Gerstenforschung im Wandel der Zeit

Ein Blick zurück, ein Blick nach vorn

29.01.2025 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Erntereife Gerste. Deutschland hat eine Vorreiterrolle in der Gerstenforschung übernommen. In Zukunft muss die Pflanze noch besser an den Klimawandel angepasst werden. (Bildquelle: © Dh1970 / Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Erntereife Gerste. Deutschland hat eine Vorreiterrolle in der Gerstenforschung übernommen. In Zukunft muss die Pflanze noch besser an den Klimawandel angepasst werden. (Bildquelle: © Dh1970 / Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Bessere Krankheitsresistenzen, höhere Erträge und gesteigerte Qualität: All das hat die Gerstenforschung in den vergangenen Jahrzehnten erreicht. Doch um die Gerste fit für die Zukunft zu machen, haben sich Forscher:innen ehrgeizige Ziele gestellt.

Der vierte Platz ist oft ein unrühmlicher. Keine Medaille, kein Platz auf dem Podium. Und so wissen viele auch nicht, dass die Gerste (Hordeum vulgare) bei Anbaufläche und Ertrag das viertwichtigste Getreide der Welt ist. In Europa ist ihre Bedeutung noch größer, hier kommt Gerste bei der Anbaufläche auf den zweiten Rang. Vor allem ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Genügsamkeit sind von immensem Vorteil. Selbst auf kargen Böden oder in schwindelerregender Höhe liefert sie noch gute Erträge.

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Ein Feld mit Sommergerste. Sie kommt vorrangig beim Bierbrauen zum Einsatz.

Ein Feld mit Sommergerste. Sie kommt vorrangig beim Bierbrauen zum Einsatz.

Bildquelle: © Peter Schill / Wikipedia , CC BY-SA 3.0

Wichtig für die Forschungsgemeinde sind jedoch andere Eigenschaften: Gerste ist ein Selbstbefruchter und verfügt über ein echtes diploides Genom mit sieben Chromosomenpaaren. Und weil die Pflanze sich über Jahrtausende hinweg weltweit ausgebreitet und an unterschiedliche klimatische Bedingungen angepasst hat, ist genetisches Material für vergleichende Analysen leicht verfügbar. Mehr als 485.000 Akzessionen lagern in Genbanken auf der ganzen Welt – wie zum Beispiel in der Bundeszentralen Ex-situ-Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben.

Deutschland ist bei Gerste Vorreiter

Außerdem lassen sich Forschungsergebnisse, die an ihr gewonnen werden, relativ leicht auch auf andere Getreidearten übertragen. All das hat dazu beigetragen, dass Gerste seit dem 20. Jahrhundert zu einer wichtigen Modellpflanze aufgestiegen ist. Die Zeit ist also reif für einen Blick zurück und einen nach vorn. Welche Erkenntnisse hat uns die Gerstenforschung bereits geliefert und welche Aspekte werden in den nächsten Jahren besonders wichtig werden?

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Prof. Nils Stein, Leiter der Abteilung Genbank und der Arbeitsgruppe Genomik Genetischer Ressourcen am IPK Gatersleben.

Prof. Nils Stein, Leiter der Abteilung Genbank und der Arbeitsgruppe Genomik Genetischer Ressourcen am IPK Gatersleben.

Bildquelle: © Leibniz-Institut (IPK)

Genau diese Bilanz liefert ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professor Nils Stein vom IPK Gatersleben in einem Fachbeitrags im Magazin Molecular Plant. „Vor rund 20 Jahren, als die Genomforschung ihren Anfang nahm, entschied sich Frankreich bereits frühzeitig, Weizen als Forschungsobjekt in den Fokus zu stellen. In Deutschland wählten wir hingegen die Gerste, um einerseits eine doppelte Förderung desselben Forschungsthemas zu vermeiden und andererseits die Möglichkeit für besonders elegante Kooperationen zu schaffen“, erinnert sich Nils Stein an die Anfänge. „Außerdem hat das Brauwesen in Deutschland eine hohe Bedeutung, und dafür braucht man nun mal Gerste.“

Im Vergleich zu anderen Modellpflanzen wie Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) und Reis (Oryza sativa) ist das Genom der Gerste sehr komplex: etwa 4,5 Gigabasenpaare lang mit mehr als 80 Prozent repetitiven Elementen. Trotzdem ist es gelungen, qualitativ hochwertige Sequenzdaten für die Genome (zuletzt das der Sorte Morex.v3), Pangenome und auch Pan-Transkriptome der Gerste zu erzeugen.

