkästchen ist. Dieses eröffnet nun neue Forschungswege und Fragen, die bis vor Kurzem noch als unlösbar galten“, sagt Prof. Ehud Weiss, Leiter des Archäobotanik-Labors an der Bar-Ilan-Universität.

Was die Ergebnisse für die moderne Züchtung bedeuten

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Experimente mit Gerstenpflanzen am IPK Gatersleben: Genomische Analysen helfen den Forschenden, die genetische Vielfalt und Anpassungsfähigkeit der Kulturgerste besser zu verstehen – ein wichtiger Schritt für die moderne Züchtung klimaresilienter Sorten.

Experimente mit Gerstenpflanzen am IPK Gatersleben: Genomische Analysen helfen den Forschenden, die genetische Vielfalt und Anpassungsfähigkeit der Kulturgerste besser zu verstehen – ein wichtiger Schritt für die moderne Züchtung klimaresilienter Sorten.

Bildquelle: © IPK Gatersleben / Kuhlmann

Die neuen Erkenntnisse zeigen, dass die Gene der Gerste ein Mosaik aus vielen Ursprüngen bilden. Für Pflanzenzüchterinnen und -züchter ist das eine wertvolle, aber auch komplexe Ausgangslage. Denn wenn sich einzelne Erbgutabschnitte – die sogenannten Haplotypen – so stark unterscheiden, lässt sich nicht immer eindeutig sagen, welches Gen für eine bestimmte Eigenschaft verantwortlich ist. Das erschwert die Suche nach Erbanlagen, die etwa Trockenheitstoleranz, Krankheitsresistenzen oder Ertragsstabilität beeinflussen.

Zugleich steckt darin eine große Chance: In den verschiedenen Wildpopulationen, aus denen unsere Kulturgerste hervorging, verbergen sich zahlreiche nützliche Varianten, die im Laufe der Domestikation verloren gegangen sind. Durch den Vergleich alter und moderner Genome lässt sich nun gezielt herausfinden, welche dieser ursprünglichen Gene für heutige Herausforderungen – etwa den Klimawandel – wieder interessant sein könnten.

Kurz gesagt: Die Studie liefert eine Art genetische Landkarte der Gerste. Sie zeigt, woher ihre wichtigsten Erbanlagen stammen und wie sie sich über Jahrtausende verteilt haben. Damit können Forschende und Züchter künftig gezielter entscheiden, welche Wildformen sie wieder einkreuzen sollten, um neue, widerstandsfähigere Sorten zu entwickeln.

Ein Blick in die DNA – ein Blick in die Menschheitsgeschichte

Die haplotyp-basierte Analyse macht sichtbar, wie eng Ackerbau, Handel und Migration die Gerste geprägt haben. „Unsere Studie zeigt, wie eng die Geschichte der Menschen mit der Geschichte ihrer Nutzpflanzen verknüpft ist. Wer in die DNA der Gerste blickt, der liest darin auch mehrere tausend Jahre Menschheitsgeschichte“, sagt Dr. Martin Mascher.


Quelle:
Guo, Y. et al. (2025). A haplotype-based evolutionary history of barley domestication. Nature, 24. September 2025. doi: 10.1038/s41586-025-08384-2

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Titelbild: Ein internationales Forschungsteam unter Führung des IPK Leibniz-Institutes hat herausgefunden, dass die heutige Gerste aus verschiedenen Wildpopulationen im Fruchtbaren Halbmond hervorgegangen ist. (Bildquelle: © Ryan Hodnett, eigenes Werk / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)