Gerste auf dem Prüfstand
Wie Forscher auf Spurensuche nach unverträglichen Proteinen gingen
Gerstenähren: Die Vielfalt der Sorten – von zweizeilig bis sechszeilig – spiegelt sich auch in ihrer Zusammensetzung an Proteinen wie den Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs) wider. (Bildquelle: © Prof. Dr. Katharina Scherf)
Gerste spielt längst nicht mehr nur beim Bierbrauen eine Rolle – auch in Backwaren und Cerealien findet sie zunehmend Verwendung. Doch wie Weizen kann sie Proteine enthalten, die bei empfindlichen Menschen Beschwerden auslösen. Eine neue Studie liefert nun erstmals präzise Daten zu diesen sogenannten Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs) – und schafft eine Grundlage für verträglichere Produkte.
Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs) sind natürliche Abwehrstoffe von Getreidepflanzen. Sie hemmen Verdauungsenzyme wie Amylase und Trypsin, die bei Insekten, Pilzen oder auch Säugetieren die Stärke- und Eiweißverdauung ermöglichen. Damit schützen sich die Pflanzen vor Schädlingen – doch für Menschen mit empfindlichem Immunsystem können diese Eiweiße problematisch sein.
Aus Weizen ist bereits bekannt, dass ATIs Entzündungsprozesse im Körper anstoßen können, etwa durch die Aktivierung bestimmter Rezeptoren des angeborenen Immunsystems. Sie gelten als Mitverursacher der sogenannten Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NCWS), einer Unverträglichkeit, die mit Symptomen wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen („Brain Fog“) einhergehen kann – und von der schätzungsweise 0,6 bis 6 Prozent der westlichen Bevölkerung betroffen sind.
Über die ATI-Zusammensetzung in Gerste hingegen war bislang wenig bekannt – obwohl Gerste genetisch eng mit Weizen verwandt ist.
Der Durchbruch: eine neue Messmethode für Gerste
Im Braukessel beginnt die Verwandlung von Gerste zu Bier – doch nicht nur für den Geschmack, sondern auch für die Verträglichkeit spielt die Auswahl der Gerstensorte eine wichtige Rolle.
Bildquelle: © Greenville, NC / Wikimedia Commons, gemeinfrei
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Katharina Scherf vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München hat nun erstmals ein präzises Analyseverfahren entwickelt, das zehn gerstenspezifische ATI-Typen eindeutig identifizieren und quantifizieren kann.
Dazu nutzten die Forschenden eine Kombination aus Flüssigkeitschromatographie und Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) sowie eine sogenannte Stabilisotopenverdünnungsanalyse (SIDA). Diese Methode erlaubt eine äußerst genaue Messung auch kleinster Proteinmengen.
„Bislang wussten wir kaum etwas über das Vorkommen von ATIs in Gerste. Unsere Methode liefert nun erstmals belastbare Daten zur gerstenspezifischen ATI-Zusammensetzung“, sagt Studienleiterin Scherf.
181 Gerstensorten aus aller Welt im Test
Das Verfahren wurde auf 181 verschiedene Gersten-Akzessionen angewendet – darunter 113 zweizeilige und 68 sechszeilige Sorten mit vielfältiger geografischer Herkunft und genetischer Bandbreite, von modernen Züchtungen bis zu traditionellen Landrassen.
Die Analyse ergab: Der ATI-Gehalt schwankte zwischen 1,1 und 5,2 Milligramm pro Gramm Mehl. Bezogen auf den gesamten Proteingehalt der Proben entsprach das einem Anteil von 0,7 bis 3,6 Prozent. Bemerkenswert: „Die Zeilenzahl der Gerste beeinflusste den ATI-Gehalt nicht wesentlich“, so Scherf.
Am häufigsten vertreten war der ATI-Typ BDAI (barley dimeric amylase inhibitor), gefolgt von mehreren chloroform-/methanlöslichen (CM-)Typen. Am niedrigsten war der Gehalt bei drei sechszeiligen Landrassen aus Eritrea, Griechenland und Äthiopien – sie könnten sich künftig als Zuchtbasis für verträglichere Gerstenprodukte eignen.
Ein Müsli – gesund, ballaststoffreich und oft mit Gerste zubereitet. Doch bei empfindlichen Personen kann das Getreide Beschwerden auslösen: Es enthält Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs), deren genaue Quantifizierung Forschende nutzen, um verträglichere Produkte zu entwickeln.
Bildquelle: © Martin Thoma / Wikimedia Commons, gemeinfrei
Potenzial für verträglichere Lebensmittel
Was zunächst wie Grundlagenforschung klingt, hat weitreichende praktische Relevanz. „ATIs gelten neben Gluten und sogenannten FODMAPs als mögliche Auslöser von Beschwerden wie Durchfall, Blähungen, Kopfschmerzen oder ‚Brain Fog‘“, erklärt Co-Autorin Sabrina Geißlitz. Viele Menschen mit NCWS berichten von einer Besserung ihrer Symptome bei glutenfreier oder -armer Ernährung – möglicherweise, weil sie dadurch auch weniger ATIs aufnehmen.
„Indem wir nun auch die ATI-Zusammensetzung in Gerste besser kennen, können wir gezielt Sorten mit besonders niedrigem ATI-Gehalt identifizieren. Das ist ein wichtiger erster Schritt für die Züchtung besser verträglicher Gerstensorten“, sagt Sarah Joestl, Erstautorin der Studie und Doktorandin von Katharina Scherf.
Ziel sei es, in Zukunft Produkte wie Brot, Bier oder Cerealien aus Gerste so zu gestalten, dass sie für empfindliche Menschen besser verträglich sind – etwa durch die Auswahl geeigneter Rohstoffe, neue Verarbeitungstechnologien oder gezielte Züchtung.
Gerste – ein Multitalent im Umbruch
Gerste ist weltweit das viertwichtigste Getreide nach Mais, Weizen und Reis. Allein im Jahr 2023/24 wurden rund 142 Millionen Tonnen geerntet. In Europa wird sie traditionell vor allem für Tierfutter und Braumalz verwendet – doch die Einsatzmöglichkeiten wachsen: Auch in Frühstückscerealien, Backwaren oder pflanzenbasierten Fleischersatzprodukten spielt Gerste eine zunehmende Rolle.
„Gerste ist ein vielseitiger Rohstoff – mit dieser Studie schaffen wir nun erstmals eine wissenschaftlich fundierte Basis, um Produkte aus Gerste verträglicher zu machen“, so Joestl.
Zukünftig sollen auch verarbeitete Gerstenprodukte genauer untersucht werden – denn es ist möglich, dass sich der ATI-Gehalt durch Prozesse wie Mälzen, Rösten oder Backen verändert. Ziel ist eine umfassende Strategie, um Lebensmittel für Menschen mit Unverträglichkeiten zu verbessern – wissenschaftlich fundiert und praxisnah.
Quelle:
Joestl, S. et. al. (2025): Quantitation of amylase/trypsin-inhibitors in barley using targeted LC-MS/MS. In: Food Research International, 116910. doi.org/10.1016/j.foodres.2025.116910
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Titelbild: Gerstenähren: Die Vielfalt der Sorten – von zweizeilig bis sechszeilig – spiegelt sich auch in ihrer Zusammensetzung an Proteinen wie den Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs) wider. (Bildquelle: © Prof. Dr. Katharina Scherf)