Ein dynamischer Proteinpool macht toleranter gegenüber Umweltveränderungen

30.12.2011 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Zu verstehen, bei welchen Prozessen Pflanzen ihre Proteine recyceln oder neu herstellen, könnte die Züchtung klimatoleranter Kulturpflanzen vorantreiben. (Quelle: © Wilhelmine Wulff / pixelio.de)

Zu verstehen, bei welchen Prozessen Pflanzen ihre Proteine recyceln oder neu herstellen, könnte die Züchtung klimatoleranter Kulturpflanzen vorantreiben. (Quelle: © Wilhelmine Wulff / pixelio.de)

Manche Umweltveränderungen tolerieren Pflanzen besser als andere. Die Proteomanalyse einer einzelligen Alge zeigt, dass die Geschwindigkeit, mit der Zellen ihre Proteine erneuern, die Ursache dafür sein könnte.

Ein plötzlicher Wetterumschwung und sich ständig verändernde Lichtverhältnisse gehören zu den täglichen Herausforderungen eines Pflanzenlebens. Ob die Pflanze diese unbeschadet übersteht, hängt davon ab, wie schnell sich ihr Stoffwechsel an solche Veränderungen anpassen kann. Dem äußeren Anschein nach reagieren Pflanzen nur langsam auf Umweltreize. Im Inneren der Zellen finden jedoch dramatische molekulare Umwälzungen statt. Auf unterschiedliche Lichtreize, Trockenheit oder Kälte reagieren Pflanzen mit einem fortwährenden Umbau ihres Eiweißhaushaltes.

Warum aber können Pflanzen schnell und flexibel auf helles Sonnenlicht, Schatten oder Dunkelheit reagieren, während sie sich andere Umweltschwankungen verhältnismäßig langsam gewöhnen? Die Antwort liegt in der Fluktuation des gesamten pflanzlichen Eiweißpools, der wissenschaftlich als Proteom bezeichnet wird. Denn die Geschwindigkeit, mit der sich die Proteine in Pflanzenzellen erneuern, so vermuten Wissenschaftler, entscheidet auch über deren Anpassungsfähigkeit an bestimmte Außenreize.

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Die Geschwindigkeit, mit der Pflanzen ihre Proteine erneuern beeinflusst auch ihre Anpassungsfähigkeit an bestimmte Umweltreize.

Die Geschwindigkeit, mit der Pflanzen ihre Proteine erneuern beeinflusst auch ihre Anpassungsfähigkeit an bestimmte Umweltreize.

Bildquelle: © A. Moosmann

Wie der Proteinhaushalt auf Umweltreize reagiert, kann mittels SILAC gemessen werden

Ergebnisse, die diese Theorie bestätigen, liefert eine aktuelle Studie. Die Wissenschaftler untersuchten, mit welcher Geschwindigkeit sich das Proteom der Alge Ostreococcus tauri erneuert. O. tauri ist ein einzelliges Meeresplankton, dessen Miniaturgenom mit ungefähr 12 Megabasenpaaren nur einem Bruchteil der Genomgröße der meisten Kulturpflanzen entspricht. Mit  einem neuen Ansatz, der auf der stabilen Isotopenmarkierung (engl. stable isotope labeling of amino acids in cell culture, SILAC) beruht, gelang es den Forschern den Auf- und Abbau von Proteinen aus unterschiedlichen Zellstrukturen innerhalb der Pflanzenzellen 6 Tage lang zu verfolgen.

Die SILAC-Markierung ist eine relativ neue Technik, mit der es 2006 erstmals gelang, Proteinmengen in lebenden Zellen direkt zu vergleichen. Zu den Zellkulturen werden stabile, also nicht-radioaktive Isotope, wie beispielsweise schwerer Kohlenstoff (13C) und schwerer Stickstoff (15N) gegeben. Statt der natürlich vorkommenden leichten 14N  und 12C-Atome, bauen die Zellen daraufhin die schweren Isotope in alle neuen Proteine ein. Die Proteine von zwei unterschiedlich behandelten Zellpopulationen können anschließend gemischt und aufgrund ihrer schweren oder leichten Molekülmasse massenspektrometrisch unterschieden werden. In menschlichen und tierischen Zellen wird die SILAC-Markierung beispielsweise angewandt, um die Auswirkungen von Umweltgiften auf die Proteinproduktion zu untersuchen.

