Ein Wachstumssensor für Riesenzellen

05.12.2011 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ergebnis der Endoreduplikation: Das fleischige Innere einer Tomate besteht aus Riesenzellen. (Quelle: © BirgitH/ pixelio.de)

Ergebnis der Endoreduplikation: Das fleischige Innere einer Tomate besteht aus Riesenzellen. (Quelle: © BirgitH/ pixelio.de)

Zellteilung ist nicht der einzige Mechanismus, der tierische und pflanzliche Organe wachsen lässt. Statt Zellen zu vermehren, vergrößern manche Organismen sich durch Verdopplung ihrer DNA. Heidelberger Wissenschaftler haben erstmals das regulatorische Prinzip aufgedeckt, durch das Zellen dauerhaft auf Endoreduplikation umschalten und somit 50% der weltweiten Biomasse produzieren.

Gurken-, Tomaten- und vielen anderen Obst- und Gemüsepflanzen sieht man es auf den ersten Blick nicht an, dass ihre fleischigen Früchte durch ein besonderes zellbiologisches Phänomen zu ihrer vollen Größe reifen. Ihre Früchte werden zunächst durch mitotische Zellteilung angelegt, dann aber schalten die Zellen auf einen alternativen Zellzyklus um, die sogenannte Endoreduplikation. Während der Endoreduplikation verdoppeln die Zellen ihr Erbgut. Statt sich jedoch anschließend in zwei Tochterzellen zu teilen, wie es bei der Mitose der Fall ist, überspringen endoreduplikative Zellen diesen Prozess, um anschließend im nächsten Zyklus, erneut ihre DNA zu duplizieren. Auf diese Weise erreichen Zellen das bis zu 1000-Fache ihrer Größe mit mehreren hundert Kopien ihres Genoms. So entsteht beispielsweise die fleischige Fruchtwand einer Tomate, deren Zellen sogar auf einen halben Millimeter heranwachsen können.

Endoreduplikation: Ein weit verbreitetes Phänomen

Obwohl der Mechanismus der Endoreduplikation bisher wenig erforscht wurde, ist er in vielen Organismen anzutreffen und hat sich im Laufe der Evolution in spezialisierten Gewebetypen von Pflanzen, Insekten, Krebs- und Wirbeltieren durchgesetzt. Beim Menschen sind es beispielsweise die Herzmuskelzellen oder die Zellen der Plazenta, die Endozyklen durchlaufen. Wissenschaftler vermuten daher, dass Endoreduplikation besonders in Gewebetypen vorkommt, in denen die Zellen besondere Stoffwechselaufgaben übernehmen, wie es beispielsweise für eine Versorgung des Embryos notwendig ist.

Darüber hinaus ist die Endoreduplikation auch von ökonomischer Bedeutung. Nicht nur die Früchte vieler Obst- und Gemüsesorten, auch die Samen einiger Getreidearten oder die Fasern der Baumwollpflanze entstehen durch endoreduplizierende Zellen. Experten schätzen, dass ungefähr die Hälfte der weltweit erzeugten Biomasse durch diesen alternativen Zellzyklus produziert wird.

E2F1 nimmt die Endoreduplikation an die Kandare

Während der Endoreduplikation durchläuft die Zelle abwechselnd eine Ruhephase und eine Genomverdopplungs-Phase, die DNA-Replikation. Wird dieser Wechsel nicht streng kontrolliert, kann die Genomverdopplung jedoch aus dem Ruder laufen und zu unkontrolliertem Zellwachstum führen. Bisher war allerdings nicht bekannt, wie Organismen es schaffen, ihren mitotischen Zellzyklus dauerhaft und kontrolliert auf Endoreduplikation umzustellen.

Zellbiologen des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Zentrums für Molekular Biologie der Universität Heidelberg haben erstmals herausgefunden, dass ein Genregulator für einen periodischen Ablauf der Endoreduplikation sorgt. Das Protein E2F1 ist ein bekannter Transkriptionsfaktor, der Zellzyklusgene aktiviert.

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Den Zusammenhang zwischen dem Transkriptionsfaktor E2F1 und der Regulation der Endoreduplikation untersuchten Heidelberger Wissenschaftler in den Zellen der Speicheldrüse von Drosophila melanogaster. Zellen mit erhöhter E2F1-Konzentration (grün) beschleunigten ihre Endozyklen und wuchsen dementsprechend schneller durch Verdopplung ihrer DNA (rot). (Quelle: © Norman Zielke/ DKFZ.de).

Den Zusammenhang zwischen dem Transkriptionsfaktor E2F1 und der Regulation der Endoreduplikation untersuchten Heidelberger Wissenschaftler in den Zellen der Speicheldrüse von Drosophila melanogaster. Zellen mit erhöhter E2F1-Konzentration (grün) beschleunigten ihre Endozyklen und wuchsen dementsprechend schneller durch Verdopplung ihrer DNA (rot). (Quelle: © Norman Zielke/ DKFZ.de).

