Gen-Schatz aus der Wildnis
Wie das Erbgut von Wildgerste die Züchtung beflügeln kann
Eine reife Ähre von Hordeum bulbosum. (Bildquelle: © Amir Sharon / Tel Aviv University)
Ein Forschungsteam des IPK Gatersleben hat das Pangenom der Wildgerste Hordeum bulbosum entschlüsselt – und damit eine zentrale Grundlage für die Gerstenzüchtung der Zukunft gelegt.
Hordeum bulbosum wächst an den Rändern des Mittelmeers, sieht der Kulturgerste ähnlich, hat jedoch in der Pflanzenzüchtung bisher kaum eine Rolle gespielt. Dabei enthält sie wertvolle genetische Merkmale – etwa Resistenzen gegen Krankheiten oder Umweltstress. Doch: Der Einsatz dieser Gene ist bislang mühsam, weil das Erbgut der Wildgerste komplex und wenig erforscht ist.
Wildgerste mit Zuchtpotenzial: Die Knollengerste Hordeum bulbosum wächst natürlicherweise am Mittelmeer und ist der nächste wilde Verwandte der Kulturgerste. Ihr Erbgut enthält wertvolle Gene, die künftig gezielt in moderne Sorten eingekreuzt werden können.
Bildquelle: © Daderot, gemeinfrei / Wikimedia Commons
Ein IPK-Forschungsteam hat das nun grundlegend geändert. Mithilfe modernster Sequenziertechniken und bioinformatischer Analysen wurde ein vollständiges Pangenom von Hordeum bulbosum erstellt – basierend auf zehn repräsentativ ausgewählten Genotypen, deren Erbgut in insgesamt 32 verschiedene Chromosomensatz-Varianten („Haplotypen“) aufgelöst wurde. Das Besondere: Die Forschenden konnten die Erbinformation dieser Pflanzen bis auf die Ebene einzelner elterlicher Chromosomensätze entschlüsseln – eine Auflösungstiefe, die in der Pflanzenforschung bislang selten erreicht wurde.
Zwei Ploidiestufen, zwei Ursprünge
Die Studie zeigt, dass Hordeum bulbosum in zwei genetischen Formen vorkommt: diploid (mit zwei Chromosomensätzen) und autotetraploid (mit vier). Überraschenderweise haben sich die tetraploiden Linien unabhängig voneinander entwickelt – mindestens einmal in Asien vor über einer Million Jahren und ein zweites Mal in Griechenland in deutlich jüngerer Zeit. Zwischen beiden Formen besteht bis heute ein genetischer Austausch.
Diese doppelte Herkunft erhöht nicht nur die genetische Vielfalt, sondern bietet auch einen wichtigen Hebel für die Züchtung – denn Polyploidie kann helfen, mehr Merkmale in eine Pflanze einzubringen.
Vielfalt im Detail: Struktur, Gene, Evolution
Neben der Entschlüsselung der Abstammung enthüllt das Pangenom große strukturelle Unterschiede zwischen H. bulbosum und der Kulturgerste Hordeum vulgare. So ist das Wildgersten-Genom rund 20 % kleiner – vor allem, weil es weniger mobile DNA-Elemente (Transposons) enthält.
Kulturgerste ist anfällig für das Gerstengelbverzwergungsvirus. Neue Resistenzgene aus der Wildgerste Hordeum bulbosum sollen helfen, Sorten robuster und widerstandsfähiger zu machen.
Bildquelle: © Alexander von Halem / Wikimedia Commons, CC BY 2.0
Gleichzeitig sind bestimmte Chromosomenabschnitte in H. bulbosum länger als bei der Kulturgerste – vor allem in den distalen Regionen. Insgesamt jedoch hat sich das Genom der Kulturgerste „hauptsächlich an den Enden der Chromosomen“ vergrößert – eine unerwartete Entdeckung, wie Erstautor Jia-Wu Feng betont. Diese Expansion beruht vor allem auf der Einlagerung mobiler DNA-Elemente, die in H. bulbosum deutlich seltener vorkommen.
Die Studie zeigt zudem, dass H. bulbosum eine besonders hohe genetische Diversität aufweist – mit über 220 Millionen Einzelnukleotid-Varianten (SNPs). Diese Vielfalt ist vergleichbar oder sogar größer als bei der wilden Urform der Kulturgerste.
Resistenzgen-Cluster entschlüsselt
Ein praktisches Anwendungsbeispiel liefert das Team mit der Analyse des Resistenzlocus Ryd4Hb, der Pflanzen gegen das Gerstengelbverzwergungsvirus schützt. Im Pangenom fanden sich nicht nur viele strukturelle Varianten dieses Genclusters, sondern auch Hinweise auf funktionale Unterschiede – z. B. in der Anzahl und Aktivität der NLR-Gene, die eine Schlüsselrolle bei der Immunabwehr spielen.
Ryd4Hb stammt aus Hordeum bulbosum und wurde in den vergangenen Jahrzehnten über sogenannte Introgressionslinien – also gezielte Einkreuzungen einzelner Genomabschnitte – in Kulturgerste eingebracht. Diese spezielle Introgression ist laut den Forschenden besonders vielversprechend: „Dies ist zweifellos die bisher vielversprechendste Introgression in Gerste aus Wildpflanzen und die Einzige, die kurz davor steht, in kommerziellen Sorten eingesetzt zu werden“, sagt Dr. Martin Mascher.
Genetische Präzisionswerkzeuge für die Züchtung
Die Erstellung des Pangenoms ermöglicht es, gezielt genetische Marker zu entwickeln, um Wildgen-Abschnitte in Züchtungsprogrammen zu verfolgen. Die Forschenden konstruierten dafür ganze Graphen-Genome, die die strukturelle Vielfalt übersichtlich abbilden. Dadurch lassen sich Genabschnitte schneller identifizieren, vergleichen und in Kulturpflanzen integrieren – ohne unerwünschte Nebenwirkungen oder Ertragsverluste.
Ein weiteres Ergebnis: Tetraploide Linien aus jüngeren Entstehungsereignissen enthalten weniger schädliche Mutationen als alte Linien – sie könnten also besonders geeignete Spender für die Züchtung sein.
Auch Prof. Nils Stein betont die strategische Bedeutung dieser Forschungsrichtung: „Die systematische genomische Charakterisierung von Kulturpflanzen und ihren wilden Verwandten ist wichtige Grundlagenforschung, um pflanzengenetische Ressourcen für die Verbesserung von Kulturpflanzen besser zugänglich zu machen.“
Ausblick: Ein Kompass für die Gerstenzüchtung
Die Studie zu Hordeum bulbosum zeigt eindrucksvoll, wie moderne Genomforschung das Potenzial bislang wenig genutzter Wildpflanzen erschließen kann. Mit dem neuen Pangenom steht der Züchtung ein präzises Werkzeug zur Verfügung – nicht nur für Resistenzen, sondern auch für die genetische Diversifizierung der Kulturgerste insgesamt.
Quelle:
Feng, J.-W. et al. (2025): A haplotype-resolved pangenome of the barley wild relative Hordeum bulbosum. In: Nature (10. Juli 2025). doi: 10.1038/s41586-025-09270-x
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Titelbild: Eine reife Ähre von Hordeum bulbosum. (Bildquelle: © Amir Sharon / Tel Aviv University)