Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich rasant aus

Rekordausfälle bei den Ernten

11.06.2025 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Schilfglasflügelzikade überträgt die bakteriellen Erreger der SBR-Krankheit auf Zuckerrüben und Kartoffeln (Bildquelle: © E. Therhaag / JKI)

Die Schilfglasflügelzikade überträgt die bakteriellen Erreger der SBR-Krankheit auf Zuckerrüben und Kartoffeln (Bildquelle: © E. Therhaag / JKI)

Ein unscheinbares Insekt sorgt für massive Ernteausfälle: Die Schilf-Glasflügelzikade überträgt krankheitserregende Bakterien auf Zuckerrüben, Kartoffeln und zunehmend auch anderes Gemüse. Die Folge: gummiartige Knollen, minderwertige Ernten – und verzweifelte Landwirte. Klimawandel und fehlende Pflanzenschutzmittel verschärfen das Problem. Die Forschung sucht fieberhaft nach Auswegen.

Sie ist klein und doch für einen der dramatischsten Ernteverluste der letzten Jahre verantwortlich: die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus). Das bräunliche Insekt überträgt gefährliche Bakterien auf verschiedene Nutzpflanzenarten. Die Folgen für Landwirte und Verbraucher sind gravierend – und verschärfen sich durch den Klimawandel.

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Mit SBR-Erreger infizierte Kartoffeln bilden sogenannte Luftknollen aus.

Mit SBR-Erreger infizierte Kartoffeln bilden sogenannte Luftknollen aus.

Bildquelle: © E. Therhaag / JKI

Gummikartoffeln und zuckerarme Rüben
Zwei Pflanzenkrankheiten machen den Landwirt:innen derzeit besonders zu schaffen: Stolbur und das sogenannte SBR-Syndrom (Syndrome Basses Richesses). Verursacht werden sie durch Bakterien, die über Stiche der Schilf-Glasflügelzikade auf Pflanzen übertragen werden. Bei Stolbur handelt es sich um das Bakterium Candidatus Phytoplasma solani, das besonders Kartoffeln, aber auch Möhren, Rote Bete oder Sellerie befällt. Die Pflanzen welken, ihre Knollen und Wurzeln werden weich und gummiartig. Im Fall von SBR, ausgelöst durch Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus, verlieren Zuckerrüben an Zuckergehalt und neigen schneller zur Fäulnis – ein Problem für die Zuckerindustrie.

Beide Krankheiten führen zu deutlichen Ertrags- und Qualitätsverlusten. Besonders auffällig: Bei infizierten Kartoffeln steigt der Zuckergehalt in den Knollen. Grund dafür ist eine gestörte Energieverteilung in der Pflanze – der Zucker kann nicht mehr richtig in Stärke umgewandelt oder abtransportiert werden. Das beeinträchtigt nicht nur die Lagerfähigkeit, sondern auch die Verarbeitungsqualität: Beim Frittieren bräunen die Kartoffeln schneller – Chips und Pommes werden fleckig und damit unverkäuflich. Auch wenn die veränderten Produkte für Menschen nicht gesundheitsschädlich sind, landen sie kaum im Handel.

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Das Vektorinsekt Schilfglasflügel vollzieht seinen kompletten Lebenszyklus an Kartoffel, hier die Eigelege der Zikade.

Das Vektorinsekt Schilfglasflügel vollzieht seinen kompletten Lebenszyklus an Kartoffel, hier die Eigelege der Zikade.

Bildquelle: © E. Therhaag / JKI

Vom Schilfrand auf den Acker

Die Schilf-Glasflügelzikade ist in Deutschland heimisch – ursprünglich lebte sie bevorzugt an Schilf und anderen Uferpflanzen in Feuchtgebieten. Erst ab Ende der 2000er Jahre wurde sie verstärkt im Ackerbau beobachtet, insbesondere in Zuckerrübenfeldern. Warum sie ihr Habitat wechselte, ist noch nicht vollständig geklärt.

Seitdem hat sich die Zikade rasant ausgebreitet: von Baden-Württemberg über Rheinland-Pfalz und Bayern bis nach Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Heute findet man sie fast in allen Bundesländern – bevorzugt in Regionen mit intensiver Fruchtfolge aus Zuckerrübe und Winterweizen.

Klimawandel als Motor der Invasion

Die rasante Ausbreitung der Zikade ist eng mit dem Klimawandel verknüpft. Warme, trockene Sommer und milde Winter begünstigen sowohl ihre Vermehrung als auch das Überleben der Larven. Diese überwintern im Boden, saugen an den Wurzeln von Weizenpflanzen und entwickeln sich bis zum nächsten Frühjahr zu adulten Tieren.

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Angst vor schlechter Ernte: Landwirte im Kampf gegen die Schilf-Glasflügelzikade

Videoquelle: © Unser Land (BR) / YouTube

Lange Zeit brachte die Zikade in Mitteleuropa nur eine Generation pro Jahr hervor. Doch bei steigenden Temperaturen wachsen die Tiere schneller heran – sodass in besonders warmen Jahren möglicherweise zwei Generationen auftreten können. Auch trockene Böden fördern die Eiablage, da die Weibchen dort leichter ihre Gelege absetzen können.

Schwierige Bekämpfung

Die Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade ist äußerst schwierig. Die Larven leben im Boden und entziehen sich gängigen Insektiziden. Zwar gibt es vereinzelt Notfallzulassungen für bestimmte Pflanzenschutzmittel, doch diese sind auf wenige Monate und Kulturen beschränkt. Mechanische Maßnahmen wie gezieltes Pflügen oder angepasste Fruchtfolgen können helfen, zeigen aber nur begrenzte Wirkung.

Forschende arbeiten an innovativen Ansätzen: So wird etwa am Julius Kühn-Institut untersucht, ob sich die Zikaden über ihre artspezifischen Vibrationssignale verwirren und von der Paarung abhalten lassen. Saatguthersteller entwickeln parallel neue, resistente Sorten – ein Prozess, der jedoch Jahre dauern kann. Manche Expertinnen und Experten fordern daher, moderne Gentechnikverfahren wie die gezielte Genom-Editierung in der Pflanzenzucht zuzulassen, um schneller auf neue Bedrohungen reagieren zu können.