Schon vor einigen Jahren stellten die Wissenschaftler um Bruce Edgar fest, dass die E2F1-Konzentration in den endoreduplizierenden Zellen der Taufliege Drosophila melanogaster zeitversetzt mit anderen Regulatoren oszilliert. In ihrer Studie fanden die Wissenschaftler nun heraus, dass das periodische Auf und Ab von E2F1 der Schlüsselmechanismus ist, der den Phasenwechsel der Endoreduplikation steuert. Gegen Ende der Ruhephase liegt E2F1 in hohen Konzentrationen vor und aktiviert dabei das Gen Zyklin E, ein Regulator, der für den Übergang zur bevorstehenden Genomverdopplung zuständig ist. Auf diese Weise leitet E2F1 den Endozyklus ein. Damit sich die Genomverdopplung jedoch nicht unkontrolliert fortsetzt, kommt ein dritter Faktor ins Spiel, die Ubiquitin-Ligase CRL4. Sie markiert E2F1 für den Abbau in der Zelle. Anschließend wird CRL4 inaktiviert und die E2F1-Konzentration steigt. Der Zyklus beginnt von neuem.

Computermodelle zeigen neue Proteininteraktionen auf

„Wenn man mit so komplexen Systemen wie der Zellzyklusregulation arbeitet, bei der sich dutzende Faktoren in Wechselwirkung befinden, ist es manchmal nahezu unmöglich vorherzusagen, wie sich die beteiligten Faktoren bei einer Veränderung von außen verhalten werden.“, beschreibt Norman Zielke, Erstautor der Studie, die technischen Herausforderungen des Projektes. Um das regulatorische Netzwerk der Endoreduplikation genauer zu verstehen, nutzten die Wissenschaftler ein Computermodell. Mit Zufallsexperimenten simulierten sie Konzentrationsveränderungen bestimmter Faktoren und verglichen die Vorhersagen mit den Ergebnissen aus gentechnisch manipulierten Fliegen.

Tatsächlich lieferte das Model den Forschern zuverlässig die richtigen Prognosen, inwieweit sich die unterschiedlichen Zellzyklusfaktoren bei Konzentrationsänderungen gegenseitig beeinflussen. Erhöhten die Forscher die Konzentration von E2F1 durch eine genetische Manipulation, so beschleunigten die Zellen die Endoreduplikation und wuchsen schneller als gentechnisch unveränderte Nachbarzellen. Ein von den Forschern modifiziertes, stabiles E2F1-Protein, dass nicht mehr oszillieren konnte, blockierte dagegen den endoreduplikativen Zellzyklus und die Zellkerne blieben klein.

„Durch das Modelling am Computer sind wir auch auf Proteininter-aktionen gestoßen, von denen man bisher nichts wusste. Zunächst hatten wir Probleme, eine Oszillation der Faktoren in der bekannten Reihenfolge mit unserem Modell zu reproduzieren. Erst als wir eine Wechselwirkungen einbauten, bei der das Zyklin E einen direkten Einfluss auf Faktoren nimmt, die das Erbgut der Fliege auf die bevorstehende Verdopplung vorbereiten, funktionierte es. Diese Funktion von Zyklin E konnten wir daraufhin auch anhand von Laborexperimenten zeigen.“

E2F1 als Wachstumssensor

Für die Pflanzenforschung ist interessant, dass die Geschwindigkeit der Endoreduplikation in Pflanzen durch Umweltsignale, wie beispielsweise Licht- und Dunkelreize beeinflusst wird. In Drosophila  konnten die Wissenschaftler darüber hinaus zeigen, dass Zellen bei Nährstoffmangel nicht nur die Endozyklen und ihr Wachstum verlangsamen, sondern auch ihre E2F1-Konzentration herunter regulieren.

Demnach könnte E2F1 als Sensor fungieren, mit dem Organismen ihr Wachstum an Umweltreize und das Nährstoffangebot anpassen. „Wir haben bereits gute Korrelationen gefunden und möchten jetzt untersuchen, inwiefern die Aktivität des E2F1-Gens durch Außenreize gesteuert wird.“, beschreibt Norman Zielke den Ausblick auf zukünftige Experimente.

Höhere Erträge durch E2F1?

Die Tatsache, dass E2F1 eine übergeordnete Schlüsselrolle zukommt, mit der sich die Endoreduplikation bremsen oder beschleunigen lässt, birgt auch ein spannendes Potential für die Pflanzenzüchtung. Durch Drehen am E2F-Regler ließen sich beispielsweise größere Früchte erzeugen und landwirtschaftliche Erträge erhöhen. Auch Trockenstress überstehen Pflanzen besser, wenn deren Blattzellen mehrere Endozyklen durchlaufen.

Inwieweit sich die Ergebnisse aus der Fliege auch auf Pflanzen übertragen lassen, ist jedoch noch nicht genau untersucht. „Die meisten Interaktionen, die in endozyklischen Zellen bekannt sind, gibt es auch in Pflanzen. Pflanzen besitzen jedoch mehrere E2F-Varianten und ob diese oszillieren ist noch nicht bekannt.“, so Norman Zielke. Es wurde allerdings schon gezeigt, dass E2F-Proteine auch in Pflanzen eine wichtige Rolle spielen, um Zellen von mitotischer Teilung auf die Endoreduplikation umzuschalten. Eine Ertragssteigerung durch Manipulation der E2F-Konzentration halten die Forscher daher durchaus für vorstellbar.

Ihre Studie an der Taufliege, so hoffen Norman Zielke und seine Kollegen, wird zukünftig auch Pflanzenforscher dazu inspirieren, E2F-Proteine im Hinblick auf ihre Funktion bei der Endoreduplikation genauer unter die Lupe zu nehmen. 


Quellen:

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Frass macht Pflanzen stark

Titelbild: Ergebnis der Endoreduplikation: Das fleischige Innere einer Tomate besteht aus Riesenzellen. (Quelle: © BirgitH/ pixelio.de)