SILAC-Markierung in der Pflanzenforschung

In Pflanzen wurde die Anwendung der SILAC-Markierung bislang dadurch erschwert, dass die Aufnahme schwerer Kohlenstoffatome nur mühevoll zu kontrollieren ist. Denn anders als tierische Zellen, denen Kohlenstoff durch das Nährmedium zugeführt wird, nehmen Pflanzen das Element auch als CO2 aus der Luft auf.
Stickstoff wird zwar ausschließlich über die Wurzeln aufgenommen, die Verwendung schwerer Stickstoffisotope hat jedoch einen anderen Nachteil. Stickstoffatome sind in so großer Anzahl in pflanzlichen Proteinen vorhanden, dass nicht immer alle leichten Stickstoffatome durch schwere ersetzt werden. Dadurch entstehen teilweise mit 14N- und mit 15N-markierte Zwischenformen, was die eindeutige Unterscheidung zwischen den „leichten“ und „schweren“ Proteinen verkompliziert.

Mit speziellen Algorithmen ist es den Forschern jedoch gelungen zwischen den einheitlich markierten Proteinen und den teilweise-markierten Zwischenformen zu unterscheiden, und somit den Zeitverlauf der Markierung und der Proteinerneuerung genau zu erfassen.

Chloroplasten besitzen einen besonders dynamischen Proteinpool

Bei Tageslicht, so stellten die Wissenschaftler fest, nahmen die Algenzellen die größten Mengen an Stickstoff auf und kurbelten die Synthese neuer Proteine an. Während der Dunkelperioden drosselten die Zellen dagegen die Erneuerung ihres Proteinhaushaltes.

Besonders auffällig war der hohe Umsatz von Proteinen in den Chloroplasten, in denen die Pflanze Sonnenlicht in Energie umwandelt. Proteine des Proteinkomplexes Photosystem II, die durch besonders starke Sonneneinstrahlung beschädigt werden können, werden demnach am schnellsten ausgetauscht. Eine besonders hohe Neusyntheserate stellten die Wissenschaftler auch für das Chloroplasten-Enzym Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/-oxygenase (RuBisCO) fest, das für die Kohlenstofffixierung aus CO2 in Pflanzen verantwortlich ist. Das Enzym wurde 30 mal schneller auf- und abgebaut, als es bei Proteinen des Zellkerns oder Proteinen der Mitochondrien der Fall ist. Besonders stabil waren dagegen Proteine, die für die Verpackung der DNA im Zellkern zuständig sind und das Erbgut vor Schäden schützen.

Flexible Proteome führen zur Züchtung klimatoleranter Pflanzen?

Die Ergebnisse aus den Algenzellen zeigen, dass besonders Prozesse, die der Energiegewinnung, sowie der Kohlenstoff- und Stickstoffaufnahme in Pflanzen dienen, durch eine ständige Erneuerung der beteiligten Proteine flexibel reagieren können. Die Erneuerbarkeit des Proteinpools, der diese Prozesse steuert, könnte demnach auch die Erträge und die Anpassungsfähigkeit von Kulturpflanzen beeinflussen.

Die Wissenschaftler hoffen, dass Proteomanalysen und die Erforschung der Proteindynamik in Pflanzen zukünftig auch dazu beitragen werden, anpassungsfähigere und klimatolerantere Pflanzensorten zu züchten.


Quelle:
S. F. Martin et al. (2011). Proteome Turnover in the Green Alga Ostreococcus tauri by Time course 15N Metabolic Labeling Mass Spectrometry. Journal of Proteome Research, Online Publication 14. November 2011; doi: 10.1021/pr2009302.

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Titelbild: Zu verstehen, bei welchen Prozessen Pflanzen ihre Proteine recyceln oder neu herstellen, könnte die Züchtung klimatoleranter Kulturpflanzen vorantreiben. (Quelle: © Wilhelmine Wulff / pixelio.de)