Evolution der menschlichen Amylase-Gene
Verändertes Nahrungsangebot begünstigte Genduplikationen
Als die Menschen sesshaft wurden, änderten sich auch die Nahrungsgewohnheiten. Bei den Ackerbauern standen mehr stärkehaltige Nahrungsmittel auf dem Speiseplan, allen voran Getreide. Das hat auch unser Erbgut verändert.
Brot, Tortillas oder Reis sind Grundnahrungsmittel auf der ganzen Welt. Ihre Gemeinsamkeit: Sie bestehen zu einem großen Teil aus Stärke. Um die Energie darin freizusetzen, muss unser Körper die langen Kohlenhydratketten zunächst in einzelne Zuckermoleküle zerlegen.
Das beginnt schon beim Kauen: Das Speichel-Enzym Amylase (kodiert vom Gen AMY1) startet den Stärkeabbau. Im Verdauungstrakt geht es weiter, jetzt kommen weitere Amylasen zum Einsatz, die von der Bauchspeicheldrüse produziert werden. Deren Gene heißen AMY2A und AMY2B. Alle drei Gene befinden sich sehr nah beieinander im sogenannten Amylase-Locus des menschlichen Genoms.
Zusätzliche Amylase-Kopien brachten evolutionären Vorteil
Als die Menschen noch als Jäger und Sammler durch die Gegend streiften und relativ wenig stärkehaltige Nahrung zu sich nahmen, waren Amylasen weniger wichtig. Das änderte sich vor rund 12.000 Jahren, als die Menschen im Gebiet um den fruchtbaren Halbmond erstmals sesshaft wurden und damit anfingen, stärkehaltige Getreide anzubauen. Wer jetzt mehr Kopien der Amylase-Gene hatte, produzierte mehr Amylase-Enzyme und konnte die stärkehaltige Nahrung vom Feld effizienter nutzen.
Es verwundert also nicht, dass die Evolutionsgeschichte dieses Enzyms eng mit der des Menschen verwoben ist. Und mit der seiner Haustiere: Omer Gokumen, Professor in der Abteilung für Biologie an der Universität Buffalo, hatte in einer früheren Arbeit gezeigt, dass z.B. Hunde und Hausschweine mehr Amylase-Kopien haben als ihre wilden Verwandten. Die Fütterung mit Stärke-haltiger Kost war wohl ausschlaggebend.
Wie genau die Amylase-Gene sich beim Menschen entwickelt haben und wann die ersten Genverdoppelungen stattfanden, interessierte Wissenschaftler:innen schon lange. Jetzt liegen zwei aktuelle Studien vor, die Licht in die Evolution der Amylasegene bringen.
Vergleich mit Neandertalern und Denisovanern
Die erste Studie publizierten Gokumen und weitere Kolleg:innen im Fachmagazin Science. DasTeam analysierte Genome von 68 historischen Menschen, darunter auch eine 45.000 Jahre alte DNA-Probe aus Sibirien. Sie konnten zeigen, dass bereits die Jäger und Sammler mehr als eine Kopie des AMY1-Gens in sich trugen. Doch in den vergangenen 4.000 Jahren erhöhte sich die Anzahl der AMY1-Kopien im Genom von europäischen Ackerbauern weiter. „Individuen mit mehr AMY1-Kopien konnten vermutlich Stärke besser verdauen und hatten mehr Nachkommen“, sagt Omer Gokcumen.
Außerdem fanden sie auch in drei von sechs untersuchten Neandertaler-Genomen sowie in einem Genom des Denisova-Menschen mehrere Kopien des AMY1-Gens. Das könnte darauf hindeuten, dass AMY1 sich bereits in den gemeinsamen Vorfahren des modernen Menschen verdoppelt hat – also vielleicht schon vor mehr als 800.000 Jahren. Es ist jedoch auch möglich, dass die initiale Verdoppelung erst im modernen Menschen stattgefunden hat, und Denisovaner sowie Neandertaler sie später durch Kreuzung mit dem modernen Menschen oder ganz unabhängig davon erworben haben.