Gersten- und Weizenforschung befruchten sich gegenseitig

„Bevor detaillierte Genomdaten für Gerste, Weizen oder Mais zur Verfügung standen, hat man oft auf das besser bekannte Reisgenom zurückgegriffen. Denn Reis ist nahe mit diesen Getreiden verwandt und es gibt viele konservierte Gene in diesen Arten“, erläutert Nils Stein. „Allerdings haben sich Reis und Weizen schon seit etwa 70 Millionen Jahren getrennt voneinander entwickelt, Gerste und Weizen erst seit 10 Millionen Jahren. Daher kann man mit dem Genom von Gerste leichter Merkmalsfunktionen in Weizen aufklären als beim Vergleich mit dem Reisgenom.“

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Wintergerste wird vor allem als Futtergetreide verwendet.

Wintergerste wird vor allem als Futtergetreide verwendet.

Bildquelle: © Bene16 – eigenes Werk / Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Doch umgekehrt liefert auch Weizen mit seinem komplexen allo-hexaploiden Genom wertvolle Erkenntnisse für die Gerstenforschung. Weil im Weizen immer drei homologe Gene vorliegen und an der Merkmalsausprägung beteiligt sein können, ist es möglich, einzelne Kopien essenzieller Gene auszuschalten. Während das bei Gerste einen nicht lebensfähigen Phänotyp zur Folge hätte, gibt es bei Weizen möglicherweise subtilere morphologische Veränderungen, die eine Funktionsanalyse der betroffenen Gene zulassen.

Kreuzungen mit Wildarten bringen wertvolle Erkenntnisse

Weil kultivierte Gerste sich einfach mit ihrem wilden Vorfahren (Hordeum vulgare ssp. spontaneum) kreuzen lässt, lassen sich leicht segregierende Populationen erzeugen, mit denen sich zum Beispiel die Entwicklung der Getreidearchitektur während der Domestikation erforschen lässt. So lässt sich z.B. nachverfolgen, welche Gene zur Bildung von besonders ertragreichen sechszeiligen Ähren beigetragen haben. Der wilde Verwandte hat noch zweizeilige Ähren.

Mehltau-Resistenzgen wirkt universell

Auch bei der Erforschung der genetischen Grundlagen von Krankheitsresistenzen sind große Fortschritte erzielt worden, insbesondere bei Pilz-Krankheiten. Bereits vor rund drei Jahrzehnten wurde in Gerste das Resistenz-Gen mlo entdeckt, das vor dem Erreger des Echten Mehltaus schützt. Inzwischen ist klar, dass sich die Wirkung von mlo nicht nur auf Gerste oder nah verwandte Getreide beschränkt, sondern als universelle Verteidigungsstrategie gegen Mehltau in unterschiedlichsten Pflanzenarten fungiert.

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Australien ist es gelungen, durch die gezielte Einkreuzung exotischer Akzessionen die genetische Diversität seiner kultivierten Gerste zu vergrößern.

Australien ist es gelungen, durch die gezielte Einkreuzung exotischer Akzessionen die genetische Diversität seiner kultivierten Gerste zu vergrößern.

Bildquelle: © A. Bähring, IPK Gatersleben

Bei der Verteidigung gegen Viruskrankheiten herrscht hingegen noch Forschungsbedarf. Bisher sind nur zwei Resistenzgene bekannt, die gegen die beiden wichtigen Gerstenkrankheiten BaYMV (Gerste-Gelbmosaikvirus) und BaMMV (Gerste mildes Mosaikvirus) wirken: rym4/rym5. Dabei ist bereits bekannt, dass es mindestens 14 weitere Resistenz-Loci gegen diese beiden Viruskrankheiten gibt. Sie wurden bisher aber noch nicht kloniert und näher charakterisiert.

Aufbruchstimmung in der Gerstenforschung

Jetzt aber rücken neue Ziele in den Fokus: Die Landwirtschaft muss klimaverträglicher und nachhaltiger werden. Das bedeutet, auch Gerste muss mit weniger Dünger und Pflanzenschutzmitteln klarkommen und einen guten Ertrag liefern – auch bei häufiger auftretenden widrigen Umweltbedingungen durch den Klimawandel. Um diese Ziele zu erreichen, wird man auf den genetischen Schatz zurückgreifen müssen, der in alten Gerstensorten oder Wildverwandten schlummert.