Ähnliche Entwicklungen auf der ganzen Welt
Eine zweite Studie im Fachmagazin Nature entstand unter Leitung von Peter Sudmant (University of California) und Erik Garrison (University of Tennessee). Das Team analysierte Genome von 519 Menschen aus Eurasien, die zwischen vor 12.000 Jahren und heute gelebt haben. Auch sie fanden heraus, dass vor rund 5.000 Jahren die Anzahl der AMY1-Gene angestiegen ist: von durchschnittlich vier auf sieben. Auch die Pankreas-Amylase-Gene haben sich vervielfältigt. Europäer besitzen heutzutage durchschnittlich 0,5 Kopien mehr als noch vor 12.000 Jahren.
Die Forschenden untersuchten auch den Amylase-Locus aus 94 zeitgenössischen Genomen, die vom Menschlichen Pangenom-Referenzkonsortium zur Verfügung gestellt worden waren. Dadurch konnten sie zeigen, dass Menschen auf der ganzen Welt, die in landwirtschaftlich geprägten Kulturen leben, durchschnittlich mehr Amylase-Gene in ihrem Genom haben als solche, die sich hauptsächlich durch Fischfang, Jagd oder Weidevieh ernähren.
Initiales Duplikationsereignis
Ihren Analysen zufolge gab es vor rund 280.000 Jahren ein initiales Duplikationsereignis, wodurch zwei Kopien von AMY1 hinzukamen. „Das hat die Bühne bereitet für später - als wir die Landwirtschaft erfunden haben. Menschen mit mehr Kopien hatten dann eine noch höhere Fitness“, erklärt Sudmant. Anschließend wurden diese Kopien mehrmals erneut dupliziert oder wieder gelöscht. Daher gibt es bei den heutigen Menschen eine große Diversität in der Anzahl der Amylase-Gene.
„Es gab schon lange die Hypothese, dass sich die Anzahl der Amylase-Gene in Europa bereits vor dem Beginn der Landwirtschaft erhöht hatte, aber es ist vorher noch nie gelungen, diesen Genort vollständig zu sequenzieren. Er ist sehr repetitiv und komplex“, erklärt Sudmant.
Mit long-read Sequencing zum Erfolg
Der Bereich des Genoms, in dem sich die Amylase-Gene befinden, ist mit der herkömmlichen Methode des short-read Sequencing schwierig zu untersuchen. Dabei wird die DNA in kurze Stücke von etwa 100 Basenpaaren Länge zerlegt. Die Bruchstücke werden sequenziert und anschließend von einem Computer wieder passend zusammengesetzt. Doch mit dieser Methode lässt sich nicht herausfinden, wie viele Kopien es von einem Gen gibt. Das ermöglicht erst das long-read Sequencing. Dabei werden DNA-Sequenzen analysiert, die mehrere tausend Basenpaare lang sind.
Die neue Methode zur Analyse des Amylase-Gens könnte wegweisend dafür sein, auch andere Bereiche des Genoms genauer zu untersuchen, die in der jüngsten Vergangenheit schnelle Genduplikationen durchlaufen haben.
Quellen:
- Bolognini, D., Halgren, A., Lou, R.N. et al. Recurrent evolution and selection shape structural diversity at the amylase locus. Nature 634, 617–625 (2024). https://doi.org/10.1038/s41586-024-07911-1
- Feyza Yılmaz et al., Reconstruction of the human amylase locus reveals ancient duplications seeding modern-day variation. Science0, eadn0609 DOI:10.1126/science.adn0609
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Wiegen und Wege der Landwirtschaft – Die Anfänge der Landwirtschaft im neuen Licht
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- Domestikation von Pflanzen: Ein Prozess seit Jahrtausenden – Kultivierung weiterer Wildpflanzen wird immer wahrscheinlicher
Titelbild: Alle Nahrungspflanzen, deren Beitrag zur Ernährung der Menschheit besonders hoch ist, beinhalten in ihren Körnern hauptsächlich Stärke. (Bildquelle: © Peggy Greb, USDA ARS, gemeinfrei / Wikimedia)