Denn durch die Selektionszüchtung der vergangenen Jahrtausende sind zahlreiche positive Eigenschaften in den kultivierten Sorten verloren gegangen. In alten Gerstensorten findet man sie hingegen noch, zum Beispiel zusätzliche Resistenzgene gegen die oben erwähnten Krankheiten. Durch gezielte Kreuzungen von Elitesorten mit Landrassen und wilden Verwandten kann man solche Gene wieder in den Genpool einbringen.

Als positives Beispiel nennen die Autoren des Papers den Züchtungsfortschritt in Australien. In den dortigen Gerstensorten ist die Diversität vergleichsweise niedrig. Doch durch das gezielte Kreuzen mit exotischen Akzessionen aus Europa oder Afrika haben es Züchter geschafft, die Diversität der modernen Sorten um mehr als 12 Prozent zu steigern. Dadurch konnte die Gerste besser an die extremen klimatischen Bedingungen Australiens angepasst werden.

Hybridzüchtung wird wichtiger

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Video: "Jenny fragt: Wie geht Hybridzüchtung?"

Videoquelle: © transGEN/youtube.com

Zukünftig könnte bei Gerste auch die Hybridzüchtung stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Dabei werden zwei genetisch möglichst unterschiedliche Eltern gekreuzt, in den Nachkommen der F1-Generation kommt es dann zum Heterosis-Effekt. Die „Kinder“ sind den Elternpflanzen in quasi allen Eigenschaften überlegen. Hybride sind daher gegenüber widrigen Umweltbedingungen besser gewappnet und liefern stabilere Erträge.

Doch die Hybridzüchtung bei Gerste steckt noch in den Kinderschuhen. Gerade einmal zehn Sorten Hybridgerste sind in Deutschland auf dem Markt, weltweit beträgt der Anteil von Hybridgerste an der Anbaufläche nur 0,42 Prozent. Bislang ist der Heterosiseffekt zu schwach und die Herstellung der Hybridgerste zu teuer. Denn als Selbstbefruchter macht es Gerste den Züchtern schwer, ausschließlich fremdbefruchtetes Saatgut zu erzeugen.

Grundlagenforschung intensivieren

Die Erfolge der Vergangenheit sind beachtlich, aber die Hürden für weitere züchterische Optimierungen mindestens ebenso. Um erfolgreich zu sein, ist eine gut aufgestellte Grundlagenforschung unabdingbar. Sie kann die entscheidenden Gene und ihre regulatorischen Elemente identifizieren, um die Gerste fit für die Zukunft zu machen.

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Video: Joram erklärt die Genschwere CRISPR/Cas9 - ausgezeichnet im Fast Forward Science Webvideo-Wettbewerb.

Videoquelle: © erforschtCRISPR / Youtube.com

Bisher ist zum Beispiel noch nicht gut verstanden, wie große strukturelle Variationen im Genom und funktionale DNA-Elemente die Leistung beeinflussen. Aber die Autoren des Artikels sind zuversichtlich, dass die nächsten zehn Jahre Gerstenforschung von weiteren Erfolgen geprägt sein werden: „Die Integration von genomischen Datensätzen, eine große Anzahl an Keimplasma-Ressourcen und die Anwendung der neuesten Technologien lässt die Zukunft der Gerstenforschung und die Züchtung hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft im kommenden Jahrzehnt vielversprechend aussehen.“

Zu den neuesten Technologien zählen laut den Forscher:innen auch die Methoden der Genomeditierung. Sie ermöglichen gezielte Verbesserungen in zentralen Bereichen wie der Krankheitsresistenz, der Pflanzenarchitektur, der Stressresilienz und der Stickstoffeffizienz. Durch ihren Einsatz wird die Gerstenanbau nicht nur nachhaltiger, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegenüber steigenden Temperaturen, Trockenheit und anderen Extremwettersituationen entscheidend gestärkt.


Quelle:
Jiang, C. et al. Barley2035: A decade vision on barley research and breeding. Mol. Plant. Doi: https://doi.org/10.1016/j.molp.2024.12.009  

Zum Weiterlesen auf pflanzenforschung.de:

Titelbild: Erntereife Gerste. Deutschland hat eine Vorreiterrolle in der Gerstenforschung übernommen. In Zukunft muss die Pflanze noch besser an den Klimawandel angepasst werden. (Bildquelle: © Dh1970 / Wikimedia, CC BY-SA 4.0)